pte20110131029 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

Ägypten: Mundpropaganda organisiert Millionen

Alte Medien ersetzen gesperrtes Internet und Mobilfunk


Präsident Mubarak: Internet-Sperre schützt nicht vor Massenprotesten (Foto: FlickrCC/efouche)
Präsident Mubarak: Internet-Sperre schützt nicht vor Massenprotesten (Foto: FlickrCC/efouche)

Kairo/Paris (pte029/31.01.2011/17:40) Der morgige Dienstag ist ein Lostag für den weiteren Verlauf der Aufstände in Ägypten und damit auch für die Zukunft des Landes. Diese Ansicht vertritt Soazig Dollet von "Reporter ohne Grenzen International" www.rsf.org , im Vorfeld des "Marsches der Millionen". "Seit 1977 gab es in Ägypten keinen Protest in der angekündigten Größe. Heute könnte ein Perspektivenwechsel stattfinden - hielt man doch bisher Ägypten für nicht demokratiefähig. Nun zeigt sich vielleicht das Gegenteil", so die Nahost- und Nordafrika-Expertin im Interview mit pressetext.

Mund ersetzt Handy

Gespannt ist Dollet besonders darauf, wie das Mubarak-Regime auf den von der Opposition angekündigten Protestmarsch und den Generalstreik reagieren wird. "Es scheint, als ob die Regierung ihre gesamte Kompromissbereitschaft bereits ausgeschöpft hat, mit der sie die Aufständischen anfangs fütterte. Beobachten wird man nun besonders, welche Medien vom Marsch berichten und ob Bilder und Aufnahmen gemacht werden dürfen." Eine klärende Rede von Präsident Mubarak wird für Dienstagabend erwartet.

Organisiert wird die angekündigte Demonstration bereits seit Sonntag. "Anders als in der Vorwoche sind die Menschen nun besser vorbereitet. Damals konnte niemand vorhersehen, dass die Regierung die Mobilnetze und das Internet blockieren würde, und die Organisation eines größeren Protests blieb aus. Nun hat sich das Vorhaben allein über die Mundpropaganda zu allen herumgesprochen, und jeder größere Platz in den Städten wird zum Schauplatz von Demonstrationen werden", so Dollet.

Internet per Knopfdruck ausgeschaltet

"Bewegte Bilder sind der Regierung ein Dorn im Auge, da sie die Menschen im Land und außerhalb mobilisieren und die Selbstorganisation erleichtern. Deshalb geht sie besonders hart gegen die zentralen Verbreitungskanäle vor - gegen den Mobilfunk, das Internet und den Nachrichtensender Al Jazeera", berichtet die Expertin. Mit Ausnahme einiger weniger Internetbetreiber mit Satellitenverbindung gelang es Ägypten tatsächlich, den Stecker des Internets zu ziehen. Der Internet-Traffic sank somit vergangenen Donnerstag innerhalb von 13 Minuten beinahe auf Null.

Darüber hinaus wurden am heutigen Montag sechs Journalisten des in Katar beheimateten TV-Sender Al Jazeera http://english.aljazeera.net kurzfristig festgenommen und wieder entlassen, ihre Ausrüstung jedoch beschlagnahmt. Der Sender, der sich in der arabischen Welt als wichtigste Quelle der Berichterstattung über die Aufstände Ägypten etablierte, berichtet nun in seiner arabischen Version nur noch als Radio mit Standbildern.

Stunde der alten Medien

Mit der Unterdrückung der neuen Medien lebten ihre Vorgänger wieder auf, berichtet die Expertin. Korrespondenten von Frankreichs "Le Figaro" berichten etwa per Fax an die Redaktion in Paris aus Ägypten, auch das Festnetz und der Amateurfunk werden wieder hervorgekramt. "Teils berichten auch private Printmedien aus dem Untergrund, doch sind deren Journalisten insbesondere Zielscheiben der Geheimdienste. Zudem gibt es hier Verteilungsprobleme, da manche Vertriebswege durch blockierte Zugverbindungen unterbrochen sind."

Wie es weitergehen wird, wagt Dollet nicht vorherzusagen. Eine Eskalation sei gut vorstellbar, die Reaktion des Regimes jedoch kaum vorhersehbar. "Sehr wahrscheinlich wird der Wandel nicht rasch und mühelos vor sich gehen. Ägypten ist nicht Tunesien, wie auch andere Länder der Region wie etwa Syrien, Algerien oder der Libanon nicht mit Ägypten vergleichbar sind", so die Expertin gegenüber pressetext.

(Ende)
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