Forscher tüfteln an der Welterklärungs-Maschine
"Living Earth Simulator" soll rechtzeitig vor Krisen warnen
Welt als Glaskugel: Simulator zeigt Folgen des Tuns (Foto: pixelio/Hofschläger) |
Budapest/Zürich (pte020/05.05.2011/13:40) Ein Computermodell, das künftige Folgen menschlicher Entscheidungen auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft aufzeigt: Diesen Menschheitstraum wollen Wissenschaftler der ETH Zürich mit hunderten weiteren Forschern aus ganz Europa nun verwirklichen. Ihr Projekt FuturICT http://www.futurict.ethz.ch gehört zu den sechs aussichtsreichsten Kandidaten für Fördergelder im Umfang von einer Milliarde Euro, mit der die EU in den nächsten zehn Jahren eine Flaggschiff-Forschungsinitiative für Zukunftstechnologien finanzieren will. Das Pilotprojekt wurde diese Woche in Budapest offiziell gestartet.
Zeichen der Zeit erkennen
"Wir übertragen in gewisser Weise das Prinzip der Wettervorhersage auf gesellschaftliche Vorgänge. Längst wird überall simuliert - von der Autobranche bis zur Medikamentenentwicklung. Das könnte der vom FuturICT entwickelte Living Earth Simulator bald auch für Politik und Wirtschaft möglich machen", erklärt der Züricher Komplexitätsforscher Dirk Helbing, der das Projekt wissenschaftlich leitet, im pressetext-Interview. Durch den Simulator könnten nicht nur Vorwarnzeichen von Umwelt-, Gesellschafts- und Finanzkrisen früher identifiziert werden, sondern auch mögliche Gegenmaßnahmen und ihre Nebenwirkungen vorab getestet werden.
Intuition reicht nicht mehr
Der Bedarf für eine Plattform, mit der man alles analysieren kann, sei dringender denn je zuvor - sind doch die Folgewirkungen des menschlichen Verhaltens ständig komplexer. "Unsere zunehmende globale Vernetzung erzeugt immer neue Abhängigkeiten. Diese verursachen Rückkoppelungs- und Dominoeffekte, die kaum mehr überschaubar sind und unsere Intuition überfordern. Wo wir nicht ausreichend auf Erfahrung bauen können, brauchen wir neue Ansätze, um unser globales technisch-sozio-ökonomisches System und seine Entwicklung besser zu begreifen", betont Helbing.
Die Vorzüge eines Vorab-Tests der Folgen von Ereignissen und Entscheidungen klingen verlockend. Ein Simulator hätte etwa infolge des Erdbebens in Japan die Auswirkungen auf das Liefer- und Produktionsnetzwerk ebenso aufzeigen können wie jene auf den Zusammenhalt der Gesellschaft. Er könnte laut dem Forscher auch Ursachen für soziale Umbrüche, für Migrationsströme und Konflikte analysieren. "Genauso hätte die Finanzkrise nie ihr jetziges Ausmaß erreicht, wenn man die globalen Abhängigkeiten rechtzeitig verstanden hätte."
Krisenbeobachtung und Data Mining
Das FuturICT-Konzept beruht auf der Einbindung von interdisziplinären Kompetenzzentren zur Krisenbeobachtung, die Warnzeichen früh erkennen und Lösungsoptionen erarbeiten sollen. Vorhandenes Theoriewissen wird dabei durch Data Mining und massive Computersimulationen erweitert. Bei Fußgängern oder Autofahrern gelang dies dem Team um Helbing schon äußerst erfolgreich, auch bei Meinungsbildung und Kollektivverhalten gäbe es Fortschritte. "Eines Tages wird man die Regeln menschlicher Koordination, Kooperation, sozialer Normen und Konflikte verstehen - zwar nicht das Verhalten des Einzelnen, aber zumindest die statistischen Gesetzmäßigkeiten", so Helbing.
Um zu untersuchen, wie bis zu zehn Milliarden Menschen miteinander interagieren, wird der Living Earth Simulator mit frei oder kommerziell verfügbaren Echtzeit-Daten gefüttert. "Der Fokus liegt hier allein bei den großen Zusammenhängen, nicht beim Verhalten des Individuums", betont Helbing, der sich schon bisher für den Privatsphären-Schutz einen Namen gemacht hat (pressetext berichtete: http://pressetext.com/news/20101206023/ ). Veröffentlicht würden die Forschungsergebnisse mit größtmöglicher Transparenz, analog dem Open-Source-Prinzip.
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