Österreichische Zahnärztekammer vergleicht COVID-19 mit einfacher Grippe
Corona hat ganz Österreich im Griff, die Zahlen sind bedrohlich - und dann so eine Aussage
Wien/Eggenburg (pts007/09.11.2020/08:45) Ganz Österreich war am 5.11.2020 wegen Corona in Aufruhr. Die Zahl der Neuinfektionen betrug an diesem Tag erstmals 7416, die Hospitalisierungen und Aufnahmen auf die Intensivstation steigen seit 20. Oktober exponentiell. Auch die täglichen Todeszahlen steigen bedrohlich und das Schreckgespenst "Triage" sowie die Spitalsüberlastung sind in aller Munde. Bis Mitte November wird mit über 3500 COVID-19 Patienten in den Krankenhäusern und mit über 760 Personen auf den Intensivstationen gerechnet. Das bedeutet dann eine Auslastung von 38 % aller verfügbaren Intensivbetten. Ein absolut kritischer Wert, wenn man bedenkt, dass die restlichen 60 % aller vorhandenen Intensivbetten für Akutfälle benötigt werden.
Ebenfalls am 5.11.2020 sendete die Zahnärztekammer für Österreich über den Zahnärztlichen Interessensverband eine Mitteilung (Nummer 6287) zur aktuellen Lage an ihre Mitglieder aus. Die neueste Aussendung des Präsidenten der Zahnärztekammer für Österreich, MR Dr. Thomas Horejs, zum Thema COVID-19, mit dem Titel "COVID-19 wird bleiben", sorgte in Fachkreisen aber für Verwirrung und Kopfschütteln. In dieser aktuellen Aussendung an die Zahnärztinnen und Zahnärzte in Österreich wird nämlich lapidar mitgeteilt: "Aktuelle Studien zu COVID-19 zeigen eine Sterberate um die 0,25 bis 0,36 %."
Horejs weiter: "Somit ist die Sterblichkeit bei COVID-19 circa doppelt so hoch wie die der saisonalen Influenza-Infektionen, aber weit entfernt von der Gefährlichkeit, wie wir sie bei der Spanischen Grippe, SARS oder MERS kennen."
Diese verharmlosende Mitteilung und der unglückliche Grippevergleich vom 5.11.2020 gibt Zahnärzten zu denken: Corona ist also doch nicht so schlimm! Ein wenig schlimmer als die Grippe nur! All diese Meldungen von fast 300 Toten in der letzten Woche und von sich stetig füllenden Intensivstationen sind also nur Panikmache!? Der Präsident wird schon Recht haben.
Dazu muss Folgendes festhalten werden: Den Begriff "Sterblichkeit" gibt es bei COVID-19 in dieser Form nicht. Horejs bezieht sich in seiner Aussendung, ohne darauf hinzuweisen, auf die IFR, die Infektionssterblichkeit (Infection Fatality Rate), die von John Ioannidis aus Stanford in seiner viel kritisierten Metastudie verwendet wird ("Infection fatality rate of COVID-19 inferred from seroprevalence data").
Für diese, am 14.Oktober 2020 publizierte Studie wurden 61 Seroprävalenz-Untersuchungen ausgewertet. Die Daten dieser Studie sind offiziell, aber wissenschaftlich umstritten, da laut Epidemiologen 30 Ungereimtheiten und Fehler verschiedener Art vorhanden sind.
Ioannidis selber meint dazu, dass die IFR keine feste physikalische Konstante ist und dass sie erheblich variieren kann. Er kommt zum Schluss, dass im Median 0,27 % der Menschen starben, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren. Die IFR gibt nämlich den Anteil der Verstorbenen gemessen an allen Infektionen an, rechnet also eine eigentlich noch immer unbekannte Dunkelziffer mit ein, also auch gänzlich unerkannte Infektionen ohne Symptome.
