Österreichische Schmerzgesellschaft kritisiert Versorgungsdefizite
Gesundheitsplanung muss Schmerzmedizin berücksichtigen
Wien (pts032/18.01.2017/14:00) Wenn Mediziner den Stellenwert ihres Fachgebietes beschreiben, wird das Wort "Volkskrankheit" häufig strapaziert. "Wenn es um Schmerzen geht, lässt sich die Realität damit aber tatsächlich sehr treffend beschreiben", wählt Dr. Wolfgang Jaksch, Oberarzt am Wiener Wilhelminenspital und Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft, den Begriff bewusst.
In Österreich leiden mindestens 1,5 Millionen Menschen an diversen Formen von chronischen Schmerzen. Wie die letzte Gesundheitsbefragung der Statistik Austria zeigt, finden sich unter den zehn meistverbreiteten chronischen Leiden gleich mehrere, bei denen Schmerzen ein zentrales Symptom darstellen: Allen voran Kreuz- und andere Rückenschmerzen, chronische Nackenschmerzen oder Arthrosen.
"Rund 350.000 bis 400.000 Patientinnen und Patienten leiden an chronischen Schmerzen mit assoziierten körperlichen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen, die sich im Sinne einer eigenständigen Schmerzkrankheit 'verselbständigt' haben", erklärt Dr. Jaksch. Die Behandlung dieser komplexen Schmerzerkrankungen erfordert multimodale Strategien und muss in der Regel in spezialisierten Einrichtungen erfolgen.
Strukturelle Defizite in der Schmerzbehandlung
Was die Häufigkeit chronischer Schmerzen angeht, liegt Österreich im internationalen Schnitt. Damit hört die Vergleichbarkeit aber auch schon auf: "Anders als in anderen europäischen Ländern existiert hierzulande keine strukturierte, abgestufte und flächendeckende Versorgung für diese Patienten und Patientinnen - zumindest keine, die auch nur annähernd international anerkannte Kriterien erfüllt", so Oberärztin Dr. Gabriele Grögl-Aringer, Vizepräsidentin der Österreichischen Schmerzgesellschaft.
Tatsächlich zeigen sich auf allen Ebenen der Versorgungspyramide Mängel: Das fängt bei Defiziten in der Ausbildung an, setzt sich in einer prekären Versorgungslage im niedergelassenen Bereich und den mangelhaften Strukturen in den Schmerzambulanzen fort und gipfelt in fehlenden spezialisierten Einrichtungen für die schwerstbetroffenen Patienten mit chronifizierten und beeinträchtigenden Schmerzerkrankungen.
"Fakt ist, dass wir in Österreich zwar eine Patientencharta im Gesetzesrang haben, die das Recht auf bestmögliche Schmerzbehandlung garantiert. In der Praxis wird dieses Versprechen aber bei Weitem nicht eingelöst, weil die notwendigen Strukturen fehlen", so ÖSG-Präsident Dr. Jaksch anlässlich der 16. Österreichischen Schmerzwochen.
Schmerzambulanzen: Abbau statt Ausbau
Statt diese Defizite abzubauen, seien diese in den letzten Jahren sogar noch vergrößert worden, kritisiert OÄ Grögl-Aringer: "Während sich etwa in Deutschland die Zahl der Krankenhäuser, die eine multimodale Schmerztherapie anbieten können, zwischen 2006 und 2014 mehr als verdoppelt hat, wurden ähnliche Einrichtungen in Österreich abgebaut. In neun Krankenhäusern wurde der Ambulanzbetrieb während der letzten drei Jahre um mehr als die Hälfte reduziert, neun Schmerzambulanzen wurden in den letzten fünf Jahren gleich vollständig geschlossen."
Von den 40 verbleibenden Einrichtungen haben etliche nur noch wenige Stunden geöffnet und damit bestenfalls noch Alibicharakter. Umgelegt auf einen 40-Stunden-Betrieb stehen für die vielen Schmerzleidenden im ganzen Land gerade einmal 17,5 Schmerzambulanzen zur Verfügung. "Für eine wirkliche Vollversorgung würde es etwa 50 weitere Vollzeit-Ambulanzen brauchen", so Dr. Grögl-Aringer.
Kritik am neuen Strukturplan Gesundheit
Kritik üben die Schmerzexperten auch am aktuellen Konzept für den "Österreichischen Strukturplan Gesundheit". Im gesamten, 177 Seiten dicken Rohentwurf für das wichtigste Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen kommt Schmerztherapie ganze sieben Mal vor - allerdings nur als Teil von Versorgungsbereichen wie Palliativmedizin, Onkologie, Urologie oder Geriatrie. "Auf notwendige Versorgungsstrukturen oder die Voraussetzungen für eine adäquate postoperative und konservative Versorgung hospitalisierter Patienten wird überhaupt nicht eingegangen", so Grögl-Aringer. Ebenso fehlen Vorgaben für eine abgestufte Versorgung auf den verschiedenen Ebenen und die dafür erforderlichen Struktur- und Qualitätsmerkmale.
ÖSG liefert Grundlagen zur Verbesserung der Versorgung - Gesundheitspolitik ist am Zug
Dabei bräuchten die Gesundheitsverantwortlichen, um nachhaltige Verbesserungen herbeizuführen, keine Räder neu zu erfinden. So hat die ÖSG ein Konzept für eine Klassifikation schmerztherapeutischer Einrichtungen vorgelegt, mit dem eine abgestufte intra- und extramurale Versorgung von Schmerzpatienten gewährleistet werden könnte. "Inzwischen müsste allen damit Befassten längst klar sein, dass wir es uns gar nicht leisten können, die eklatanten Versorgungslücken weiter zu ignorieren", appelliert Dr. Grögl-Aringer. "Angesichts der jetzt schon enormen Kosten und einer ständig älter werdenden und damit schmerzanfälligeren Bevölkerung, müssen wir spätestens jetzt mit der flächendeckenden Bildung regionaler Netzwerke auf allen Versorgungsebenen sowie der Umsetzung integrierter Versorgungsprogramme beginnen."
Aus- und Fortbildung forcieren: Auf dem Weg zur Spezialisierung
Grundlagenarbeit leistet die ÖSG auch bei der Aus- und Fortbildung von Schmerzspezialisten. Mit der Spezialisierungsverordnung der Österreichischen Ärztekammer 2016 wurde die Möglichkeit für eine Spezialisierung, zusätzlich zu einem Sonderfach, geschaffen. "Wir sind bereits in sehr guten Gesprächen mit zahlreichen anderen Fachgesellschaften, denen eine optimierte Schmerzversorgung ein Anliegen ist, um eine solche Spezialisierung für Schmerzmedizin zu entwickeln", fasst Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Generalsekretär der Österreichischen Schmerzgesellschaft, den Stand der jüngsten Initiative zusammen. "Mit einer derartigen Spezialisierung könnte Österreich endlich an internationale Standards anschließen."
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