Castor-Proteste: AKW-Laufzeit in der Kritik
Protestforscherin: "Hoher Stress für Demonstranten und Polizisten"
Protest an der Castor-Strecke: 2010 unter anderen Vorzeichen (Foto: Wikimedia Commons) |
Dannenberg/Berlin (pte022/08.11.2010/13:55) Der Protest gegen den fast jährlich stattfindenden Atommüll-Castortransport nach Gorleben steht heuer unter besonderen Vorzeichen. Das berichtet die Protestforscherin Britta Baumgarten vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB http://www.wzb.eu im Gespräch mit pressetext. "Viele setzen mit ihrem Protest heuer ein Zeichen gegen die Entscheidung der Regierung, die Laufzeiten der Atommeiler zu verlängern", so die Expertin, die sich im Wendland selbst ein Bild von der Lage gemacht hat.
Stärker als sonst war daher bereits die gesamte Strecke des Transports quer durch Deutschland mit Kleindemos etwa an Bahnübergängen gesäumt. Auch die Proteste im Wendland beschränkten sich gerade heuer nicht auf die Lokalbevölkerung. "Zahlreiche Busse kamen sogar aus Bamberg, Hamburg und Köln, auch einige derer, die gegen Stuttgart 21 protestiert haben, sind gekommen", so Baumgarten. Auffallend sei zudem auch die Beteiligung der Bauernschaft, die außerhalb des Wendlandes kaum zu Protesten zu bewegen ist.
Auf der Schiene sitzen bedeutet Stress
Die elf Castorbehälter mit hoch radioaktivem Material haben heute Vormittag nach 67 Stunden Fahrt den Endbahnhof Dannenberg-Ost erreicht. Ab heute Nacht sollen sie mit Tiefladern ins 20 Kilometer entfernte Zwischenlager in Gorleben gebracht werden. Die Zahl der Demonstrierenden auf der Strecke nahm gegen Ende stetig zu und erst kurz nach Mitternacht löste die Polizei eine Schienenblockade von über 3.000 Anti-Atom-Aktivisten.
Auf den Schienen sitzen ist psychologisch eine bedrohliche Stresssituation, berichtet Baumgarten. "Jeder Demonstrierende weiß, dass Eskalationen mit der Polizei möglich sind. Die Einsatzkräfte sehen durch ihre gute Ausrüstung mit Helmen, Knüppel und Pistolen zudem auch optisch gefährlich aus." Dazu komme das Bewusstsein, an der Grenze der Legalität zu handeln. Aus diesem Grund bieten Anti-Atom-Organisationen Trainings an die etwa vermitteln, wann man aufstehen muss oder in welchem Moment man sich wegtragen lässt.
Reden verhindert Katastrophe
Doch auch auf Seiten der 20.000 beteiligten Polizisten war der Stressfaktor bisher denkbar hoch. Nachdem Bauern durch Traktor-Blockaden mehrmals den Nachschub an Personal abgeschnitten hatten, waren hunderte Beamte bis zu dreißig Stunden lang durchgehend im Dienst. Der Castor-Zug musste von gestern Nacht bis heute Früh pausieren, da die Einsatzkräfte laut Polizeigewerkschafts-Sprecher Rainer Wendt ans Ende ihrer Kräfte gelangt waren. Schlafmangel, Kälte, Dunkelheit und Lücken in der Essensversorgung hatten ihr übriges getan.
Zu einer Eskalation unter Polizei und Gegnern kam es bisher nicht. Zwar kamen am Sonntagvormittag sehr wohl Schlagstöcke, Wasserwerfer und Reizgas zum Einsatz, und auch Demonstrierende bewarfen Polizisten mit Feuerwerkskörpern, setzten einen Räumpanzer in Brand und entfernten Steine unter den Gleisen. Dass Schlimmeres verhindert wurde, sieht Baumgarten als Verdienst der Kommunikation, an der auch Vermittler wie Konfliktmanager und Kirchenvertreter beteiligt waren. "Demonstrierende forderten einander auf, ruhig und gewaltfrei zu bleiben und konnten diese Grundhaltung auch den Polizisten klarmachen. Diese rechneten mit Ärgerem."
Proteste wirken nur langsam
Proteste haben kaum direkte Auswirkungen auf die Politik und auch diesmal wird sich nichts ändern, ist Baumgarten überzeugt. "Schon bisher sind in Meinungsumfragen zwei Drittel der Bevölkerung gegen Atomkraft. Dass mehr Menschen ihren Stromanbieter wechseln, bewirken höchstens Hintergrundberichte in den Medien." Indirekt würden aber die hohen Kosten für den Transport - vor allem jene für die Einsatzkräfte - das Thema wieder in die politische Debatte bringen. "Niedersachsen hat schon angekündigt, dass es den Einsatz nicht allein bezahlen wird. Andere Bundesländer oder auch AKW-Betreiber könnten zur Kasse gebeten werden."
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