Holzbau-Experte fordert: "WDVS unbedingt systemgetreu montieren"
Verwendung systemfremder Produkte kann weitreichende Folgen haben
München/Ober-Ramstadt (pts019/18.01.2011/11:30) Wärmedämmverbundsysteme (WDVS) an Fassaden zu montieren, ist zu einem Kerngeschäft des Bauhandwerks geworden. In erster Linie profitieren Zimmereien und Stuckateurbetriebe von der anhaltend hohen Nachfrage nach intelligenten Dämmsystemen, die sich sowohl für Neubauten als auch zur energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden eignen. Bevorzugt werden WDV-Systeme, die sich durch praxisgerechte Details auszeichnen und sich dadurch unkompliziert und zeitsparend montieren lassen. Um eine sowohl handwerklich als auch baurechtlich einwandfreie Arbeit zu bewerkstelligen, müssen sich die Verarbeiter allerdings auch an die besonderen Spielregeln des WDVS-Geschäfts halten. Dipl.-Holzbauing. Guido Kuphal, Geschäftsführer des ökologisch orientierten WDVS-Anbieters INTHERMO aus Ober-Ramstadt in Südhessen, zugleich Vorstandsmitglied im Verband Holzfaser Dämmstoffe (VHD) in Wuppertal, wies heute auf der Weltleitmesse BAU 2011 im Rahmen eines Interviews auf einige Stolpersteine hin, die es in der Praxis zu (er)kennen gilt.
Redaktion: Herr Kuphal, als WDVS-Anbieter verfügt die INTHERMO GmbH mit annähernd 30.000 erfolgreich abgeschlossenen Bauvorhaben über einen beachtlichen Erfahrungsschatz. Welche rechtlichen Aspekte müssen Verarbeiter beachten, wenn sie ein Wärmedämmverbundsystem in jeder Hinsicht einwandfrei montieren wollen?
Guido Kuphal: Grundsätzlich sind Wärmedämmverbundsysteme komplexe Bauprodukte, die stets aus mehreren aufeinander abgestimmten Komponenten bestehen. In Deutschland müssen sie deshalb über eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung verfügen. Diese Zulassung gibt Auskunft über alle zulässigen WDVS-Bestandteile und ihre bauphysikalisch relevanten Eigenschaften. Die Urkunde wird vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) verliehen, nachdem alle vorgeschriebenen Tests erfolgreich bestanden wurden.
Redaktion: Immer wieder wird auf die besonders hohen Anforderungen hingewiesen, denen WDV-Systeme in Deutschland im Zuge gängiger Prüfverfahren genügen müssen. Ist das Ihrer Meinung nach wirklich nötig?
Guido Kuphal: Eine Gefährdung für Leib und Leben, die von komplexen Bauprodukten bei unsachgemäßer Ausführung oder Verwendung nicht zugelassener Komponenten ausgehen kann, muss nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen sein. Deshalb sind strenge Prüfverfahren aus meiner Sicht unbedingt erforderlich. Über die bauaufsichtliche Zulassung des WDV-Systems hinaus besteht zudem die Pflicht, alle wesentlichen Bestandteile regelmäßigen Fremdüberwachungen durch unabhängige Institute zu unterziehen. Auch das ist zu begrüßen. Nur wenn die Überwachungskriterien lückenlos erfüllt sind, darf dies mit dem Übereinstimmungsnachweis (Ü-Zeichen) besiegelt werden.
Redaktion: Die Zulassung beschreibt die Elemente und die bauphysikalischen Eigenschaften eines WDVS, während das Übereinstimmungszertifikat der praktische Nachweis dafür ist, dass die Systemkomponenten tatsächlich die in der Zulassung angegebene Qualität besitzen. Was bedeutet das für die Verarbeiter?
Guido Kuphal:: Das bedeutet, dass die Montage eines WDVS nur dann legal erfolgt ist, wenn ausnahmslos in der Zulassung aufgeführte Produkte bzw. Komponenten als zusammengehörige Bestandteile eines Systems verwendet wurden. Bei INTHERMO Wärmedämmverbundsystemen beispielsweise gehören die Dämmplatten aus natürlichen Holzfasern, die Befestigungsmittel, die Armierungsmasse, das Gewebe, der Oberputz und vieles mehr dazu. Grundsätzlich ist jeder Verarbeiterbetrieb gut beraten, alle Komponenten eines WDV-Systems aus einer Hand zu beziehen. Das vermittelt ihm die nötige Sicherheit, baurechtlich einwandfrei zu handeln. Auch der Kunde bzw. Auftraggeber profitiert davon, wenn alle Elemente auf Anhieb zueinander passen und es weder bei der Montage noch später Probleme gibt.