Das RKI, auf das sich die österreichische Zahnärztekammer immer gerne bezieht, macht zur IFR gar keine Angaben. Einfach, weil sich wissenschaftlich nicht exakt bestimmen lasse, wie viele Menschen sich tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert haben. Das RKI verwendet ausschließlich die CFR, die Case Fatality Rate, die Fallsterblichkeit. Das ist der Anteil der Verstorbenen bezogen auf alle bekannten und positiv getesteten Infektionen, also ohne die unbekannte Dunkelziffer.
Bei Erkrankten bis etwa 50 Jahren liegt die CFR tatsächlich unter 0,1 %, steigt ab 50 zunehmend an und liegt bei Personen über 80 Jahren aber häufig über 10 %.
Die von Horejs angegebene niedrige IFR von 0,25 bis 0,36 % "verdünnt" quasi die offizielle CFR! Die IFR kann deshalb als "Verharmlosung" wahrgenommen werden, was auch die Bayerische Ärztekammer genauso sieht. Das mag auch der Grund sein, warum Ioannidis gerne weltweit oftmalig von Corona-Leugnern, Verschwörungstheoretikern und COVID-19 Verharmlosern zitiert wird.
Die WHO schätzt die IFR auf einen Wert zwischen 0,5 und 1,0 %. Britische Untersuchungen zeigen für Männer eine IFR von 1,1 %. Dieser Wert gilt für alle Männer. Bei 70 bis 79-jährigen Männern beträgt die IFR bereits 4,95 % und bei Männern über 80 Jahren weist die IFR unglaubliche und traurige 11,62 % aus.
Fast 12 von 100 über 80-jährigen Männern sterben also an COVID-19.
Und genau das ist der springende Punkt bei COVID-19: Weder eine gemittelte IFR, noch eine Durchschnitts-CFR kann das individuelle Erkrankungs- und Sterberisiko darstellen, da beide Werte altersspezifisch, geschlechterspezifisch und länderspezifisch sind. Es gibt Risikogruppen und Altersgruppen, bei denen eine Infektion wissenschaftlich evident mit hoher Sterbewahrscheinlichkeit verbunden ist!
Das auszugsweise Zitieren von Ioannidis und der verharmlosende Vergleich mit einer "normalen" Grippe entbehrt jeglicher vernünftigen Überlegung.
Und deshalb kann man Corona und die IFR nicht über einen Kamm scheren, das ist unwissenschaftlich, gefährlich und nicht zielführend, da eine zu gering angegebene Fatily-Rate das wahre Problem der bestehenden Pandemie verharmlosen kann.
Horejs führt weiter aus: "Österreich darf aber nicht ein zweites Mal den Fehler machen, das gesamte Augenmerk, insbesondere des Gesundheitswesens, auf diese eine Infektionserkrankung zu richten." Genau Gegenteiliges ist bei Betrachtung der aktuellen Zahlen notwendig: 5.11.2020: 68344 aktive Fälle mit 2330 Hospitalisierten und bereits 407 Intensivpatienten Verdopplungszeit: 15 Tage. Die Entwicklung ist absehbar und Österreichs Gesundheitswesen ist nun tatsächlich gezwungen sich auf diese eine Infektionserkrankung zu konzentrieren!
Das muss auch die Zahnärztekammer erkennen! Auch die Zahnärzteschaft und ihre Vertreter müssen, so wie die gesamte Ärzteschaft und alle Gesundheitsinstitutionen Österreichs, COVID-19 zu Kenntnis nehmen und uneingeschränkt ihren solidarischen Beitrag leisten. Horejs meint: "Karies und Parodontitis gehen nicht in Quarantäne."
Angesichts der Pandemie mit evidenter Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems, muss die Frage erlaubt sein, ob Karies und Zahnfleischentzündungen in den nächsten vier Wochen unser großes medizinisches Problem darstellen. "Als verantwortungsvolle Zahnärztinnen und Zahnärzte müssen wir daher unsere Patientinnen und Patienten dahingehend motivieren, weiter Kontrolltermine und Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen", meint Horejs abschließend.
