Forscher üben Kritik am Corona-Kurs Italiens
Festhalten am Ausnahmezustand unangemessen - Virus laut Chefarzt Zangrillo "klinisch tot"
Leere Tische: Experten kritisieren Regierung (Foto: Andrea Damm, pixelio.de) |
Rom (pte032/11.08.2020/12:30) Auch in Italien gehen die wissenschaftlichen Meinungen zur Bewertung der Corona-Krise immer weiter auseinander. Während die Regierung am Kurs ihres Beraterstabs und den daraus getroffenen Hygiene-Verordnungen festhält, werden bei den an vorderster Front kämpfenden Klinikärzten und Forschern gegenläufige Stimmen laut.
Weniger Gefahr als im März
Allen voran Alberto Zangrillo, Chefarzt am Ospedale San Raffaele in Mailand http://hsr.it , der in den vergangene Wochen und Monaten mehr als Tausend Corona-Patienten behandelt hat, kritisiert die Regierung. "Das Virus ist bereits seit zwei Monaten klinisch tot, es hat fast vollständig an Ansteckungkraft und Gefährlichkeit verloren", so seine Feststellung. Die Intensivstationen in ganz Italien stünden seit geraumer Zeit fast völlig leer. "Meine Sorge gilt jetzt den vielen an anderen Pathologien leidenden Kranken, die seit Monaten auf eine Behandlung warten."
Zangrillo verurteilt auf Schärfste die in den Medien praktizierte Kommunikationsstragie, die trotz stark abgeflachter Infektionskurven nach wie vor auf die Verbreitung von Angst und Panik setze. Stattdessen müssten die Italiener sachlich aufgeklärt und beruhigt werden. Jetzt gelte es, sich auf ein vernünftiges Zusammenleben mit dem Virus einzustellen. Dazu gehörten auch die Einhaltung der Abstandsregeln und das Maskentragen in geschlossenen Räumen.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt Matteo Bassetti, Chefinfektologe am Policlinico San Martino in Genua http://ospedalesanmartino.it : "Von SARS-CoV-2 geht erheblich weniger Gefahr aus als noch im März. Ich spreche von einem Verhältnis von zehn zu 100, eher noch geringer." Diese Einschätzung habe ihm neben zahlreichen Anfeindungen und Beschimpfungen auch die Abstemplung als "negazionista", ein für Holocaustleugner verwendetes Schimpfwort, eingebracht. "Falls es in diesem Land nicht mehr möglich sein sollte, seine eigene Meinung zu äußern und unabhängige Forschung zu betreiben, werde ich meine Konsequenzen ziehen", so der Wissenschaftler.
Die von Zeit zu Zeit in Italien zu beobachtenden Infektionsherde seien überwiegend auf ausländische Besucher oder aus dem Ausland zurückkehrende Italiener zurückzuführen und deshalb leicht unter Kontrolle zu bringen. "Wir haben aus den Ereignissen der vergangenen Monate gelernt, mit dem Virus umzugehen und geeignete Therapien erfolgreich durchzuführen", so Bassettis Fazit. Dazu gehört auch die von Giuseppe De Donno im Ospedale Carlo Poma http://asst-mantova.it in Mantua begonnene Plasmatherapie, die inzwischen Nachahmung in anderen italienischen Kliniken und anderen Teilen der Welt gefunden hat.
Virus seit 2019 in Verbreitung
Auf die über 35.000 mit und an COVID-19 gestorbenen Italiener angesprochen, weist De Donno auf die während des Krisenhöhepunkts in der Provinz Bergamo gemachten gravierenden Management- und Behandlungsfehler hin. Infolge amtlich angeordeneter Therapievorgaben seien Tausende Patienten in Intensivstationen falsch behandelt worden. Außerdem sollten Zahlen relativiert werden, indem beispielsweise an die jährlich fast 50.000 Toten gedacht werde, die in Italien allein durch Infektionen an Krankenhauskeimen versterben.
