Georgien: Kaukasusrepublik im Aufbruch
Politik und Bürger hoffen auf Investoren aus dem Westen
Tbilisi/F e a t u r e (pte001/31.07.2011/09:30) Die Rosenrevolution 2004 und der Sturz des ehemals beliebten Staatschefs Eduard Schewardnadse, der blamable Fünftagekrieg von Micheil Saakaschwili zur Rückeroberung von Abchasien und Südossetien im August 2008, der gescheiterte NATO-Beitritt und Spionageaffären um verhaftete Fotojournalisten - die kleine Kaukasusrepublik Georgien landete in letzter Zeit häufig in den negativen Schlagzeilen. Dabei hat das Land von der Größe Bayerns alle Voraussetzungen, auch positive Nachrichten zu liefern.
Anders als seine größeren Nachbarländer Türkei, Russland und Iran, aber auch Armenien und Aserbaidschan hat Georgien reiche Gönner. Zwei Drittel aller Investitionen der letzten zwei Jahrzehnte kamen aus den USA und Westeuropa, und Deutschland führt das Land am Schwarzen Meer als Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit. Das ist auch dringend nötig, denn Industrie und große Teile der Infrastruktur liegen seit der Unabhängigkeit von Russland vor 1991 komplett am Boden. Lediglich Landwirtschaft und Tourismus sind stabil.
Wäre nicht der Dauerkonflikt mit dem nördlichen Nachbarn Russland, die Entwicklung würde deutlich rascher voranschreiten, sind Kenner des Landes überzeugt. Zu viele Energien fließen in die ständigen Provokationen dies- und jenseits des Kaukasus. Das hat allerdings Tradition. Seit der Unterwerfung des Landes unter Zar Alexander I. Anfang des 19. Jahrhunderts kämpfen die Georgier um Selbstbestimmung. Die kurze Periode der Unabhängigkeit nach dem 1. Weltkrieg wurde von den Bolschewiken gnadenlos ausradiert.
Besuch des Nationalmuseums empfehlenswert
Das frisch renovierte Nationalmuseum am Rustaweli-Boulevard in Tbilisi dokumentiert die Zeit des Schreckens unter der Sowjet-Herrschaft. Penibel werden dort in einer Ausstellung die Opfer der Stalin-Ära aufgelistet. Ausgerechnet der "größte" Georgier fügte dem Land die schlimmsten Wunden zu. Rund 80.000 Landsleute, vorwiegend die Intelligenz, wurden zwischen 1921 und 1953 erschossen, 400.000 fielen im Krieg, und weitere 400.000 wurden nach Sibirien deportiert oder gelten als vermisst - und das in einem Land mit nicht einmal fünf Millionen Einwohnern.
Nur drei Etagen tiefer präsentiert das Museum seinen prächtigen Goldschatz, die Reichtümer des sagenumwobenen Königreichs Kolchis am Schwarzen Meer. Seit dem 3. Jahrtausend vor der Zeitrechnung wurden hier Metallbearbeitungstechniken entwickelt, die noch heute ungläubiges Staunen auslösen. Bis in die Zeit der Christianisierung im 4. Jahrhundert wurde auf dem Gebiet des heutigen Georgien Gold abgebaut und mit höchster Kunstfertigkeit verarbeitet. Die Griechen waren die ersten, die darob das Land überrannten, später folgten Römer, Perser, Araber, Byzantiner, Seldschuken, Mongolen, Osmanen und wieder die Perser.
Wirtschaft erholt sich nur langsam
Zwanzig Jahre nach der Unabhängigkeit kämpft Georgien weiter mit dem schweren Erbe seiner 70jährigen sowjetischen Besatzung. Die Hauptstadt Tiflis präsentiert sich weltoffen und westlich, hinter den restaurierten Prachtstraßen jedoch verfallen die Häuser. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Bautätigkeit hält sich in Grenzen, die Unzufriedenheit steigt. Es fehlt an Geld und Ideen, Politik und Bürger hoffen auf Investoren aus dem Westen.
Jedes zweite Wohnhaus der Hauptstadt ist abbruchreif, abseits der Einkaufsstraßen bestehen die Straßenbelege aus Schotter und Schlaglöchern. In den Dörfern am Land ist Wohnkomfort ein Fremdwort, viele Häuser haben weder Fließwasser noch WC. Immerhin aber wird Hygiene und Sauberkeit groß geschrieben, das unterscheidet Georgien klar von moslemischen Ländern.
Der von Präsident Saakaschwikli 2008 vom Zaun gebrochene Krieg mit Russland hat der Wirtschaft zusätzlich geschadet. So brachen die internationalen Investitionen in den Bereichen Industrie, Telekommunikation, Verkehr und Bausektor um fast 60 % ein, nach rund 2 Mrd. US-Dollar 2007 waren es 2009 nur noch 760 Mio. Dollar, ein großer Tei davon kam aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, zweitgrößter Investor war Ägypten. 2010 waren die Türkei, Tschechien und Japan wichtigste Investoren.
