pts20060509014 Medizin/Wellness, Medien/Kommunikation

Aktuelle Fleischkampagne nützt irrelevante Studienergebnisse zu Werbezwecken


Wien (pts014/09.05.2006/09:00) Die führende Vermarktungsagentur der heimischen Landwirtschaft wirbt derzeit erneut mit irreführenden Botschaften wie "Macht schlau" und "2% Fett" für den gesundheitlichen Mehrwert von Fleisch - und ignoriert damit den ohnehin schon überhöhten Fleischkonsum der Österreicher. Der Slogan "Hauptsache Fleisch - Macht schlau" verspricht dem Konsumenten eine verbesserte Gedächtnisleistung und eine Intelligenzsteigerung und stützt sich dabei im Kleingedruckten auf eine wissenschaftliche Untersuchung, die bei 500 - wohlgemerkt - mangelernährten (!) kenianischen Schulkindern durchgeführt wurde. Der interessierte Konsument stolpert gleich zu Beginn über eine sehr unkonkrete Quellenangabe, die das Nachlesen detaillierter Hintergrundinformationen erschwert. [1] Bei näherer Betrachtung der Originalstudien zeigt sich letztlich ein Profil der Kinder, welches nicht im Entferntesten auf die Österreichische resp. mitteleuropäische Bevölkerung übertragbar ist:

1) 19,4 % hatten ernährungsbedingte Wachstumsstörungen
2) 30 % waren untergewichtig(in Ö ist jedes 3.-5. Kind übergewichtig bzw. fettleibig)
3) Insgesamt sehr niedrige Fettaufnahme (ca. 13 En%; in Ö: 36 En%)
4) Die Kinder hatten multiple Mikronährstoffmängel: v.a. Vit A, B12, B2, Eisen und Zink (in Ö: keine Defizite dieser Nährstoffe bekannt)
5) Das Vorkommen von Malaria, Infektionen und Darm-Parasiten war sehr hoch und beeinflusst mitunter den Nährstoffstatus
6) 48,9% hatten niedrige Hämoglobinkonzentrationen und 9% schwere Anämien
[2]

In der kenianischen Studie wurde den 6-14-jährigen Kindern ein typisches Eintopfgericht als zusätzlicher Snack verabreicht. Dieses war entweder mit Rindfleisch, Milch oder Speiseöl mit gleichem Energiegehalt ergänzt. Nach zwei Jahren schnitt die "Fleischgruppe" nur in einem der drei durchgeführten kognitiven Leistungstests signifikant besser ab, in den übrigen Tests erzielten alle Gruppen vergleichbare Leistungssteigerungen. [3] Angesichts der extremen Ausgangssituation mit gravierenden Nährstoffdefiziten (v.a. von Vitamin B12 und Vitamin A in der Fleischgruppe!) ist es somit nicht weiter überraschend, dass durch eine Ergänzung mit Fleisch eine Leistungsverbesserung zu erwarten war!

Konträre Ernährungssituation in Ö - umgekehrter Effekt

Die in Österreich vorherrschende Ernährungssituation zeichnet jedoch ein völlig anderes und daher nicht vergleichbares Bild: Hierzulande liegt der Fleisch- und Wurstkonsum von gleichaltrigen Kindern bereits bei 260 % der empfohlenen Aufnahme und die mittlere Fettzufuhr überschreitet um 20% die obere Grenze der Richtwerte. Auch der Anteil an gesättigten Fettsäuren - aus vorwiegend tierischen Quellen - ist deutlich über den Empfehlungen angesiedelt [4] In diesem Zusammenhang gibt es eine Reihe von Untersuchungen bei Kindern und Erwachsenen, die sogar auf eine Verschlechterung der kognitiven Leistung mit zunehmender Aufnahme von gesättigten Fettsäuren und Cholesterin hindeuten. [5-8]

Wie schon im Jahre 2005 kritisiert, täuscht die Botschaft "2% Fett" über den tatsächlichen Fettgehalt von Fleischprodukten hinweg. Denn nach der allgemein üblichen Angabe in Energieprozenten liegt der Fettanteil um rund eine Zehnerpotenz höher:
http://oeaie.org/aktuell/ama/hauptsache-fleisch.pdf

Keine Pauschalverurteilung von Fleisch, sondern Appell an die Lebensmittelindustrie zu seriösen und sachlichen Kampagnen!

Aus ernährungsmedizinischer Perspektive steht außer Frage, dass der maßvolle Verzehr von qualitativ hochwertigen und mageren Fleischprodukten für eine optimale körperliche und kognitive Entwicklung durchaus zu befürworten ist. Faktum ist jedoch, dass der gegenwärtige Fleischverzehr in Österreich die wissenschaftlich belegten Empfehlungen um ein Mehrfaches überschreitet und damit wesentlich zur allgemein überhöhten Aufnahme von Fett, gesättigten Fettsäuren, Cholesterin, Kochsalz und Nahrungsenergie beiträgt. Diese sind wiederum Risikofaktoren für eine breite Palette an Erkrankungen (Herz-Kreislaufsystem, Krebs, Fettstoffwechsel, Diabetes, Bluthochdruck). Aus diesen Gründen ist das ÖAIE speziell darum bemüht, den Konsumenten mit sachlichen, evidenzbasierten Informationen aufzuklären und zu sensibilisieren. Eine wirkungsvolle und nachhaltige Ernährungsumstellung der Bevölkerung fordert jedoch auch das Mitwirken der Lebensmittelindustrie. Fazit: Die laufende Kampagne schlägt diesbezüglich einen äußerst kontraproduktiven Weg ein und lässt eine seriöse Werbestrategie weitgehend vermissen.

Literatur [1-8]: http://oeaie.org/aktuell/ama/fleisch-macht-schlau_lit.pdf
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ÖAIE April 2006
Rückfragehinweis: Mag. Doris Fussenegger (für den Vorstand des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin
Neulerchenfelderstr. 6-8; A- 1160 Wien
Email: office@oeaie.org bzw. doris.fussenegger@oeaie.org
Tel: +43 (0)1- 402 64 72

(Ende)
Aussender: pts - Presseinformation (A)
Ansprechpartner: Mag. Doris Fussenegger
Tel.: +43 (0)1- 402 64 72
E-Mail: doris.fussenegger@oeaie.org
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