Redaktion: Was passiert, wenn ein Verarbeiter die Dämmplatte des Herstellers X einfach mit dem Putz des Anbieters Y kombiniert?
Guido Kuphal: Die Verwendung eines oder mehrerer systemfremder Produkte innerhalb eines WDVS kann in Deutschland weitreichende Folgen haben: Das betreffende WDVS wäre aus baurechtlicher Sicht nicht mehr zugelassen. Dadurch würde die Gewährleistungspflicht des Zulassungsinhabers automatisch erlöschen. Am Ende hätte der ausführende Betrieb mindestens fahrlässig gehandelt und müsste im Falle einer Reklamation für die Mängelbeseitigung komplett selbst geradestehen.
Bei großen Gebäuden mit entsprechend dimensionierten Außenflächen wäre es unter Umständen sogar denkbar, dass die Reklamationskosten selbst bei berechtigten Beanstandungen am Bauherrn hängen bleiben, da die aufzubringenden Summen die Finanzkraft insbesondere kleiner Handwerksbetriebe oftmals übersteigen. Dann bliebe der Bauherr zwangsläufig auf seinem Schaden sitzen, weshalb es gleichermaßen im Interesse jedes Bauhandwerkers und seines Auftraggebers liegt, auf eine rechtskonforme Ausführung der Dämm- und Putzarbeiten zu achten und sich von vornherein auf eine mit der jeweiligen WDVS-Zulassung absolut übereinstimmende Ausführung zu verständigen.
Redaktion: Woran fällt unzulässiger Materialmix bei WDV-Systemen meistens auf?
Guido Kuphal: WDVS-Verarbeiter bekommen die Folgen der Verwendung nicht zulassungskonformer Produkte zu spüren, sobald es ernsthafte Probleme gibt. Reklamationen enttäuschter Kunden oder Architekten gehen in der Regel Verarbeitungsfehler oder Kombinationen von Einzelkomponenten voraus, die miteinander nicht harmonieren oder untereinander keinen ausreichenden Verbund bilden können. Wenn sich etwa Putz und Platte nicht vertragen und es zu unschönen Rissen, Verfärbungen und Abzeichnungen an der Fassadenoberfläche kommt, ist guter Rat tatsächlich teuer!
Redaktion: Wie wird bei offenkundigen Mängeln verfahren?
Guido Kuphal: Wenn ausschließlich zulassungskonforme Komponenten verwendet und alle Verarbeitungsvorschriften des Zulassungsinhabers eingehalten wurden, steht der WDVS-Anbieter gemäß gesetzlich geregelter Produkthaftung für die Dauer von fünf Jahren bei der Beseitigung berechtigter Mängel in bestimmter Höhe ein. Sofern bei der Montage handwerkliche Fehler gemacht wurden, hat nach dem Verursacherprinzip dafür der Verarbeiter einzustehen.
Redaktion: Nachbesserung ist also möglich?
Guido Kuphal: Zur Klärung des Sachverhalts treffen sich die ausführenden Handwerker üblicherweise mit einem Mitarbeiter des Produktherstellers sowie dem Auftraggeber auf der Baustelle, um vor Ort nach der Schadensursache und dem Schuldigen zu suchen. Das Kind ist zu diesem Zeitpunkt allerdings schon in den Brunnen gefallen, was für alle Beteiligten mehr als ärgerlich ist: Der Bauherr muss unter Umständen mit dem Bauschaden leben, wenn eine Nachbesserung aufgrund der baulichen Gegebenheiten nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand - zum Beispiel einem Komplettrückbau des mangelbehafteten Gewerks - möglich wäre. Selbst Preisnachlässe sind dann nur ein schwacher Trost. Schlimmer noch trifft es den Verarbeiter, dessen guter Ruf erheblich leidet. Zudem bleibt an ihm die Beseitigung des Schadens hängen, da den Zulassungsinhaber regelmäßig nur dann eine Gewährleistungspflicht trifft, wenn der Verarbeiter nachweislich ausnahmslos die in der Zulassung aufgeführten Systemkomponenten verwendet und richtig verarbeitet hat.
Redaktion: Bevor der Verarbeiter mit der Montage beginnt, empfiehlt sich also ein vertiefter Blick in die Zulassung des WDV-Systems. Was genau wird darin beschrieben und was nicht?
Guido Kuphal: In einer WDVS-Zulassung werden alle Produkte geregelt, die in einem System zur Anwendung kommen müssen bzw. können. Dabei kann eine Zulassung auch Alternativen beinhalten, unterschiedliche Putzkörnungen zum Beispiel. Die zulässigen Variationen kann der Verarbeiter nutzen, um seinem Kunden verschiedene Systemausführungen anzubieten. Alle wählbaren Bestandteile des WDVS müssen in der Zulassung aber explizit aufgeführt sein. Daran führt kein Weg vorbei!
