Experten: Europa muss sich auf die Zika-Epidemie vorbereiten
Kopenhagen (pts035/30.05.2016/14:30) "Die Zeit ist nicht auf unserer Seite. Das Zika-Virus zeigt nicht nur sein immer hässlicheres Gesicht, sondern auch sein Potenzial für eine globale Ausbreitung", so Prof. Raad Shakir (London, UK), Präsident der Weltföderation für Neurologie (WFN), auf dem Kongress der European Academy of Neurology (EAN) in Kopenhagen. "Wir sehen eine immer weitere Ausbreitung der Epidemie, und Europa wird sicher nicht davon verschont bleiben."
"Neurologische Expertise wird entscheidend sein für die Bewältigung der Folgen von Zika", betont Prof. Shakir. "Die WFN hat kürzlich eine eigene Arbeitsgruppe zu diesem Thema eingerichtet, um die globalen Bemühungen zur Bewältigung dieser Krise zu unterstützen." Eine wichtige Aufgabe dieser hochkarätigen Expertenrunde ist die rasche Entwicklung von Diagnostik-Leitlinien für die neurologischen Komplikationen, die mit einer Zika-Infektion einhergehen können.
Es gäbe zahlreiche Missverständnisse und Fehleinschätzungen, was das wahre Ausmaß der Risiken, die mit Zika-Infektionen einhergehen, betrifft, so der WFN-Präsident: "Viele Menschen scheinen immer noch der Meinung zu sein, dass nur Schwangere besorgt sein müssten. Schließlich kann eine Infektion während der Schwangerschaft zu schweren Missbildungen beim Fötus führen, unter anderem zur bekannten Mikrozephalie. Das ist zwar eine besonders tragische Folge einer Ansteckung, aber eine Zika-Infektion kann auch bei Erwachsenen zu schwer wiegenden neurologischen Erkrankungen führen, etwa zum Guillain-Barré-Syndrom (GBS), zu Rückenmark- oder Knochenmarksentzündungen (Myelitis) oder einer Gehirnhautentzündung."
Zwar sind die negativen Wirkungen einer Zika-Infektion auf das Nervensystem noch nicht im Detail geklärt, aber es werden vermehrt Forschungsergebnisse veröffentlicht. So zeigte etwa eine kürzlich im Lancet veröffentlichte brasilianische Studie, dass Kontakt mit dem Zika-Virus das Risiko, an GBS zu erkranken, um das 60fache erhöht. GBS führt aufgrund von immunologischen Effekten des Virus zu Lähmungen. Ohne unterstützende Therapien versterben etwa fünf Prozent der Betroffenen.
"Auch Europa wird es nicht erspart bleiben, sich genauso wie andere Regionen auf die Zika-Konsequenzen vorzubereiten", betonte in Kopenhagen Prof. John England, Neurologe an der Louisiana State University in New Orleans und Vorsitzender der WFN-Arbeitsgruppe zum Thema Zika. "Die WHO hält das Risiko einer Verbreitung über Stechmücken in den meisten Teilen Europas für gering bis mäßig ausgeprägt, ausgenommen der Regionen, in denen Aedes-Mücken verbreitet sind. Ich denke, in Europa muss man sich in erster Linie Sorgen über jene Menschen machen, die sich anderswo infizieren, die Infektion nach Europa mitbringen und hier weitergeben. In mehreren europäischen Ländern, unter anderem Frankreich und Deutschland, sind bereits sexuelle Übertragungen bekannt geworden. In Spanien wird ein Fall von Mikrozephalie untersucht und in den Niederlanden wurde ein GBS-Fall als Folge einer von einer Reise mitgebrachten Zika-Infektion registriert. Und jetzt kommt mit den Olympischen Sommerspielen ein ganz besonderes epidemiologisches Risiko auf uns zu. Es wäre unrealistisch zu glauben, dass wir nicht viel mehr importierte Zika-Fälle erleben werden, wenn tausende Athleten und Fans wieder aus Brasilien zurückkommen."
Allerdings habe Europa gegenüber anderen Teilen der Welt einen klaren Vorteil, wenn es um die Bewältigung der Zika-Folgen geht, so Prof. England: "In diesem Teil der Welt stehen relativ viele neurologische Ressourcen zur Verfügung. Da ist in vielen Ländern, die jetzt besonders schwer von Zika betroffen sind, nicht der Fall. Dort müssen wir viele Todesfälle erleben, die in weniger armen Gegenden der Welt nicht aufgetreten wären."
Nachdem derzeit weder eine spezifische Therapie noch ein kurzfristig verfügbarer Impfstoff in Sicht ist - auch wenn fieberhaft daran gearbeitet wird - müsse besonders das Bewusstsein für die Prävention geschärft werden. Prof. England: "Alle Staaten in Europa sollten Maßnahmen ergreifen, damit importierte Zika-Infektionen rasch entdeckt werden, und die Behörden sollten Reisende in betroffene Regionen ausführlich informieren, insbesondere auch was das Risiko einer sexuellen Übertragung betrifft."
In europäischen Ländern, in denen auch die Übertragung über Stechmücken möglich ist, sollten darüber hinaus Maßnahmen zur Eindämmung der Insekten ergriffen werden, insbesondere dort, wo die Gelbfiebermücke vorkommt.
Die WHO und die Panamerikanische Gesundheitsorganisation PAHO haben kürzlich Empfehlungen für Athleten und Besucher der Olympischen Sommerspiele veröffentlicht. Demnach sollte man sich konsequent vor Mückenstichen schützen, durch angemessene Kleidung und Insektenschutzmittel. Wichtig sei, während des Aufenthalts in Brasilien und vier Woche danach nur geschützten Sex zu haben oder aber auf Sex zu verzichten, und darauf zu achten, eine Unterkunft mit Klimaanlage zu buchen. Schwangeren wird nach wie vor von einer Reise in betroffene Gebiete, also auch nach Rio de Janeiro, abgeraten.
Aktuellen Zahlen der WHO zufolge meldeten zum Stichtag 18. Mai 2016 genau 60 Staaten und Territorien eine anhaltende Übertragung von Infektionen durch Stechmücken. Zehn Länder, darunter Deutschland und Frankreich, haben Übertragungen von Mensch zu Mensch berichtet, mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um sexuelle Übertragungen. Mikrozephalie und andere Fötus-Missbildungen, die mit einer Zika-Infektion in Verbindung stehen können, wurden in acht Ländern registriert, in 13 Ländern gibt es ein auffälliges Ansteigen von GBS-Fällen oder bestätigte Infektionen bei GBS-Betroffenen.
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