pte20090707004 Bildung/Karriere, Tourismus/Reisen

Erasmus-Studien: Kontrast als Schlüsselerfahrung

Angleichung Europas Studiensysteme stellt Programm in Frage


Kontrasterfahrung ist das Geheimrezept von Erasmus (Foto: pixelio.de/Bucurescu)
Kontrasterfahrung ist das Geheimrezept von Erasmus (Foto: pixelio.de/Bucurescu)

Kassel (pte004/07.07.2009/06:10) Das Studium im Ausland bringt kein höheres Gehalt im Beruf, doch Vorteile für die persönliche Lebensführung. Das zeigen Forscher des Internationalen Zentrums für Hochschulforschung (INCHER) http://www.incher.uni-kassel.de , die langfristige Folgen des Erasmus-Programms untersuchten. Dieses Flagschiff-Bildungsprogramm der Europäischen Union unterstützt jährlich über 150.000 Studienaufenthalte im europäischen Ausland finanziell, seit der Gründung im Jahr 1987 waren es insgesamt über zwei Mio. Förderungen. Nicht ganz jeder zehnte Student in der EU nutzt Erasmus während des Studiums. Um das Programm zu evaluieren, befragten die Kasseler Forscher ehemals Erasmus-geförderte Studierende und Hochschullehrer aus 30 Ländern, inwiefern sich aus der Teilnahme positive Effekte eingestellt hätten, die über Lernprozesse und -ergebnisse innerhalb der Hochschule hinausgehen.

Anders als früher ist ein Auslandssemester heute keine Garantie mehr für internationale Beschäftigung und Berufstätigkeit. "In Sachen Einkommen und Positionen liegen ehemalige Erasmus-Studenten nicht wesentlich über ihren nichtmobilen Kollegen", berichtet Studienautor Ulrich Teichler im pressetext-Interview. Ursache für diese Entwicklung sei die höhere Bedeutung, die man heute allgemein der Internationalität beimesse. "Internationale Qualifikation bekommt man heute auch ohne Auslandsstudium. Die Lehre selbst ist in vielen Bereichen internationaler geworden, jedoch auch der Alltag." Der wichtigste Effekt des Austauschsemesters sei nicht, auf ein höheres wissenschaftliches Niveau zu kommen, sondern aus dem Kontrast mit dem Ausland zu lernen. Das sei zugleich ein kultureller und wissenschaftlicher Ertrag. "Wer in eine andere Denkwelt eintaucht, entkommt dabei dem Mainstream einer Kultur oder Universität und erkennt, dass es für jedes Problem mindestens zwei verschiedene Lösungen gibt. Dieser Erfolg ist nicht in Noten messbar, beeinflusst jedoch das spätere Leben", so der Kasseler Bildungsexperte.

Es sei jedoch zu hinterfragen, ob dieses Lernen am Kontrast noch zutreffe. "Sobald er langweilig ist, gibt es den Kontrast nicht mehr. Wer von Wien nach München wechselt, erfährt wahrscheinlich kaum einen Unterschied, der jedoch zwischen Wien und Ljubljana deutlich eintreten könnte." Zu großer Kontrast sei jedoch ebenfalls kontraproduktiv. Teichler verweist auf den misslungenen Versuch der ostasiatischen Staaten, das Erfolgsprogramm Erasmus zu kopieren. Er habe sich nicht durchgesetzt, da die Kulturunterschiede zwischen Australien, China und Japan zu groß waren, vermutet Teichler. "Erst der mittlere Kontrast gilt als kreativ. Er muss anregend, jedoch auch verarbeitbar sein."

Was dieses Kontrasterlebnis im Austauschsemester betrifft, sieht Teichler Europa im Moment auf einem Scheideweg. Bereits mehrere Jahre lang dauere der Kampf um strukturelle Angleichung der Bildung an. "Wir sind dabei, alles ähnlicher zu machen, vor allem mit dem Argument der Mobilitätserhöhung. Dabei besteht jedoch auch die Gefahr einer Über-Ähnlichkeit." Zu hinterfragen sei diese Anpassung insofern, als Mobilität für sich keinen Selbstwert darstelle. Eine Anpassung nur für die Mobilität im Studium gleiche somit dem "Ausschütten des Kindes mit dem Bade". Europa habe sich zu entscheiden, ob man noch mehr Angleichung oder den Erhalt des Variantenreichtums wolle. "Wenn wir lernen, die Vielfalt der Welt zu Hause zu verstehen, so brauchen wir unsere Kinder nicht mehr ins Ausland zu verschicken. Da dies bisher jedoch nicht möglich ist, sind wir auf den Überraschungseffekt einer anderen Kultur angewiesen", so der Hochschulforscher.

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