Von einer Überschätzung der Gefährlichkeit von SARS-CoV-2 spricht auch Pasquale Mario Bracco, der in Bari eine Dienstleistungsfirma http://meleamspa.com mit einem eigenen Forschungslabor betreibt. Seiner Ansicht nach ist das Virus in Italien bereits im Oktober 2019 zum ersten Mal aufgetaucht, nachdem in der Lombardei im gleichen Monat auffallend viele atypische Lungenerkrankungen beobachtet worden waren. "Mindestens 38 Prozent der italenischen Bevölkerung haben bereits inzwischen unmittelbare Bekanntschaft mit dem Virus gemacht." Die Herstellung eines wirksamen Impfstoffes sei de facto unmöglich, da das Virus sehr rasch und kontinuierlich mutiere.
In die gleiche Richtung geht die Meinung von Giulio Tarro, emeritierter Lehrstuhlinhaber an der Virologia Oncologica der Universität von Neapel http://unina.it . "Das Virus ist bereits seit Monaten am Absterben." Deshalb gehen dem Experten nach mittlerweile 99 Prozent der Infizierten als genesen in die Statistik ein. Die Angst vor einer zweiten Welle sei unbegründet. Tarro bezeichnet die Maskenpflicht als wirkungslos und zugleich gesundheitsgefährdend. Neben den Schulen sollten im September auch Theater, Kinos und Stadien wieder geöffnet werden. Aus den Sterbestatistiken gehe hervor, dass die COVID-Toten im Schnitt 80 Jahre alt und 95,5 Prozent an anderen Pathologien erkrankt waren.
Impfstoffe nicht der richtige Weg
Der Einsatz von Impfstoffen ist Tarro zufolge nicht das richtige Mittel. Bei der Prävention gehe es vor allem um die Stärkung des Immunsystems in Form von gesunder Ernährung, körperlicher Bewegung unter freiem Hmmel und der Einnahme von Vitaminen. Äußerst schädlich seien Angst und Panik, da sie Abwehrkräfte deutlich schwächten. Auf die Toten von Bergamo angesprochen, sagt er, dass in der Region von der Gesundheitsämtern im Vormonat 185.000 Impfdosen gegen Grippe und 34.000 Impfdosen gegen Meningokokken bestellt worden waren. Bei der obersten italienischen Gesundheitsbehörde ISS deswegen anhängig ist eine Anfrage, wie viele der amtlich genau nach Altersklassen und Vorerkrankungen geordenten Corona-Toten zuvor einer Grippe-Impfung unterzogen worden waren.
Unterdessen bewegt sich das Infektionsgeschehen in Italien auf einem sehr komfortablen und dem europaweit besten Niveau. Trotzdem hat Regierungschef Giuseppe Conte eine Verlängerung des Ende Januar ausgerufenen Ausnahmezustandes bis Mitte Oktober veranlasst. "Wir dürfen das unter vielen Opfern Erreichte nicht gefährden und müssen angesichts der weltweiten Entwicklung der Fallzahlen jederzeit auf das Schlimmste gefasst sein", so Conte. Ähnlich wie die meisten seiner europäischen Amtskollegen vertritt er die Auffassung, dass die Pandemie nicht beendet sei, solange kein Impfstoff bereitstehe.
Unter Erklärungsdruck steht Conte unterdessen wegen der seinerzeit trotz Anraten des technischen Beraterausschusses unterlassenen Einrichtung einer Sperrzone in den Nachbargemeinden von Bergamo. Immer noch fehlt zudem die Herausgabe eines Großteils der von der Regierung geheim gehaltenen Unterlagen, die Ende Januar zur Ausrufung des Ausnahmezustandes geführt haben. Nicht leicht haben werden es auch die italienischen Staatsanwälte und Richter, die über die von den Angehörigen der Toten in der Provinz Bergamo "Noi denunceremo" eingereichten Klage zu den Verantwortllichkeiten von Behörden und Altersheimen während des Höhepunktes der Krise zu befinden haben.
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