Bischof Kräutler: "Aufhören wäre Verrat"
Träger des Alternativen Nobelpreises über seinen Einsatz in Brasilien
Erwin Kräutler (links oben): Kämpfer für die Rechte der Indios (Foto: Right Livelihood) |
Altamira (pte008/02.10.2010/13:30) Erwin Kräutler ist einer der vier Personen, die am 6. Dezember den "Alternativen Nobelpreis 2010" erhalten werden. Die "Right Livelihood Award Foundation" http://www.rightlivelihood.org würdigt damit den Einsatz des Bischofs der brasilianischen Diözese Xingu für die Rechte der Indios und für die Bewahrung des Amazonas vor der Zerstörung. Der 71-Jährige stammt aus dem österreichischen Knoblach und wurde schon bisher mit zahlreichen internationalen Auszeichnungen geehrt.
Im Interview mit pressetext berichtet Kräutler über die Situation der Indios, seinen Einsatz und seine Ziele. Sein Schwerpunkt ist dabei der Kampf gegen das Projekt von Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, einen Staudamm am Amazonas-Zufluss Xingu zu errichten.
pressetext: Herr Bischof, der "Right Livelihood Award" ehrt Menschen und Initiativen, die Lösungen für die dringendsten Probleme unserer Zeit finden und erfolgreich umsetzen. Inwiefern gehört Ihre Situation vor Ort zu den dringendsten Problemen heute?
Kräutler: Unser derzeit größtes Problem ist der Plan der Regierung, den Staudamm Belo Monte am Rio Xingu zu verwirklichen. Hier geht es nicht um Wasserkraft an sich, sondern darum, dass sie ohne Rücksicht auf indigene Völker durchgesetzt wird. Die internationale Würdigung durch den Preis kommt hier gerade zum richtigen Zeitpunkt, denn ich kann hier sagen: Ich kämpfe nicht alleine gegen den Staudamm.
pressetext: Welcher Konflikt steht hinter dem Belo-Monte-Projekt?
Kräutler: Belo Monte zeigt konkret, wie die Bewohner des Amazonas ihres Lebensraumes enteignet werden. Das Recht auf Leben ganzer Völker wird hier buchstäblich ignoriert, indem man etwa die von der Verfassung her notwendigen Anhörungen in den betroffenen Dörfern gar nicht macht.
pressetext: Was würde es bedeuten, wenn der Staudamm gebaut wird?
Kräutler: Da es das erste derartige Projekt wäre, das durchgeht, wäre es ein Dolchstoß für den Amazonas und würde einen Domino-Effekt auslösen. Denn drei weitere Staudämme sind allein am Xingu geplant, mehr als hundert in anderen Regionen. Bei Belo Monte würden zwei Indianerstämme, die vom Fischfang leben, vom Wasser abgeschnitten werden. Zudem würde es die 100.000-Einwohner-Stadt Altamira zu einer Halbinsel in einem toten See machen. Schon heute ist Malaria und das Dengue-Fieber aktuell, doch durch das faule Wasser ist eine Tropenkrankheit nach der anderen vorprogrammiert. Das Umweltministerium schweigt dazu bloß.
pressetext: Gibt es für Brasilien Alternativen?
Kräutler: Brasilien hat beste Forscher, könnte in Alternativenergien investieren und mit seiner Energiepolitik der Welt ein Beispiel geben. Etwa Sonne gibt es in Brasilien genug. Doch in der Regierung herrscht der Glaube vor, es gäbe nur die Wasserkraft. Das Kraftwerk würde jedoch nicht einmal dem Bezirk Xingu zugute kommen, sondern einem Aluminiumwerk.
pressetext: Wie stehen die Chancen, dass Belo Monte noch verhindert wird?
