pts20231219012 Kultur/Lifestyle, Politik/Recht

Neue WHO- und UN-Leitlinien fordern ein Verbot von Zwangspraktiken der Psychiatrie


Berlin/München (pts012/19.12.2023/09:15)

Menschenrechtler protestieren gegen Deutschen Psychiatrie-Kongress, der Zwang, Psychopharmaka und Elektroschocks für Kinder propagiert

Proteste der Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) gegen den Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie (DGPPN) richten sich gegen Zwangspraktiken, Gewalt und Elektroschocks in deutschen Anstalten. Zudem kritisiert der Verein massive Interessenskonflikte beim Psychiatriekongress, der vom 29.11. bis 2.12.23 in Berlin stattgefunden hat. Die Pharmaindustrie sponserte den Kongress mit knapp 1 Mio. Euro gefördert wurde der Kongress außerdem u.a. von einer Münchener Firma, die in Europa Elektrokrampfgeräte verkauft. Beim Kongress ging es auch um Zwang, Psychopharmaka und Elektroschocks. Letztlich geht es um Milliardenprofite der psychiatrischen Industrie. Rund 5700 Menschen erhalten in Deutschland pro Jahr Elektrokrampftherapie (EKT), die Dunkelziffer ist höher. Doch wie viele von ihnen leiden in der Folge an Gedächtnislücken oder Suizidgedanken? Wie viele Patienten werden zwangsbehandelt mit Psychopharmaka? Welche Nebenwirkungen treten auf? Wie viele Patienten sterben? Es gibt keine einheitliche Dokumentationspflicht in Anstalten. Es fehlt die Transparenz. Das Wohl der Patienten bleibt oft auf der Strecke, wie Geschädigte berichten. Elektroschock-Überlebende bezeichnen die Methode immer wieder als Folter. Beim DGPPN-Kongress wurde sogar für mehr Elektroschocks bei Kindern geworben. Neue Leitlinien der World Health Organisation (WHO) und der United Nations (UN) fordern hingegen ein klares Verbot von E-Schocks an Kindern, nachdem Hirnschäden nachgewiesen wurden.

Die KVPM verlangt die sofortige Abschaffung psychiatrischer Zwangspraktiken, einschließlich Elektroschocks, Fesselungen von Patienten und die zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka. Die Menschenrechtsgruppe beruft sich dabei auf neue Leitlinien der WHO und des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen zu psychischer Gesundheit, Menschenrechten und Gesetzgebung, vom 9.10.2023, worin unfreiwillige Einweisungen, die Anwendung von Zwangs- und Isolationsmaßnahmen sowie Zwangsbehandlungen, einschließlich Elektroschocks eindeutig verurteilt werden.

In einer gemeinsamen Veröffentlichung fordern die WHO und die UN ihre 193 Mitgliedsstaaten dazu auf, u.a. folgende Reformen durchzuführen:
- "Der Gesetzgeber sollte alle unfreiwilligen Maßnahmen eindeutig verbieten."
- "Zwangspraktiken in der psychiatrischen Versorgung verletzen das Recht auf Schutz vor Folter oder grausamer, unmenschlicher u. erniedrigender Behandlung..."
- "Eine Person darf an einer anderen Person keine der folgenden Maßnahmen anwenden oder durchführen: (a) Tiefschlaftherapie; (b) Insulinkomatherapie; c) Psychochirurgie und (d) jede andere Operation oder Behandlung, die durch Vorschriften verboten ist."
- "Die Patienten müssen das Recht haben, die Behandlung abzulehnen und sich
für alternative medizinische Hilfe zu entscheiden."
- "Elektroschocks verursachen Hirnschäden u. sollten bei Kindern verboten werden."
- Der Gesetzgeber muss sicherstellen, dass Verstöße gegen die Gesetze geahndet werden, indem er "zivil-, verwaltungs- oder strafrechtliche Sanktionen" und Entschädigungen vorsieht. (1)

