Dissidenten: Blanke Willkür in Aserbaidschan
"Dokumentation des Schreckens" von Historikern Leyla und Arif Yunus
Wien (pte021/15.11.2018/13:59) Folter, Korruption über alle Ebenen und blanke Willkür im Umgang mit Journalisten, Oppositionellen und Andersdenkenden in Aserbaidschan haben die 2016 aus der Haft entlassenen Menschenrechtsaktivisten Leyla und Arif Yunus am Donnerstag in Wien angeprangert. Im Rahmen einer Buchvorstellung im PEN-Club Austria kritisierten die zwei gelernten Historiker das autoritäre Regime in dem Kaukasusstaat als "blutige Diktatur", die vor Mord und Tortur nicht zurückschreckt. Allein seit Sommer wurden acht Regimekritiker umgebracht, über 150 sitzen in politischer Haft.
Asyl in den Niederlanden
Leyla Yunus war aufgrund ihrer Menschen- und Bürgerrechtsaktivitäten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1993 in ihrer Heimat eine bedeutende Persönlichkeit im Kampf gegen die politische Willkür und ein Dorn im Auge des allmächtigen Staatschefs Ilham Alijew. Ihr Engagement für die Zivilgesellschaft und für die Aussöhnung zwischen Aserbaidschan und Armenien im Karabach-Konflikt ebenso wie ihr Einsatz für verfolgte Regimekritiker, brachten sie im Juli 2014 hinter Gitter, ihren Mann Arif sogar in Isolationshaft - mit Folter, Demütigung und absolutem Schreibverbot.
Nur dank der Hilfe eines Charité-Arztes aus Ostdeutschland und des politischen Drucks von EU und Schriftstellerverbänden gelang es dem Ehepaar, aus den Folterkammern des Alijew-Regimes zu entkommen und politisches Asyl in den Niederlanden zu erlangen. Die zwei Jahre seither verbrachten die beiden Autoren damit, das Erlebte zu verarbeiten und zusammen mit einer Vielzahl an Dokumenten und Informationen aus Aserbaidschan in ein packendes Buch zu fassen, das mit der Hilfe des PEN-Club Austria nun auf Deutsch vorliegt. Titel: "Vom sojwetischen Lager zum aserbaidschanischen Gefängnis".
Laut den zwei Dissidenten hat sich die politische und soziale Lage nach dem Ende des Sowjet-Regimes eher verschlechtert, der Analphabetismus unter Frauen erschreckend zugenommen, Menschen- und Drogenhandel, Prostitution und Geldwäsche über die Grenzen zum Iran seien gang und gäbe, Korruption über alle Ebenen bis hinauf in die Staatsspitze allgegenwärtig. Dort pflegt man heute eben statt Lenin-Kult und Sowjet-Kommunismus die Verehrung von Hajdar Alijew (Vater) und "Demokratie alijewscher Prägung", mit willkürlichen Verhaftungen, Geheimpolizei und Gefängnissen zur Abschreckung für Medien, Opposition und zivilen Widerstand.
Milliarden Schmiergelder - Europarat und EU gefordert
Besonders hart ging Leyla mit der Korruptionsanfälligkeit und Ignoranz westlicher Politiker ins Gericht. Laut publizierten Europarat-Recherchen vom April 2018 hat der kleine Öl-Staat am Kaspischen Meer allein zwischen 2008 und 2013 über drei Mrd. Euro dafür ausgegeben, westliche Politiker zu schmieren; die Empfänger seien bekannt. Das Geld wird über verschiedene Banken gewaschen und fließt dann vorzugsweise Mandataren zu, die in parlamentarischen Prozessen ein gewichtiges Wort mitzureden haben. Aber auch Ex-Politiker kämen in den Genuss solcher "Lobbying"-Gelder.
"Sie haben ja keine Ahnung, wie viel Geld das Alijew-Regime ausgibt, um europäische Politiker zu kaufen - mit dem einzigen Grund, europäische Institutionen positiv für das Land zu stimmen", sagte Leyla Yunus. Trotzdem würde in Brüssel - wie im vergangenen Juli - von EU-Außenkommissarin Federica Mogherini ein Partnerschaftsabkommen abgeschlossen, ohne die Menschenrechtssituation überhaupt zu erwähnen. Umgekehrt werden alle negativen Entscheidungen westlicher Gerichte ignoriert, Rechtsanwälte, Journalisten und Kritiker verfolgt. "In Aserbaidschan gibt es keine NGOs, keine unabhängigen Medien, auch keine ausländischen Sender, keine Opposition und auch kein Forum, wo Kritik geäußert werden könnte." In diesem Punkt sehe sich Alijew mit Putin und Erdogan in bester Gesellschaft, so die Aktivistin.
PEN-Club: "Aserbaidschan kein Staat, sondern eine Fassade"
PEN-Präsident Helmuth A. Niederle, der die Buchdokumentation auf Deutsch ermöglicht hat, sprach dem Land ab, überhaupt ein reguläres Staatsgebilde zu sein. "Aserbaidschan ist kein Staat, sondern lediglich Fassade für eine orientalische Willkürherrschaft." Es gäbe unzählige Beispiele dafür, wie etwa missliebige Personen hinter Gittern gebracht werden können, um sie dann um Geld und Vermögen zu bringen. "Da reichen ein paar unbekannte Handy-Anrufe aus Armenien, um Spionage-Vorwürfe zu äußern."
Leyla und Arif Yunus forderten die internationale Gemeinschaft auf, Schluss zu machen mit der "Willkommenskultur für einen mittelalterlichen Sultan und Diktator" wie Alijew, der sich mit Geld und Terror international Macht, Einfluss und öffentliche Meinung kauft. EU und Europarat sollten sich lieber in die Politik Aserbaidschans einmischen, die Einhaltung von Menschenrechten fordern und die Zivilgesellschaft unterstützen, Solidarität üben und die Korruption stoppen. Europa solle lieber Medikamente und Hilfsmaßnahmen für Folteropfer aufstellen, als Millionen für Seminare für aserbaidschanische Richter auszugeben, die dann hier Urlaub machen.
Leyla & Arif Yunu: Vom sowjetischen Lager zum aserbaidschanischen Gefängnis, edition pen Löcker, 2018, mit einer Nachbemerkung von Helmuth A. Niederle. https://bit.ly/2Ptkcgv
Fotos von der Veranstaltung stehen auf Fotodienst.at zum freien Download bereit, Quelle: Fotodienst/Christian Mikes. https://fotodienst.pressetext.com/album/3692
https://de.wikipedia.org/wiki/Leyla_Yunus
Weitere Informationen über die politische Situation in Aserbaidschan:
Das Yunus "Institute for Peace and Democracy": http://ipdthinktank.org
Folter und Morde 2017: http://ipdthinktank.org/Killing_orders_eng.html
Fotomaterial dazu: http://ipdthinktank.org/Torture_death_eng.html
Folter und Morde 2018: http://ipdthinktank.org/Ganja_eng.html
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