Experten gehen davon aus, dass die jährlichen Wachstumsraten aber schon bald wieder zehn Prozent erreichen werden. Dazu beitragen sollen internationale Geberorganisationen. Sie stellen Georgien in den nächsten drei Jahren 800 Mio. US-Dollar zur Verfügung, um neue Straßen, Brücken, Wasserleitungen und Wohngebäude zu bauen. Die Ausschreibungen laufen über einen Regierungsfonds (MDF) in Tiflis, der in den vergangenen drei Jahren bereits über 500 Baumaßnahmen mit einem Volumen von 350 Mio. US-Dollar realisiert hat. http://www.mdf.org.ge/eng/index.php Die größte Projektfinanzierung stellt dabei die Asian Development Bank (ADB).
Kritiker warnen schon länger davor, dass das Kaukasusland völlig auf internationale Geldgeber angewiesen ist. Die meisten staatlichen Investitionen basieren auf Krediten, die auf lange Sicht nicht zurückgezahlt werden können. Denn außer landwirtschaftlichen Erzeugnissen und ein wenig Tourismus gibt es wenig Wertschöpfung im Land. Es habe sich daher eine Mentalität breit gemacht, derzufolge Georgien Anspruch auf Zahlungen des Westens hätte, sagen sie.
Tourismus als Zugpferd
Das kümmert die Touristiker wenig. Georgien hat alle Voraussetzungen für einen echten Boom: Berge, Strände, reiche Geschichte und üppige kulinarische Genüsse. Hier feiert man Feste ausgiebig mit Gesang und einer jahrtausende alten Weinkultur. Hinzu kommt das Verständnis für christliche, jüdische und moslemische Traditionen. Neben den fehlenden Hotelkapazitäten gibt es allerdings auch Defizite, so sind etwa Service-Orientierung und Sprachkenntnisse deutlich unterentwickelt.
Beim Ausbau der touristischen Infrastruktur setzt Georgien auf Ausbildung und Know-how aus dem Westen. Wer weiß etwa heute noch, dass Schweizer Käsereifachleute im 19. Jahrhundert die Milchwirtschaft in Georgien entwickelt haben. Bis heute produziert Georgien vorzügliche Käsesorten. Auch Österreich will zur Entwicklung beitragen. Die Regierung in Wien hat das Land im Kaukasus dieses Jahr zum Schwerpunktland seiner Entwicklungszusammenarbeit erklärt.
Ein Interview von Georgiens Präsident vor einem Jahr dürfte dazu beigetragen haben. Georgien sei das "Österreich des Kaukasus", erklärte Saakaschwili damals: http://bit.ly/9A3zg3 Landschaftlich gibt es einige Parallelen. Tiflis will die Schwerpunkte Gesundheit & Wellness (2.400 Mineralquellen in 100 Kurorten), Wintersport (Gudauri, Bakuriani und Mestia), Badeurlaub am Schwarzen Meer, Ökotourismus (Nationalparks, Wanderungen) sowie Abenteuer (Trekking, Rafting, Bergsteigen) forcieren.
Die offiziellen Stellen sind optimistisch. Im Boomjahr 2010 kamen zwei Millionen Besucher ins Land, drei Viertel davon aus den Nachbarländern Aserbaidschan, Türkei und Armenien, etwa 8% aus Russland. In diesem Jahr sollen es über drei Mio. werden - mit einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von mehr als zehn Tagen. (Diese Statistik erfasst allerdings alle Grenzübertritte, auch Verwandtenbesuche.)
Neue Projekte an der Schwarzmeerküste und in den Bergen sollen weitere Zuwächse bescheren. Investoren werden dabei mit großzügigen Anreizen ins Land gelockt. Die Schwarzmeerstadt Batumi soll zu einem Luxus-Ferienort ausgebaut werden, entlang der Küste eine "Freihandelszone" für Hotelprojekte entstehen. Daneben hofft Tiflis auf Kulturinteressierte, Naturliebhaber und Skisportler. Aus dem Staatshaushalt fließen 2011 rund 100 Mio. Euro in den Ausbau der Küstenregion um Batumi, den Badeort Anaklia und den geplanten Skiresort Mestia in Swanetien. http://bit.ly/qFeL1o
Wie Österreich hat Georgien enorme Standortvorteile - mit Millionenmärkten wie Russland, Ukraine und Polen im Norden sowie Türkei, Iran und Israel im Süden. Während die moslemischen Gäste die Freizügigkeit und Offenheit der georgischen Kultur schätzen, begeistern sich die nordländischen Besucher für den hohen Kaukasus und die fruchtbaren mediterranen Landschaften zwischen Schwarzem Meer und dem uralten Weingebiet von Kachetien. Für beide Herkunftsmärkte ist letztlich auch das niedrige Preisniveau Georgiens interessant.
Auswahl von Fotos zu diesem Beitrag zum Download
http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=3498
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Kasbek in Georgien im politischen "Klimawandel"
http://www.pressetext.com/news/20110730005/
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