Zuvor, am 9. Juni 2021, veröffentlichten die WHO und die Vereinten Nationen einen "Leitfaden für gemeindenahe psychiatrische Dienste", die die Warnungen und Berichte von Betroffenen und Menschenrechtsgruppen über schädigende psychiatrische Zwangspraktiken bestätigen. Auszug aus dem WHO/UN-Leitfaden: "Zwangspraktiken sind weit verbreitet und werden in den Diensten von Ländern auf der ganzen Welt zunehmend eingesetzt, … obwohl es erhebliche Beweise dafür gibt, dass sie zu physischen und psychischen Schäden und sogar zum Tod" geführt haben. (2)

In Berlin sah sich der DGPPN-Psychiatriekongress im Messezentrum jeden Tag mit Protesten konfrontiert, darunter von Psychiatriegeschädigte sowie von Mitgliedern zweier Menschenrechtsvereinen, einer davon ist die KVPM Deutschland e.V.

Vor dem Kongressgebäude auf dem Messegelände zeigte die KVPM parallel zur DGPPN-Tagung in einem 126 Quadratmeter großen Zelt die internationale Wanderausstellung: "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", die anhand von 14 Stellwänden und verschiedenen Dokumentarfilmen die schädigenden Praktiken der Psychiatrie damals und heute aufzeigt. In den drei Tagen besichtigten rund 400 Kongressteilnehmer die Ausstellung. Darunter waren auch 3 Psychiatriegeschädigte. Die meisten Besucher waren Psychiater, Psychologen, Krankenpfleger, Leiter psychiatrischer Anstalten, Leiter sozialpsychiatrischer Dienste sowie Herausgeber von Medizinzeitschriften. Einige Psychiater zeigten sich erstaunlich offen, begrüßten die Aktion der KVPM und beschwerten sich über korrupte Kollegen.

Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, veranstaltete die KVPM anlässlich der Jahrestagung der DGPPN in Berlin am 1.12.2023 einen Protestmarsch vom Potsdamer Platz durch die Berliner Innenstadt, gefolgt von einem 7.5 Tonnen LKW, der auf zwei großformatigen LED-Wänden die Dokumentation zeigte: "Therapie oder Folter – Fakten über Elektroschock." Die Menschenrechtler versammelten sich abschließend zu einer lautstarken Protestkundgebung vor dem CityCube und verlangten ein Verbot von Elektroschocks und ein Ende der Zwangspsychiatrie.

Die KVPM erhielt dieses Jahr die Unterstützung von Frau Zhannat Kosmukhamedova, PhD, einer früheren Mitarbeiterin des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC), die neben dem KVPM-Vorstand Nicola Cramer und Bernd Trepping am 1.12.2023 bei der Eröffnung der Wanderausstellung "Psychiatrie: Tod statt Hilfe" eine bewegende Ansprache hielt über die Wichtigkeit der Umsetzung der WHO/UN-Leitlinie.

In ihrer Ansprache betonte Frau Dr. Zhannat Kosmukhamedova die Bedeutung der WHO/UN-Leitlinien: "Die Leitlinien der WHO und der UN verurteilen die nicht freiwillige Einweisung, die Anwendung von Zwangs- und Isolationsmaßnahmen sowie die Zwangsbehandlung, einschließlich Elektroschocks. Sie verpflichten sich zu ´Null´-Toleranz gegenüber psychiatrischen Zwangspraktiken und fordern alle Regierungen auf, dies ebenfalls zu tun. Die Empfehlungen sind die schärfsten, die es je gab, um psychiatrischen Missbrauch vor Gericht zu bringen und die Patienten zu schützen."

Frau Kosmukhamedova erläuterte: "Den Mitgliedsländern dienen die Leitlinien als Kompass. Sie geben den gesetzgebenden Organen, politischen Entscheidungsträgern und der Zivilgesellschaft Orientierung bei der Schaffung eines Umfelds, das das psychische Wohlbefinden fördert und gleichzeitig die Würde und die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger wahrt. Es geht nicht nur um Gesetze, sondern um Veränderung, Verständnis und Empathie."

Des Weiteren führte sie aus: "Die gemeinsamen Leitlinien der WHO und der UNO sind mehr als nur ein Dokument ... Ein Aufruf zum Handeln für uns alle - uns eine Welt, in der psychische Gesundheit und Menschenrechte Hand in Hand gehen, nicht nur vorzustellen, sondern diese in die Praxis umzusetzen."

