Jugendproteste: Europa wandelt sich politisch
Verliererstaaten möchten Gerechtigkeit, die anderen Abschottung
Protest: Europas Jugend begehrt auf (Foto: FlickrCC/Paula Pérez) |
Jena (pte018/17.06.2011/13:40) Arbeitslos, unterbezahlt und ungehört: Spaniens Jugend protestiert gegen die Regierung. "Wenn es nicht gelingt, solche Proteste in demokratische Prozesse einzuhegen, kann eine Eigendynamik entstehen, die in den Extremismus führt", sagt Soziologieprofessor, Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, im pressetext-Interview. In dem jetzt gestarteten EU-Projekt Myplace wollen Sozialwissenschaftler von 14 europäischen Universitäten untersuchen, inwieweit Erfahrungen mit Extremismus junge Menschen beeinflussen.
In Spanien ist fast die Hälfte der Protestler arbeitslos - trotz sehr guter Ausbildung. Ein ähnliches Bild zeigt sich in Portugal. "In vielen europäischen Staaten fühlt sich die Jugend von der Politik ausgegrenzt und nicht mehr repräsentiert", erklärt Dörre. Dieser Typus von Jugendprotesten habe kein Gesellschaftmodell vor Augen. "Es wird revoltiert, ohne dass die Gruppen wüßten, wo die Reise hingehen soll." Was den jungen Menschen klar sei: Südeuropa gehört zu den Verlierern der Wirtschaftskrise.
Neuer Sozialismus möglich
"Es gibt keinen Entwurf so wie der Sozialismus in den Jugendbewegungen in den 60er-Jahren", sagt der Soziologe. Man könne zwar Überschneidungen zur Anti-Globalisierungsbewegung ausmachen, aber ein Großteil werde durch Verzweifelung getrieben. Was aber nicht heiße, dass die Proteste nicht organisiert werden. "Die Jugendlichen wollen ein menschenwürdiges Leben, sie identifizieren sich nicht mehr mit dem "immer mehr wollen"", sagt Dörre.
Auch die Neoliberalismuskritik ist ein treibendes Element. Er ist durch die Krise als Idee ad absurdum geführt. "Vorbei an den traditionellen Linken könnte ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts definiert werden", vermutet Dörre. Ein weitaus gefährlicherer Extremismus könnte sich allerdings in den Staaten entwickeln, die aus der Wirtschaftskrise als Gewinner hervor gingen. Denn den Gewinnerstaaten werden nationalistische Parteien stark, die sich von den Krisenverlierern abschotten wollen.
Rechtsextreme in den Gewinnerstaaten
Der europäische Einigungsprozess ist dadurch in Gefahr, schließlich ist er vor allem ökonomisch getrieben. "Derzeit hat eine rechtspopulistische Welle in verschiedenen europäischen Ländern - wie Finnland oder den Niederlanden - populistische Parteien in die Parlamente gespült", sagt Dörre. Dort ist es den Rechtsextremen gelungen, sich von der Geschichte zu distanzieren und auch kulturelle Themen, wie etwa die Islamdiskussion, für ihre Zwecke zu benutzen. Charismatische Führungspersönlichkeiten tun dann ein Übriges.
Durch die nationalsozialistische Vergangenheit sei in Deutschland das Tabu noch sehr klar ausgeprägt, sagt Dörre. In der politischen Gegenwart spielten deshalb rechtsextreme Parteien kaum eine Rolle. Dennoch sei die Gefahr nicht gebannt. Man könne auch die Diskussion um Rechtsextremismus nicht auf die Frage der Bildung reduzieren. "Das ist kein Problem, das man einfach wegbilden kann", sagt der Jenaer Soziologe.
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