Österreichs Tourismusforscher schlagen Alarm
Versäumnisse in der Grundlagenforschung - Uni-Lehrstuhl gefordert
Wien (pts003/22.02.2014/15:55) Österreichs Tourismusexperten beklagen Versäumnisse in Politik und Wirtschaft bei der Grundlagenforschung. 5,5 Prozent BIP-Anteil und über 330.000 Arbeitsplätze in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft sind offenbar nicht ausreichend für einen einzigen öffentlich-rechtlichen Lehrstuhl für Tourismus und Freizeitwirtschaft, kritisiert der Rektor der privatwirtschaftlich organisierten Modul-Universität, Prof. Karl Wöber. Österreich leiste sich Universitäten mit Guggenheim-Architektur, aber für ein Tourismus-Institut fehlt das Geld, sagte Wöber auf einer Veranstaltung des Travel Industry Club Austria (TIC-A) am Freitag abend in Wien. http://www.travelindustryclub.de
"Grundsätzlich mangelt es nicht an Forschung & Entwicklung, da stehen wir im europäischen Vergleich sehr gut da", erläuterte Statistik-Austria-Experte Peter Laimer zu Beginn der Veranstaltung. Die touristische Forschung ist Grundlage für Innovation und sorgt für Wettbewerbsfähigkeit. Es sei allerdings schwierig, sie ausreichend abzugrenzen oder als eigene wissenschaftliche Disziplin zu definieren, schränkte Laimer ein. Dazu sei sie zu interdisziplinär. Allein in Österreich beschäftigen sich dutzende universitäre wie außeruniversitäre Einrichtungen mit Tourismusforschung. Da sei es kaum möglich herauszufinden, wo sich die Tourismusforschungsausgaben "verstecken".
Karl Wöber, Chef der Modul University am Kahlenberg, bestätigte, dass es viel Forschung gibt, bezweifelte allerdings, ob sie im Tourismus stattfindet. Man müsse hier auch zwischen angewandter und Grundlagenforschung unterscheiden. Es gibt sicher viel angewandte Forschung, auch an den Fachhochschulen, doch so gut wie keine Grundlagenforschung, versicherte Wöber. Das kann man an der Anzahl der Professoren, die explizit dafür bestellt sind (nämlich keine), oder auch an der Zahl der Mitarbeiter, die losgelöst von Finanzierungsfragen im Tourismus forschen, ablesen. "Da haben wir in den letzten Jahren ein riesengroßes Problem bekommen", warnte Wöber.
Der Forschungsbereichsleiter der IMC TourismFACTORY an der Fachhochschule Krems, Georg Christian Steckenbauer, relativierte die Bedeutung eines eigenen Tourismus-Lehrstuhls. Er plädierte für eine Bündelung bestehender Ressourcen und verstärkte Kooperationsanstrengungen. Die Probleme würden nicht durch einen Lehrstuhl gelöst. Die Bandbreite der Forschung sei groß, letztlich geht es um den Verwertungskontext, um Mehrwert und Verwertbarkeit, sagte Steckenbauer. Wo er allerdings ebenso wie Daniela Wagner von der FH Wien Handlungsbedarf sieht, ist die Übersetzungsleistung und Kommunikation von Forschungsergebnissen an die Öffentlichkeit.
Wöber dagegen warnte explizit vor dem "Niedergang der heimischen Tourismusforschung". Nicht nur Politik, Medien und Touristiker, auch die Universitäten selbst seien verantwortlich, erklärte er. "An der WU gibt 15 Forschungsinstitute, warum keines mehr für Tourismus?" Transferleistungen der Tourismusforscher würden nicht honoriert, für Universitätsrankings seien sie überdies bedeutungslos. Wöber: "Das Diktat der Zahlen bringt die Tourismusforschung um. Es gibt zu wenig Publikationen; das wird nachteilig bewertet. Die Universitätsleitung fordert Publikationen, die ihr Ranking verbessern. Tourismus ist nicht dabei." Hier sei die Frage zu stellen, mit wem die WU in Konkurrenz stehe. "Derzeit überholen uns Hochschulen in Asien, Nordamerika und Australien."
Signal an die Branche
Der Lehrstuhl für Tourismus und Freizeitwirtschaft wurde nach der Pensionierung von Prof. Josef Mazanec nicht mehr nachbesetzt. Zwischen 1982 - 2011 wurden laut Karl Wöber 84 Dissertationen betreut, die Absolventen sind heute in führenden Positionen des Österreichischen Tourismus tätig. Seither kann ein Tourismus-Doktorat bzw. Ph.D. nur noch am Kahlenberg erworben werden. So wie die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) fordert auch der Travel Industry Club (TIC) vehement, dass der seit 2011 verwaiste Lehrstuhl nachbesetzt und die touristische Grundlagenforschung in Österreich auf neue Beine gestellt wird.
Wöber sieht jedenfalls großen Nachholbedarf. Der Chef der Modul University wird seine im Eigentum der Wirtschaftskammer Wien befindlichen Universätskapazitäten in den nächsten Jahren von derzeit 450 auf 1000 Studentenplätze aufstocken, weit über 70 Prozent der Bewerber kommen aus dem Ausland. Diese zunehmende Nachfrage müsse auch Konsequenzen für den öffentlich-rechtlichen Universitätsbetrieb haben: "Es gibt nichts praktischeres als eine gute Theorie", betonte Wöber. "Es braucht dringend dezidierte Förderungsmittel für die Tourismusforschung und eine eigene Programmlinie; das wäre schon ein Riesenschritt und ein Signal an die Touristikbranche."
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