Kräutler: Europas Medien haben schon öfters geschrieben, dass die Bauerlaubnis bereits gegeben wurde. Das stimmt jedoch nicht. Seitens des Umweltministeriums wurden 40 Bedingungen aufgestellt, die vor dem Bau erfüllt sein müssen, und noch keine davon wurde berücksichtigt. Am morgigen Sonntag wird in Brasilien der Präsident, der Nationalrat und Senat gewählt. Der Ausgang wird mit darüber entscheiden, was passiert. Wir kämpfen jedenfalls weiter und lassen uns nicht einschüchtern.
pressetext: Apropos einschüchtern: Es gab Attentate gegen Sie, mehrere Ihrer Mitarbeiter wurden umgebracht und Sie leben weiterhin mit Morddrohungen. 99,99 Prozent der Menschheit würde hier aufhören. Was lässt Sie weitermachen?
Kräutler: Die Mafia die mich verfolgt ist stark und besonders auch lautstark in ihren Ankündigungen, jedoch klein. Ich habe die Leute auf meiner Seite, denn sie wissen, dass ich sie verteidige. Würde ich ihnen den Rücken zudrehen, so wäre das buchstäblicher Verrat. Meine Angst ist nur gering, denn man kann auf Dauer nicht unter Angst leben. Ich hoffe auf den Beistand Gottes und vertraue darauf, dass er mich trotz Widerwärtigem weitermachen lässt für den Schutz der Indios. Ich kann doch nicht den Toten das Evangelium verkünden.
pressetext: Sie sind schon seit 29 Jahren Bischof von Xingu und leben seit 45 Jahren in Brasilien. Hat sich seither an der Situation der Indios etwas geändert?
Kräutler: Unterdrückung, Mord und Totschlag gab es schon immer und gibt es immer noch. Allerdings gibt es auch Erfolge. Dazu zähle ich vor allem, dass seit 1988 die Indianerrechte Teil der Verfassung sind. Indianer sind damit Vollbürger, die ein Recht auf eigene Kultur und Umgangsformen haben. Das haben wir gemeinsam hingekriegt, und es erfüllt mich mit Stolz.
pressetext: Wurden diese Rechte auch umgesetzt?
Kräutler: Es gab anfangs Fortschritte, dann ist der Prozess jedoch eingeschlafen. Laut Verfassung sollten alle Indiogebiete demarkiert, also abgegrenzt werden als dem Völk gehörende Bundesgebiete, die geschützt sind vor der Ausbeutung anderer. Dazu nötig ist zuerst, die Region als Land der Indios zu identifizieren, dann die kartografische Abgrenzung, ehe der Bundespräsident den rechtlichen Schutz bestätigt. Die Hälfte der etwa 400 Indio-Gebiete hat das geschafft, der Rest ist im langwierigen Prozess steckengeblieben. Für das Hinauszögern sorgen die Lobbys der Industrie. Wir pochen jedoch weiter darauf, dass die Verfassung umgesetzt wird.
pressetext: Welche Unterstützung erwarten Sie sich von Europa?
Kräutler: Die Leute sollen die Menschen und Initiativen, die sich einsetzen, weiter unterstützen. Wichtig ist dafür vor allem, dass die Information über unsere Lage nach außen dringt. Ich bin glücklich darüber, dass durch den Preis viele Medien die Informationen weitergeben und die Geschichte des Staudammprojekts wieder aufrollen. Denn wir brauchen Unterstützung, um weiterzukommen. Auch die Durchführung unser Kampagnen kostet Geld, das bisher zu 90 Prozent aus persönlichen Zuweisungen stammt, etwa von privaten Spendern, die sich selbst besteuern.
pressetext: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Kräutler: Dass auch die zukünftigen Generationen hier leben können. Für mich ist das Überleben der Völker nicht der Plan B, sondern Plan A. Nötig ist dafür der Respekt vor der Mitwelt der Menschen. Mitwelt ist im Gegensatz zur Umwelt nicht anonyme Natur, sondern zeigt an: "Ich gehöre dazu". Die jetzigen Bewohner sollen den Amazonas als ihr Erbe verstehen, in dem ihre Kinder und Kindeskinder leben können. Dafür gilt es weiter zu kämpfen, denn es hat keinen Sinn, ständig den Weltuntergang herbeizureden.
pressetext: Besten Dank für das Interview!
Homepage von Bischof Kräutler: http://www.domerwin.com
Aktueller Blog zu Belo Monte: http://plattformbelomonte.blogspot.com
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