Die Medizin mit all ihren Fächern und verschiedenen Disziplinen versucht zurzeit, sich nur mehr auf jene Therapien und Untersuchungen zu beschränken, die medizinisch indiziert und notwendig sind. Dies gilt insbesondere für die 2 Millionen Menschen zählende sogenannte vulnerable Risikogruppe.
Auch die zahnmedizinische Akutmedizin muss ohne Kollateralschäden aufrechterhalten werden, aber medizinisch nicht wirklich notwendige Kontrollen und Vorsorgetermine, vor allem bei Patienten in der Risikogruppe, die ohne spätere Probleme auch in 2 Monaten gemacht werden können, sollte man derzeit eher reduzieren. Das liegt in der Verantwortung des einzelnen Zahnarztes, aber eben auch in der Verantwortung der übergeordneten Standesvertretung der Zahnärzte. Die Problematik saisonaler Erkrankungshäufungen, Hospitalismus, Aerosolbelastung, zahnärztliche Beratungen, Untersuchungen und Routinekontrollen muss täglich neu bewertet werden. Infektionsmöglichkeiten, und das sind auch soziale Kontakte in Ordinationen, müssen für die nächsten zwei bis vier Wochen auf ein verantwortbares Minimum reduziert werden.
Die Zahnmedizin hat keine gesundheitspolitische und medizinische Kompetenz mehr in Österreich. Die Kompetenz der Zahnärztekammer erschöpft sich in der Aufzählung von Verfehlungen und Abwälzung von Verantwortung von anderen und auf andere. Entsprechende Publikationen der Zahnärztekammer, deren Inhalt meist nur zur Verwunderung, keinesfalls aber zur profunden Information dienen, zeichnen ein düsteres Bild: "Die gesundheitspolitische Kompetenz in der Zahnmedizin ist verloren gegangen", so DDr. Gerald Jahl.
DDr. Gerald Jahl weiter: "Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass ironisch betrachtet, die Innung der Glaser, Spengler und Dachdecker anscheinend mittlerweile mehr gesundheitspolitische Kompetenz hat als das öffentliche Auftreten und Verhalten der zahnärztlichen Standesvertretung gegenüber ihren Mitgliedern und diese mangelnde Kompetenz zeigt sich auch durch fehlende Verantwortung gegenüber den Patienten zum derzeitig kritischen Zeitpunkt. Die Zahnmedizin hätte sich im Rahmen der gesundheitlichen gesamtstaatlichen, landespolitischen und sanitätsbehördlichen Organisation punkto COVID-19 mehr einbringen müssen, jetzt ist es dafür definitiv zu spät. Wir haben uns durch eigenes Verschulden von der Medizin entfernt und mittlerweile fast zur Gänze abgenabelt, und das in der gesundheitspolitisch wichtigsten Zeit, die Österreich jemals zu bewältigen hatte. Dadurch ist die Zahnmedizin nunmehr zum Appendix, zum Blinddarm der Medizin geworden."
Andere Länder, wie die Schweizer Zahnärztekammer, sprechen genau dieses Thema professionell an und formulieren es am 5.11.2020 so: "Um Risikogruppen vor einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 zu schützen, sollte bei diesen eine Abwägung des Nutzens der zahnmedizinischen Behandlung im Verhältnis zu einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 erfolgen."
Zusammengefasst: Der verharmlosende Grippevergleich des Präsidenten war in der aktuellen Zeit weder produktiv noch hilfreich!
Pressekontakt:
DDr. Gerald Jahl
Hauptplatz 20, 3730 Eggenburg
Tel.: 0660 3411911
Web: http://www.jahl.at
Aussender: | Der Pressetherapeut |
Ansprechpartner: | Alois Gmeiner |
Tel.: | +43 699 133 20 234 |
E-Mail: | 2000@chello.at |
Website: | www.pressetherapeut.com |