pts20120612009 Forschung/Entwicklung, Bildung/Karriere

Jugendjahre eines Automaten

ÖGW veranstaltet Vortrag über Wolfgang von Kempelen und seinen "Schachtürken"


Wien (pts009/12.06.2012/10:00) Die Österreichische Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte (ÖGW) will durch Abendvorträge und Kongressveranstaltungen nicht nur einen größeren Kreis wissenschaftshistorisch Interessierter erreichen, beziehungsweise das Interesse an dieser Disziplin wecken, sondern ist durch eine möglichst weite Streuung der Vortragsthemen auch bemüht, Studierenden der Wissenschaftsgeschichte Ergänzungen zu den Vorlesungen bzw. detaillierte Alternativen anzubieten. Am 14. Juni geht es um den k.k. Hofkammerrat, Mechaniker und Automatenbauer Wolfgang von Kempelens (1734-1804).

"Jugendjahre eines Automaten - Der schachspielende 'Türke' W. von Kempelens
An der Wende zum Zeitalter der nützlichen Maschinen - 1769-1804
Vortrag von Dr. Karl Kadletz am 14. Juni 2012, 19 Uhr s.t.
Ort: Archiv der Universität Wien, Postgasse 9, 1010 Wien

Zum Vortrag: Berühmt wurde Kempelen nicht durch seine künstlerischen Leistungen, sondern als Mechaniker und Automatenbauer. Der Vortrag geht speziell auf Kempelens "Schachtürken" ein, den Schach spielenden Pseudo-Automaten in Gestalt einer türkisch gekleideten Puppe an einem schreibtischartigen Kasten mit eingelegtem Spielbrett. Den Arm des Türken lenkte ein im Kasten versteckter menschlicher Spieler, der die Züge seines Gegners indirekt an beweglichen Metallnadeln ablas, die auf die Magneten in den Figuren reagierten. Er führte unten seine Gegenzüge mittels einer mechanischen Vorrichtung aus, die Spielarm und Hand des Türkenunbemerkt steuerte.

Der "Türke" erhitzte seit seiner ersten Vorstellung im Sommer 1769, die dem Amüsement der Herrscherin und ihres Hofes noch in barocker Weise diente, die Gemüter. Er gab, besonders seitdem sich Kempelen mit ihm 1783 auf eine zweijährige Reise durch West- und Mitteleuropa begab, den Anstoß für eine Flut von gedruckten Berichten, Briefen, Pamphleten und mehr oder weniger wissenschaftlichen Erklärungsversuchen aller Art. Kempelens eigentliches wissenschaftliches Anliegen war jedoch die Konstruktion einer Sprechmaschine. Ihr widmete er 1791 nach über 20-jähriger Arbeit an verschiedenen Modellen, von denen er eines auf seine Reise mit dem "Türken" mitgenommen hatte, eine ausführliche Schrift über den "Mechanismus der menschlichen Sprache nebst der Beschreibung seiner sprechenden Maschine". Sie übte einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die weitere Entwicklung der physiologischen Phonetik und Akustik aus und ruft bis heute wissenschaftsgeschichtliches Interesse hervor.

Der "Türke", der 1781 noch für die Repräsentation des Kaiserhauses und 1809 in Wien gegen Napoleon spielte, verdient kein geringeres Interesse, auch wenn das maschinengläubige 19. Jahrhundert solche nichtproduktiven Automaten als Attraktionen für ein Massenpublikum auf Jahrmärkte und dergleichen verbannte.

Der k.k. Hofkammerrat Wolfgang von Kempelen (1734-1804) begann unter seiner Gönnerin Maria Theresia eine gehobene Beamtenkarriere: 1764 wurde er Hofrat der Ungarischen Hofkammer in Presburg, 1765 Direktor des Salzwesens in Ungarn, und bis zu seiner Pensionierung 1798 unter Kaiser Franz II./I. diente er dem Staat in zahlreichen weiteren Funktionen. Sie reichten von Verwaltungsaufgaben wie der Verlegung der Universität von Tyrnau/Trnava in das zentral gelegene Ofen/Buda oder der theresianischen Besiedlung der Batschka beziehungsweise des Banats bis hin zur Tätigkeit als Gutachter in technischen Fragen. Er war aber auch als Praktiker gefragt, der Maschinen baute, die bei Kanalbauten oder im Bergbau eingesetzt werden konnten. In Ofen leitete er 1787 den Bau des Burgtheaters und wirkte beim Ausbau des Schlosses mit; für das Schloss von Schönbrunn baute er ab 1772 eine Wasserzuleitung und eine Wasserkunst.

Daneben betätigte sich Kempelen auch künstlerisch: Er zeichnete, radierte, schrieb Gedichte in anakreontischer Manier, ein Lustspiel, ein verschollenes Schauspiel und trat mit einem 1781 im k. k. Nationaltheater uraufgeführten Melodram "Andromeda und Perseus" an die Öffentlichkeit.

Zur Österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte

Wissenschaftsgeschichte als Teilfach der Geschichtswissenschaft ist nach 1945 immer mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit getreten, hatte aber lange Zeit keine umfassende institutionelle Verankerung in Österreich gefunden.

Um diesen Mangel zu beheben, wurde im Jahre 1980 als öffentliches Forum aller an wissenschaftsgeschichtlichen Themen und Forschungen Interessierten die "Österreichische Gesellschaft für Geschichte der Naturwissenschaften" ins Leben gerufen und 1992 in Hinblick auf die inzwischen gesteigerte Anteilnahme an allgemein-wissenschaftsgeschichlichen Fragestellungen in Österreichische Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte (ÖGW) umbenannt.

Die ÖGW versucht der Wissenschaftsgeschichte, die sich als fächerübergreifend versteht, die geeignete organisatorische Basis zu geben, und bietet zur Erreichung dieses Zweckes an:

Semestervorträge in- und ausländischer Wissenschaftshistoriker Exkursionen und Bibliotheks-, Museums und Archivbesuche mit sachkundigen Führungen; internationale Symposien und Kongressveranstaltungen; ÖGW-Mitteilungen (Jahresband gegen Entrichtung des Jahresmitgliedsbeitrages). In diesem Periodikum ist Mitgliedern prinzipiell die Möglichkeit geboten, eigene Forschungsergebnisse zu publizieren.

Die ÖGW ist in den 32 Jahren ihres Bestandes ist auch ein Stück Geschichte der österreichischen Wissenschaftsgeschichte.

Über die Zielsetzung der Wissenschaftsgeschichte wurde in der ÖGW seit deren Neustrukturierung im Jahre 1992 ein Diskussionsprozess in Gang gesetzt, der noch anhält. Danach soll sich Wissenschaftsgeschichte inhaltlich folgenden Disziplingruppen zuwenden:

1. der Problem- und Theoriengeschichte,
2. der Disziplingeschichte,
3. der Institutionengeschichte, unter Einbezug der Universitäts- und Bildungsgeschichte.

Zuletzt muss in den wissenschaftsgeschichtlichen Kontext natürlich stets auch die Sachgeschichte einbezogen werden, was heutzutage gerne übersehen oder vernachlässigt wird.

Univ. Prof. Dr. Helmuth Grössing, MAS
heg@inode.at, http://www.wissenschaftsgeschichte.ac.at

(Ende)
Aussender: VWGÖ - Verband Wissenschaftlicher Gesellschaften Österreichs
Ansprechpartner: Michaela Pinkawa
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