Bauübliche Spezialdetails wie etwa Anschlüsse an Fenster- und Sockelbereiche werden von WDVS-Zulassungen zumeist nicht erfasst. Für die Ausführung müssen branchenübliche Vorgehensweisen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik genügen. Oder der Verarbeiter wendet sich an den Hersteller bzw. Systemanbieter, um gemeinsam die passende Detaillösung zu finden. Insofern ist die Zulassung, die vor allem auf die Verwendung der richtigen Produkte zielt, die eine Seite der Medaille, die andere bildet die korrekte handwerkliche Ausführung der Montage am Objekt. Bei WDV-Systemen ist daher Teamarbeit der beteiligten Gewerke gefragt.
Redaktion: Welche Reklamationen kommen in der Praxis vor und wie lässt sich Ihnen schon im Vorfeld begegnen?
Guido Kuphal: Beobachtete Schadensbilder sind beispielsweise das Abplatzen von Oberputzen, die nicht systemkonform appliziert wurden, ferner das Eindringen von Feuchtigkeit an schwierigen Detailstellen wie etwa Fensterbankanschlüssen. Ungenügender Schutz des WDV-Systems im Spritzwasserbereich der Fassade gilt ebenfalls als Ursache für den Eintrag von Feuchtigkeit in die Außenwandkonstruktion. Häufig zu beobachten sind auch "Marienkäfereffekte": Dabei handelt es sich um sichtbare Abzeichnungen von Tellerdübeln auf der Fassade, was zumeist an einer zu geringen Schichtdicke des aufgetragenen Putzes liegt. Ein typischer Verarbeitungsfehler, der sich herstellerseits mit gezielten Schulungen der Ausführenden vermeiden lässt.
Der Verarbeiter kann solchen Schäden seinerseits entgegenwirken, indem er zum einen nur systemkonforme Produkte verwendet und zum anderen die Verarbeitungshinweise des WDVS-Anbieters genauestens beachtet, also zum Beispiel die jeweils empfohlene Schichtdicke des Putzes. Empfehlenswert ist auch, vor Beginn der Arbeiten Kontakt mit dem Zulassungsinhaber aufzunehmen, um schwierige Ausführungsdetails im Gespräch zu klären. Spätere Probleme und Reklamationen können dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Redaktion: Wie wird den Verarbeitern das spezifische Montage-Fachwissen normalerweise vermittelt? Gibt es dafür so etwas wie einen standardisierten Lehrplan?
Guido Kuphal: Anbieter von WDV-Systemen sind verpflichtet, ihre Verarbeiter regelmäßig und umfassend zu schulen. Die Schulungsverpflichtung ist Gegenstand der bauaufsichtlichen Zulassung. Danach muss jeder WDVS-Anbieter seine Verarbeiter auf alle wichtigen Details hinweisen und das erforderliche Anwenderwissen in geeigneter Weise vermitteln. Brancheneinheitliche Standards oder Lehrpläne gibt es dafür bislang nicht. So genannte Zertifizierungsschulungen haben sich aber als praxisgerecht erwiesen. Die Verarbeiter müssen dabei einen theoretischen und einen praktischen Schulungsteil durchlaufen, wofür sie am Ende ein Zertifikat erhalten, das ihnen die aktive Teilnahme an einer Schulung zur korrekten WDVS-Applikation bescheinigt.
Redaktion: Wie sieht das konkret bei Ihrem Unternehmen INTHERMO aus?
Guido Kuphal: INTHERMO unterhält eine eigene Akademie, bei der in regelmäßigen Abständen unterschiedliche Inhalte in Theorie und Praxis vermittelt werden. Auf dem Programm stehen unter anderem Schulungen für Verarbeiter von Wärmedämmverbundsystemen im Holzbau und im Mauerwerksbau, Dämmsysteme für Neubauten aus Holz oder Mauerwerk, WDV-Systeme zur energetischen Sanierung von Bestandsgebäuden, die Sanierung älterer Fertighäuser, Vorträge zu den Inhalten der geltenden und der kommenden Energieeinsparverordnung (EnEV 2009 vs. EnEV 2012) sowie last not least eine Seminarreihe über Fördermittel, die Hauseigentümern und Bauherren bei der Finanzierung ihrer Dämmvorhaben nützlich sein können. Generell zielt die INTHERMO AKADEMIE darauf ab, die Beratungskompetenz und Verhandlungssicherheit des Handwerkers zu stärken. Wir wollen die Praktiker vom Bau dafür sensibilisieren, dass sie im Kontakt mit Kunden immer auch Repräsentanten eines Wirtschaftsunternehmens und somit Verkäufer ihrer handwerklichen Leistung sind.
Redaktion: Herr Kuphal, wir danken Ihnen für dieses faktenreiche Gespräch!
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