Resilienz braucht reflektiertes Vorgehen
Experte: Stärkung des Umfeldes ist Teil nachhaltigen Wirtschaftens
Leo Baumfeld: Social Business im Aufwind (Foto: ÖAR) |
Wien (pte023/27.02.2012/13:55) Mit Kooperation und Vernetzung lassen sich Unsicherheiten meistern und Krisen bestehen. Diese These vertritt Leo Baumfeld, Keynote-Speaker am Austrian Social Business Day http://socialbusinessday.org , der am 15. März in Wien Unternehmen, Non-Profit-Organisationen und Social Entrepreneurs zusammenbringt. Im Interview mit pressetext appelliert der bei der ÖAR-Regionalberatung GmbH http://oear.at tätige Organisationsberater an vermehrte Reflexivität in Wirtschaft und Gesellschaft. Je stärker diese das Handeln leitet, desto eher können komplexe Herausforderungen bewältigt werden, so das Plädoyer des Experten.
pressetext: Herr Baumfeld, angesichts der wirtschaftlichen Lage und des tiefen Gesellschaftswandels ist das Thema Resilienz aktuell wie nie. Wie gelangt man zu ihr?
Baumfeld: Schwankungen und Krisen sind nichts Ungewöhnliches, sondern natürliche Teile des Marktgeschehens. Wenn man sich an derartige Probleme immer nur anpassen muss, wird man bald von ihnen überrannt, weshalb man mit ihnen schon zuvor kalkulieren sollte. Wer ausreichend evaluiert und reflektiert, kann schon früh reagieren und krisenhafte Energien des Abschwungs positiv nutzen. Das bedeutet etwa, beim Abrutschen des Produkts A möglichst rasch verwandte Produkte bzw. Leistungen zu finden, die besser laufen. Verzögert sich die Reaktion bei gravierenden Geschehnissen im Umfeld, ist ein Unternehmen weitaus krisenanfälliger.
pressetext: Welche Voraussetzungen braucht es dazu in einem Unternehmen?
Baumfeld: Viel strategische Arbeit einer vernetzten Innen- und Außenbeobachtung ist dazu nötig, womit man einerseits die eigene Kernkompetenz findet und pflegt, andererseits den Markt stets im Blick behält und Signale früh erkennt. Das heißt zugleich auch, in ausreichendem Maß interne Kommunikation und Abstimmung zu führen: Wo Unternehmen ungebunden nach ihren einzelnen Funktionen geteilt sind - da die Produktion, dort der Verkauf und anderswo die Buchhaltung - gelingen Reflexivität und schnelles Reagieren kaum.
pressetext: Skizzieren Sie damit schon ein neues Manager-Profil?
Baumfeld: Ein neuer Umgang mit Beobachtungen und Ideen ist dafür auf jeden Fall nötig, ein Sich-Einlassen auf verschiedene Deutungen, die etwa auch psychologische oder soziologische Zugänge umfassen. Berührungsängste müssen fallen, mit Systemen und Personen fernab des Altbekannten zu kooperieren und Vielfalt und Variantenreichtum zuzulassen. Darüber hinaus lautet die Aufgabe, diese Deutungen anderen zur Verfügung zu stellen - nicht als normative Vorgabe, sondern als einladende Angebote zum Mitdenken und zur Netzwerkarbeit. Egozentrismus und die ständige Sorge, selbst gut da zu stehen, muss man aufgeben, was durch Selbstreflexivität und Anerkennung guter Ideen auch anderer gelingt.
pressetext: Welche Ziele verfolgt dieses Vorgehen?
Baumfeld: Grundsätzlich geht es um mehr Nachhaltigkeit, die auch die Stärkung des Umfeldes miteinschließt. Denn zum Wesen der Reflexivität gehören die Fragen: Wie weit trage ich selbst positiv zu meinem Umfeld bei, zu dem was mich prägt und was meine wichtige Ressource ist? Wie erreiche ich soziale Einbettung, wie komme ich zu einem nachhaltig positiven Image? So gelingt es im Markt, Kunden aufrecht zu erhalten, Versorgung zu bieten und sogar Sinn zu stiften. Das Gegenteil wäre, allein kurzfristigen Gewinn zu machen, andere auszubeuten und die Umwelt zu verschmutzen.
pressetext: Der Realität der Wirtschaft halten derartige Ansprüche jedoch kaum stand.