Einige Psychiater warben auf dem DGPPN-Kongress für den vermehrten Einsatz von Elektroschockbehandlungen in der Psychiatrie. Prof. Michael Grözinger, Aachen, und die Referenten seines Workshops sehen die EKT als ultimative Lösung zur Verbesserung von Fällen, die auf andere Therapien nicht ansprechen. Dr. Steffen Weirich aus Rostock warb sogar für mehr Einsatz von Elektroschocks bei Kindern.

Ein Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen über "Psychische Gesundheit und Menschenrechte" aus dem Jahr 2018 fordert dagegen die Regierungen der Welt dazu auf, psychiatrische Zwangsbehandlung, einschließlich Elektrokonvulsionstherapie (EKT) "als Praktiken zu erkennen, die Folter oder eine andere unmenschliche oder degradierende Behandlung oder Bestrafung darstellen."(3).

Die neuen Leitlinien der WHO und des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) erkennen die hirnschädigenden Auswirkungen der EKT und kommen zu dem Schluss, dass die "EKT für Kinder nicht empfohlen wird und gesetzlich verboten werden sollte". (4)

In einer im Februar 2023 in der Zeitschrift Acta Psychiatrica Scandinavia veröffentlichten Studie wurde festgestellt, dass Patienten nach einer EKT mit einer 44-mal höheren Wahrscheinlichkeit durch Selbstmord sterben als Menschen in der Allgemeinbevölkerung. (5)

Dennoch werden jedes Jahr weltweit 1,4 Millionen Menschen einer EKT unterzogen, darunter auch Kinder. Mehrere Gerichtsverfahren wegen nach EKT aufgetretenen Hirnschäden, Gedächtnisverlust und/oder unrechtmäßigem Tod, haben zu Entschädigungszahlungen in Höhe von 1,35 Millionen Dollar (1,2 Millionen Euro) und zu Vergleichssummen in nicht veröffentlichter Höhe geführt. (6)

Der Präsident der KVPM Deutschland e.V., Bernd Trepping, ist überzeugt, dass die neuen WHO-UN Richtlinien das veraltete System der Zwangspsychiatrie beenden. "Wir fordern die deutsche Regierung, das Europäische Parlament und alle Regierungen der Welt auf, die Anwendung der Elektrokrampftherapie (EKT) zu verbieten und Gesetze zu erlassen, die Schlupflöcher für psychiatrische Zwangspraktiken verbieten. Die neuen WHO/UN-Leitlinien müssen umgesetzt werden, um die Menschenrechte im psychiatrischen System endlich herzustellen."

Für weitere Informationen:
Bernd Trepping
KVPM Deutschland e.V.
Beichstraße 12
80802 München
Tel: +49 89 273 03 54 oder +49 178 613 74 67
Web: www.kvpm.de

(1) World Health Organization, OHCHR, 9 October 2023 "Guidance on Mental Health, Human Rights and Legislation https://www.who.int/publications/i/item/9789240080737

(2) World Health Organization, June 2021, Guidance on community mental health services - Promoting person-centered and rights-based approaches, p. 8. ISBN 978-92 4-002570-7

(3) Annual report of the UN High Commissioner for Human Rights to the UN Human Rights Council, 24 July 2018, p. 14, item 46.

(4) World Health Organization, OHCHR, "Guidance on Mental Health, Human Rights and Legislation," June 2022

(5) Peter Simons, "ECT Does Not Seem to Prevent Suicide," Mad In America, 17 Feb. 2023, citing: Spanggård, A., Rohde, C., & Østergaard, S. (2023). Risk factors for suicide among patients having received treatment with electroconvulsive therapy: A nationwide study of 11,780 patients. Acta Psychiatrica Scandinavica. Published online 6 Feb. 2023

(6) https://www.cchrint.org/ect-model-law/#_ftn8; Lawsuits are in Australia, the UK and U.S.

(Ende)
Aussender: KVPM Deutschland e.V.
Ansprechpartner: KVPM
Tel.: +49 89 2730354
E-Mail: info@kvpm-deutschland.de
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