pte20140707004 Tourismus/Reisen, Sport/Events

100 Jahre Belucha-Erstbesteigung in Sibirien

Globale Erderwärmung auch im russischen Altai-Gebirge spürbar


Tjungur/Republik Altai (pte004/07.07.2014/09:10) Der in Europa allerorten sichtbare Gletscherschwund ist in Sibirien offenbar noch nicht so weit fortgeschritten, aber bereits spürbar. Das zeigen Recherchen der Nachrichtenagentur pressetext, die mit ihrem "Stop Global Warming"-Team am 1. Juli den Belucha im Altai-Gebirge bestiegen hat. Die Expedition fand in Gedenken an die russischen Gletscherforscher Gebrüder Tronov statt, die im Sommer 1914 den "Weißen Riesen" als Erste bezwungen haben. Der 4.605 m hohe Eisgipfel im zentralasiatischen Vierländereck zwischen Russland, Kasachstan, China und Mongolei ist rund 5.000 km Luftlinie von Wien entfernt.

Der Klimawandel zeigt auch hier bereits deutliche Auswirkungen: Steigende Temperaturen und zunehmende Trockenheit haben in den vergangenen 60 Jahren dazu geführt, dass die Gletscher im Altai-Massiv, einem beliebten russischen Urlaubsgebiet in Westsibirien, im Durchschnitt um zehn Prozent geschrumpft sind. 2008 zählten die Forscher 953 Gletscher mit einer Fläche von 724 km2 und einem Volumen von 38 km3 - gegenüber 1030 Gletschern mit einer Fläche von 805 km2 und einem Volumen von 42,5 km3 im Jahre 1952 http://1.usa.gov/1jczpg4 . Wenn die Klimaerwärmung im bisherigen Tempo voranschreitet, rechnen die Experten jedoch mit dem Verschwinden weit größerer Gletscherflächen in naher Zukunft.

Unterschiedliche Klimajahre

Ivan Khrabruych, ein 42-jähriger Extremsportler aus St. Petersburg und seit 13 Jahren für LenAlptours als Bergführer am Belucha aktiv, gibt trotzdem Entwarnung http://www.lenalptours.ru/ . Er berichtet von sehr unterschiedlichen Jahren, manche sehr trocken, manche wiederum mit sehr viel Niederschlag und eisigen Temperaturen. Gewöhnlich startet seine Saison Mitte Mai und läuft bis Ende September. In diesem Jahr konnte er die ersten Bergtouren auf den 4000er wegen der schwierigen Witterung erst Mitte Juni aufnehmen. Den Belucha-Gipfel erreichte das pressetext-Team 2014 mit ihm daher überhaupt als erste Seilschaft der Saison - bei wolkenlosem Himmel, Windstille und Temperaturen von 10 Plusgraden am Gipfel.

Ivan sieht keine allzu großen Veränderungen gegenüber seinen ersten Jahren auf dem Berg. Der Geblergletscher auf der Nordseite, er reicht bis auf rund 2230 m Seehöhe herunter, habe in seiner Zeit nur wenig Volumen verloren. Doch er registriert eine deutliche Zunahme von Steinschlag und Steinlawinen am Berg, als Folge der hohen Erwärmung an Schönwettertagen. Auch Anatoly Minichkin, der das Unternehmen Lenalptours und das auch für europäische Verhältnisse komfortable Basecamp "Vysotnik" in Tjungur http://bit.ly/TWFrWg in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut hat, ist zuversichtlich, dass der Berg noch viele Jahrzehnte Gletscher tragen wird. "Der Belucha liegt ja in Sibirien", schmunzelt er.

Anreise wie zur Zarenzeit

Egal ob zur Ski- oder Bergtour auf den Belucha: Die Anreise hat es jedenfalls in sich und ist ungewöhnlich lang. Allein für den Transfer von der Gebietshauptstadt Barnaul mit dem nächsten Flughafen zum Basecamp Tjungur (Entfernung ca. 700 km) muss man zwölf Stunden Fahrtzeit in Kauf nehmen, zu einem guten Teil über Land- und Schotterstraßen, quer durch Kulturland wie in den Alpen, doch nahezu unbewohnt und ärmlich behaust. Von dort aus geht es nur noch zu Fuß oder zu Pferd über die Berge weiter. Für die etwa 40 km Trekking von Tjungur (850 m Seehöhe) über den Karatjurek-Pass auf 3.000 Metern Seehöhe bis zum Akkem-See am Fuße des Belucha (ca. 1.800 m) veranschlagen die örtlichen Touristiker je nach Kondition zwischen zwei bis fünf Tagen, Schlafen im Zelt inklusive.