Baumfeld: Die Gesellschaft hat drei Sphären - jene des Marktes mit dem Prinzip Wettbewerb, jene der Versorgung, in der eine Gesellschaft etwa Güter wie Wasser nach dem Prinzip der Inklusion allen gleichermaßen zur Verfügung stellt, und jene der Wirkung, bei der Geldgeber die Sensibilität etwa für umweltbewusstes Handeln stärken wollen. Jede Sphäre folgt einer eigenen Logik und braucht ein anderes Management. Resilienz und Nachhaltigkeit gelingen aber erst durch die integrative Sichtweise, in der die Ressourcen Geld, Einfluss und Macht, Wissen, Beziehungszugänge und Leidenschaft auf gleicher Augenhöhe eingebracht werden. Reflexivität ist dazu die zentrale Kompetenz. Die Marktsoziologie sagt uns, dass der Markt nicht alleine Domäne der Wirtschaft ist - und dass in der Wirtschaft nicht alleine der Markt die koordinierende Form darstellt.
pressetext: Wie steht es um diesen Blick auf die Gesamtheit heute?
Baumfeld: Das Denken in drei Sphären zugleich ist angesichts der Globalisierung vielen zu komplex geworden. Reflexartig wendet man sich der einfachsten Form zu, der Logik des Marktes. Entsprechend ist die Ökonomisierung in den vergangenen 30 Jahren fast überall auf dem Vormarsch - und wird auch für jene Bereiche diskutiert, die zwar Versorgungs- oder Öffentlichkeitscharakter haben, deren Auftrag jedoch nicht mehr klar definiert ist, wie man etwa bei der Bahn oder beim öffentlichen Rundfunk sieht. Doch oft ist der Markt nicht jene Form, die mit Krisen am besten zurechtkommt. Nötig ist deshalb ein guter Boden der Gesetzgebung, damit Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung, Versorgung und Inklusion nicht auf Akteure außerhalb des Marktes beschränkt bleiben.
pressetext: Wo gibt es die bisherigen Beweise, dass Reflexivität Vorteile bringt?
Baumfeld: In vielen Gesellschaftsbereichen. In Österreich stimmt etwa die Raumordnungskonferenz seit den 70er-Jahren Raumfragen gemeinsam ab, Regionalverbände schaffen auf Basis der Diskussion von Trends regionale Innovationen und auch die Beschäftigungspakete sind als Positivbeispiele zu nennen. Bei der Gesundheit oder in der Bildung gelingt das gemeinsame Reflektieren der Beteiligten hingegen noch kaum, weshalb Entscheidungen stark ideologie-, klientel- oder lobbygeprägt bleiben.
pressetext: Die Wirtschaft blieb bisher ungenannt. Gibt es hier noch keine Beispiele?
Baumfeld: Doch, aber ihre Rolle ist ambivalent. Vielfach setzt die Wirtschaft Reflexivität längst um und bemüht sich um Nachhaltigkeit. Doch bestimmt im global vernetzten Markt oft eher der kurzfristige Profit die Entscheidungen. Globalisierte Branchen wie Europas Autoindustrie machen ihre Gewinne seit 2010 nicht mehr in der EU, sondern in Asien. Die Beschleunigung ist besonders in der Finanzwelt rasant, wo laut dem ehemaligen US-Finanzminister Robert E. Rubin zehn Minuten schon ein langfristiger Zeitraum sind. Die Diskussion um die Finanztransaktionssteuer zeigt, dass man zunehmend an eine Entschleunigung des Systems denkt. Wichtig wäre diese Maßnahme, um klare Fakten und Transparenz zu schaffen. Das entschleunigt - und fördert Stabilität.
pressetext: Vertreter des "Social Business" sind vor allem in Klein- und Mittelbetrieben zu finden. Gelingt die Umsetzung im kleinen Maßstab leichter?
Baumfeld: Social Business bedeutet, das Prinzip des fairen Ausgleichs auch innerhalb der Marktlogik zu verwirklichen. Unternehmen nehmen dabei ihre Verantwortung in ihrem Umfeld wahr und integrieren sich - etwa durch Arbeitskräfte aus der Region oder durch Maßnahmen, die zum Erhalt eines Standortes beitragen. Vielfach sind sie damit Vorreiter bei sozialen und ökologischen Standards. Diese Inkludierung Gemeinwohl-orientierter Aspekte unterscheidet sich bewusst vom Prinzip des "Shareholder Value". Oft ist derartiges Vorgehen bei Familienunternehmen beobachtbar, weil diese das Wettbewerbs- und Inklusionsprinzip miteinander verknüpfen. Die Entscheidungsfindung ist hier oft schwieriger und komplexer und bedarf hoher Reflexivität. Die Ergebnisse sind häufig größere Stabilität und Resilienz.
pressetext: Danke für das Gespräch!
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