ptp20170919008 Medizin/Wellness, Forschung/Entwicklung

Neue Epilepsie-Klassifizierung erleichtert Orientierung bei Diagnose und Therapie-Entscheidungen

XXIII WCN 2017 in Kyoto, Japan vom 16. bis 21. September 2017


Kyoto (ptp008/19.09.2017/09:00) Die International League Against Epilepsy (ILAE) präsentierte jetzt beim XXIII. Weltkongress für Neurologie (WCN 2017) in Kyoto, Japan, das Ergebnis einer langjährigen Herkulesaufgabe: Eine neue Klassifikation von Epilepsie, an der hunderte Neurologinnen und Neurologen aus aller Welt mitgewirkt hatten - unterstützt auch von Menschen mit Epilepsie, deren Angehörigen, Pflegenden und Laienorganisationen.

"Der international geführte Diskussionsprozess war sehr herausfordernd, aber dringend nötig: In den vergangenen 20 Jahren hat sich ein völlig neues Verständnis für diese schwer fassbare Krankheit entwickelt. Die nun vorliegende Klassifizierung ist ein gutes Instrument für die Praxis: Sie wird Diagnose und Therapie-Entscheidungen erleichtern und die Behandlungsqualität verbessern", so Prof. Emilio Perucca, Präsident der ILAE. Außerdem sollen neue, einfach verständliche Begriffe künftig helfen, die Krankheit weltweit einheitlich und präzise zu beschreiben.

Stufe 1: Anfallstyp bestimmen

"Die Klassifikation ist dreistufig und folgt dem Weg der klinischen Diagnose. Sie hilft uns, die Epilepsie-Form zu bestimmen, unter der die Patienten leiden", erklärte Prof. Jaqueline French (NYU School of Medicine, New York), Mitglied der ILAE-Task Force. Auf Stufe eins wird der Anfallstyp bestimmt, und zwar bezogen auf die Lokalisierung der Anfälle im Gehirn: "Fokale Anfälle" gehen von einem bestimmten Bereich des Gehirns aus und betreffen nur eine Hirnhälfte. Sie können sich allerdings auch auf die andere Hirnhälfte ausbreiten, "Generalisierte Anfälle" sind nicht auf eine bestimmte Hirnregion oder auf eine Hirnhälfte eingrenzbar. Vielmehr verläuft ihre Ausbreitung innerhalb eines Anfalls im Gehirn stets anders und immer unter Beteiligung beider Hirnhälften. In die dritte Kategorie fallen Anfälle, bei denen nicht bekannt ist, wo sie ihren Ausgang nehmen.

Stufe 2: Epilepsie-Typ ermitteln

Danach wird der Typ der Epilepsie ermittelt: Bei einer "generalisierten Epilepsie" zeigt sich eine typische Spitzenwellen Aktivität im EEG. Die Betroffenen können eine große Bandbreite von Anfallstypen haben: Absenzen mit kurzer Bewusstseinspause und ohne Sturz, myklonische Anfälle mit einzelnen oder unregelmäßig wiederholten Zuckungen einzelner Muskelgruppen, klonische Anfälle, tonische Anfälle, tonisch-klonische Anfälle mit Bewusstseinsverlust, Sturz, Verkrampfung und anschließend rhythmischen Zuckungen beider Arme und Beine oder atonischen Anfälle. Für "fokale Epilepsien" charakteristisch sind fokale Anfälle, die eine der Hemisphären des Gehirns betreffen. "Als neue Gruppe haben wir ,kombinierte generalisierte und fokale Epilepsien' eingeführt", erklärte Prof. Perucca. In diese Gruppe fallen Patienten, die sowohl generalisierte als auch fokale Anfälle haben. "Zudem gibt es die Gruppe 'unbekannt' - hier lässt sich der Typus aufgrund von unzureichenden Informationen nicht feststellen", ergänzte Prof. French.

Stufe 3: Epileptisches Syndrom feststellen

Auf Stufe drei wird das "epileptische Syndrom" bestimmt, sofern dies möglich ist. Ein Syndrom ist ein Komplex von klinischen Zeichen, EEG-Befunden und Bildgebung, die gemeinsam ein klar unterscheidbares, klinisches Bild ergeben. Die Syndrome haben häufig altersabhängige Merkmale und können mit bestimmten Komorbiditäten wie geistigen und psychiatrischen Störungen verbunden sein.

