pte20080724004 in Leben

Chemische Waffe von Biofilmen entschlüsselt

Bakterien-Lebensgemeinschaften liefern hochwirksame Substanzen


Braunschweig (pte004/24.07.2008/06:05) Lebensgemeinschaften von Bakterien - so genannte Biofilme - sind in Krankenhäusern der Albtraum schlechthin, weil sie sich auf Kathetern oder Implantaten bilden und dort schwere Infektionen verursachen können. Nun hat ein internationales Wissenschaftsteam, dem auch Forscher des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) http://www.helmholtz-hzi.de/ in Braunschweig angehören, entdeckt, mit welchem chemischen Trick diese Biofilme arbeiten, um allfällige Feinde abzuwehren. Darüber berichten sie in der Fachzeitschrift PLoS ONE.

"Das besondere an der Untersuchung war allerdings die Erkenntnis, dass diese chemischen Substanzen, die die Biofilme herstellen, selbst hochwirksame Subtanzen sind, die in Zukunft möglicherweise als Medikamente eingesetzt werden können", so Studienautor Carsten Matz vom HZI im pressetext-Interview. Bisher habe man nämlich das Kernproblem - nämlich die Unfähigkeit von Fresszellen, Biofilme zu beseitigen - nicht verstanden. Für die Untersuchung hat das Braunschweiger Forscherteam sich Meeresbakterien ausgesucht. "Insgesamt haben wir uns auf 30 Bakterienarten fokussiert und dann 16 genauer analysiert", so Matz. Wenn die Bakterien, die um einiges kleiner sind als Fresszellen - etwa Protozoen wie Wimpertierchen oder Amöben - frei im Meer schwimmen, sind sie eine leichte Beute. Schließen sie sich allerdings im Verband zusammen und setzen sich fest, überleben sie die Attacken. "Das Erstaunliche ist, dass die Einzeller, die die Biofilme attackieren, inaktiviert oder sogar getötet werden", erklärt Matz.

Unter den untersuchten Bakterien aus dem Meer konnte das Wissenschaftsteam das hochwirksame Pigment namens Violacein entschlüsseln. Dieses lähmt den Angreifer augenblicklich und startet bei ihm ein Selbstmordprogramm. "Einzelne Bakterien können das Violacein nicht produzieren. Das ist nur in der Gemeinschaft des Biofilms möglich", erklärt Matz. "Die Bakterien kommunizieren beim Sesshaft-Werden mithilfe chemischer Substanzen miteinander." Violacein ist für die Wissenschaftler allerdings kein neues Molekül, sondern schon länger bekannt. Man könne aber mit Sicherheit davon ausgehen, dass andere Bakterien andere Substanzen produzieren, die bisher nicht bekannt sind. "In dem Ergebnis sehe ich die Chance für einen Perspektivenwechsel, da Biofilme nicht länger nur ein Problem, sondern möglicherweise auch eine Quelle für neue Wirkstoffe sind."

"Die chemische Verteidigung gehört zu den faszinierendsten ökologischen Phänomenen", meint Matz. Vor allem gegen einzellige Parasiten, die Infektionen wie die Schlafkrankheit oder Malaria verursachen, könnten diese Substanzen, die von Biofilmen produziert werden, in Zukunft eingesetzt werden. "Diese Erreger sind den Amöben sehr ähnlich - und mit den Biofilm-Waffen möglicherweise behandelbar." Ganz aus den Augen verloren haben die Wissenschaftler aber auch die ursprüngliche Idee die Biofilme dort, wo sie unerwünscht sind, zu bekämpfen, nicht. "Dazu müssen wir sie interaktiv manipulieren und ihre Kommunikation chemisch stören." Das gelinge allerdings nur so, indem man die chemischen Tricks der sesshaft gewordenen Bakterien kennt, meint Matz abschließend im pressetext-Interview.

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