Helikopter für Zeitverwöhnte

Weitere vier bis sieben Tage sollte man - auch aufgrund der ständigen Wetterkapriolen - für die Gipfeltour veranschlagen, dann wiederum zwei bis fünf Tage für den Rückmarsch zum Basecamp in Tjungur, hat man bis dahin nicht schon dicke Blasen an den Zehen und genug vom "Zelteln" am Berg und unter freiem Himmel. Wer diese Strapazen nicht mehr auf sich nehmen möchte, kann auch einen Hubschrauber buchen, den der örtliche Oligarch für Rettungsflüge, aber auch gerne verwöhnten Tourengehern zur Verfügung stellt. Heli-Flüge zwischen dem Akkem-See und Tjungur gibt's zu durchaus erschwinglichen Tarifen, schon ab 725 Euro für die 4er Gruppe.

Die ganzjährig betriebene Ferienanlage "Vysotnik" selbst bietet das gesamte Touristikprogramm der Altai-Region, natürlich Bergsteigen im Sommer und Herbst, Skitouren im Frühjahr, geführte Trekking-Touren zu Pferd, zu Fuß oder zu Wasser. Die Rafting- und Kanutouren auf dem Oberlauf des Flusses Katun (Katyn) sind weltweit einmalig abwechslungsreich. Vysotnik liegt direkt an der Katun, die am Belucha-Gletscher entspringt und hier nach 40 Kilometern bereits Ausmaße der mittleren Donau erreicht. 600 Kilometer später vereinigt sich die Katun mit der ihrer Schwester "Bija" nahe der Handelsstadt Bijsk zum mächtigen Sibirienstrom "Ob", der wiederum 3650 Kilometer später in die Arktis mündet.

Gletscherforschung im Museum

Die Erforschung der Altai-Gletscher begann übrigens schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als der Deutsche Arzt und Naturkundler Friedrich von Gebler die Gletscherregion um den Belucha in der Geographischen Gesellschaft bekannt machte (nach ihm ist der größte Belucha-Gletscher benannt) http://www.aai.ee/abks/015.html . Die systematische Erforschung folgte später durch den russischen Glaziologen Viktor Sapozhnikov Ende des 19. Jahrhunderts und die Expeditionen der Tronov-Brüder in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Begibt man sich heute auf die Suche nach Vergleichsstudien, wird man auch im Heimatmuseum von Barnaul fündig. Hier sind die Ergebnisse von Humboldt, Gebler & Co. in alten Fotos und Forschungsberichten ausgestellt.

Anmerkung der Redaktion: Die Besteigung des Belucha erfolgte auf eigene Initiative und mit Genehmigung der Autonomiebehörde der Republik Altai in Gorno-Altaisk. Teilnehmer der Gipfeltour waren die Kärntner Wilfried Seywald (Drautal), Rudolf Sagmeister (Spittal) und Johannes Stattmann (Tröpolach). Eine große Auswahl von Fotos zu diesem Beitrag steht auf Fotodienst zum Download bereit. http://fotodienst.pressetext.com/album/3369

Es gibt eine Reihe von Reiseveranstaltern mit dem Belucha im Programm, in Deutschland etwa Paradeast http://www.paradeast.de/ , Diamir http://www.diamir.de/ und Schulz http://www.schulz-aktiv-reisen.de/ . Die meisten beschränken sich allerdings auf ein Trekking-Programm ohne Gipfel und dauern zwei bis drei Wochen, zum Pauschalpreis ab 1790 Euro. Maßgeschneiderte Individualtouren bieten die Vorort-Veranstalter http://www.sibalp.com/gr/active_tour_ger.html (Sergej Kurgin) und Vysotnik-Betreiber Lenalptours (Anatoly Minichkin), ab etwa 1500 Euro ohne Flug, dafür aber mit kompletter Ausrüstung http://www.lenalptours.ru/ .

Die Stop Global Warming Tour von pressetext

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der "Stop Global Warming" Tour der Nachrichtenagentur pressetext. 2007 hatte eine pressetext-Expedition die Folgen des Klimawandels auf dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimandscharo, untersucht. http://pressetext.com/news/070806006/ . Im Jahr darauf stand die globale Erwärmung am höchsten Berg Europas, dem Elbrus im Kaukasus im Brennpunkt http://pressetext.com/news/080728010/ und http://pressetext.com/news/080728009/ . 2009 berichtete pressetext über die Verschiebung der Regenzeiten auf dem Ararat in der Türkei http://pressetext.com/news/090707012/ und das Paradies der Schildkröten am Van-See http://pressetext.com/news/090709031/ . 2010 informierte pressetext über das Land des Schweigens (Iran) http://www.pressetext.com/news/20100814009 und über den Damavand im Schatten des Klimawandels http://www.pressetext.com/news/20100814002 . 2011 stand der Kasbek im "politischen Klimawandel" http://www.pressetext.com/news/20110730005 und die Kaukasusrepublik Georgien im Mittelpunkt http://www.pressetext.com/news/20110731001 . Im Jahr 2013 gab pressetext eine Premiere am höchsten Berg Aserbaidschans, dem Bazardüzü http://www.pressetext.com/news/20130722004 und lieferte die Reisereportage "Reisen wie ein Khan - in Aserbaidschan" http://www.pressetext.com/news/20130723006 .

(Ende)
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