Jede der drei Stufen ist, wenn möglich, mit einer Spezifikation der Ätiologie bzw. Ätiologien verbunden, die sich in sechs Kategorien gliedert:

- "Strukturell" bezieht sich auf anatomische Anomalien, die sich in einem strukturellen Neuroimaging erkennen lassen und die in einem plausiblen Zusammenhang mit den Anfällen des Patienten stehen.
- Bei "Genetisch" wird angenommen, dass genetische Mutationen für die Anfälle verantwortlich sind. Genetisch bedeutet meist nicht, dass es sich um vererbte Mutationen handelt, sondern um de-nocvo-Mutationen. In vielen Fällen gibt es starke Hinweise auf genetische Ursachen, aber die zugrunde liegenden Gendefekte sind häufig noch unbekannt.
- "Metabolisch" bedeutet, die Epilepsie entsteht aus einer bekannten oder angenommenen Stoffwechselstörungen, beispielsweise Porphyrie oder Aminoacidopathien.
- "Infektiös": Eine Infektion löst die epileptischen Anfälle aus, zum Beispiel Neurocysticercose.
- "Immun" heißt: Störungen des Immunsystems geht mit epileptischen Anfällen einher. "Die Diagnose von Autoimmun-Enzephalitiden steigt rasch an, da es immer mehr Antikörper-Tests gibt", ergänzte Prof. Perucca.
- Ist die Ursache der epileptischen Anfälle nicht eruierbar, fallen sie in die Kategorie "unbekannt".

Manche Epilepsien fallen in mehr als eine ätiologische Kategorie.

Komorbiditäten im Blick haben

Unter Neurologen steigt das Bewusstsein, auch auf die Begleiterkrankungen der Epilepsie zu achten. Dazu zählen Lernschwierigkeiten, psychische Probleme, Verhaltensstörungen, Schlafstörungen oder Probleme im Verdauungsapparat. In manchen Fällen können auch motorische Schwierigkeiten auftreten, außerdem Verkrümmung der Wirbelsäule. "Es ist daher wichtig, mögliche Begleiterkrankungen auf jeder Stufe der Klassifikation zu berücksichtigen. Dies ermöglicht eine frühe Diagnose und Identifikation der Erkrankung sowie eine entsprechende Behandlung", sagte Prof. French.

Neue Terminologie und Definitionen

Der Begriff "epileptische Enzephalopathie" ist in der Kategorisierung der ILAE enthalten. Von einer "Epileptischen Enzephalopathie" spricht man, wenn die epileptische Aktivität selbst zu schweren Verhaltensstörungen oder kognitiven Beeinträchtigung beiträgt, die über das hinausgehen, was man von der zugrunde liegenden Pathologie (z. B. kortikale Fehlbildungen) erwarten könnte. In manchen Fällen kann eine von der Epilepsie unabhängige Entwicklungsstörung zu den Problemen mit Kognition und Verhalten beitragen. Die ILAE schlägt vor, für solche Fälle den Begriff zu erweitern und von "developmental and epileptic encephalopathy" zu sprechen. Bei Entwicklungs-Ezephalopathien gibt es gleichbleibende Veränderungen der Gehirnfunktionen. Epileptische Enzephalopathien sind dynamischer, denn sie werden durch die epileptische Aktivität verursacht und verbessern sich, wenn diese verschwindet.

Im Interesse von mehr Transparenz wurden auch einige Änderungen in der Terminologie umgesetzt. So wird etwa der Begriff "benign" ("gutartig") durch die passenderen Begriffe "self-limited" ("selbstbegrenzend", bezogen auf die spontane Auflösung eines epileptischen Symptoms) und "pharmacoresponsive" ("auf Pharmazeutika ansprechend") ersetzt.

"Für eine vollständige wissenschaftliche Systematik der Krankheit wissen wir noch zu wenig über die Entstehung, den Verlauf und die Mechanismen der Epilepsie. Wir hoffen jedoch, dass sich die vorliegende Einteilung in den nächsten Jahren als nützlich für die klinische Praxis erweist. Mit dem zunehmenden Wissen über die Krankheit werden wir sie laufend weiterentwickeln", so Prof. Perucca.

Quellen: Fisher, Robert S et al: Operational classification of seizure types by the International League Against Epilepsy: Position Paper of the ILAE Comission for Classification and Terminology. Epilepsia: 1-9, 2017; Scheffer, Ingrid E et al: ILAE classification of the epilepsies: Position paper of the ILAE Commission for Classification and Terminology. Epilepsia: 1-10, 2017

(Ende)
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