pte20121130004 Medien/Kommunikation, Unternehmen/Wirtschaft

"Die Nachrichtenindustrie existiert nicht mehr"

Analyse der Columbia University zeichnet düsteres Bild der Gegenwart


Nachrichten: US-Analysten sehen vorerst schwarz (Foto: pixelio.de, G. Altmann)
Nachrichten: US-Analysten sehen vorerst schwarz (Foto: pixelio.de, G. Altmann)

New York (pte004/30.11.2012/06:15) Eine vom Tow Center for Digital Journalism der Columbia University veröffentlichte Analyse http://bit.ly/QJ3rKl kommt zum Ergebnis, dass die Nachrichten-Industrie im klassischen Sinne nicht mehr existiert. Fehlende Geschäftsmodelle sowie mangelnde Flexibilität bei Medienhäusern und Journalisten haben laut den Autoren zu einem Qualitätsverlust im US-Journalismus geführt. Dieser Trend werde sich noch weiter fortsetzen, bevor positive Aspekte der Vernetzung in einem neu strukturierten Mediengefüge zur Entfaltung kommen können. Im entstehenden "post-industriellen Journalismus" sollen sich traditionelle Medienunternehmen ihre Aufgabe mit Bürgern, Algorithmen und sozialen Medien teilen.

Keine Lösung in Sicht

Clay Shirky, C. W. Anderson und Emily Bell, die Autoren des Tow-Berichts, sind bekannte Namen im US-Journalismus. In ihrer Analyse "Post Industrial Journalism: Adapting to the Present" stellen sie die Hypothese auf, dass die "Nachrichten-Industrie" heute nicht mehr existiert, weil im Internet jeder die Möglichkeit hat, als Medium zu fungieren. Durch die Revolution der Kommunikation haben alle Beteiligten neue Möglichkeiten gewonnen. Die Medienhäuser, die Werbetreibenden, Start-ups und vor allem die "Menschen, die früher als Publikum bekannt waren", heißt es in dem Text.

Da sowohl Medienhäuser als auch individuelle Journalisten nicht bereit seien, die bestehende Hierarchie aufzugeben und die neuen Möglichkeiten zu nutzen, sei das Ergebnis ein Qualitätsverlust im US-Journalismus. "Die derzeitige Sachlage überzeugt uns, dass die Situation schlechter werden wird, bevor sie sich verbessert, vor allem in kleinen und mittelgroßen Städten ohne eigene Tageszeitung", so die Autoren. Eins zu eins auf Europa umlegen lässt sich die Einschätzung nicht ohne weiteres.

"Die Umwälzungen in der Branche sind unbestritten, genau wie der Mangel an einem tragfähigen Online-Geschäftsmodell. Zudem ist der Begriff "Qualität" im Journalismus schwierig, vor allem wenn er von Journalisten selbst definiert wird. Ich bin der Meinung, dass es in Medienbetrieben hauptsächlich ein Management-Problem gibt. Die Nachfrage nach journalistischen Inhalten und der Zugang zu Informationen sind nicht das Problem. Es fehltzunehmend an einem wirtschaftlichen Umfeld, das es qualifizierten Journalisten erlaubt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden", sagt Jan Krone von der FH St. Pölten http://fh-stpoelten.ac.at gegenüber pressetext.

Journalisten als Filter

Traditionelle Medienhäuser haben es verabsäumt, sich auf neue Möglichkeiten wie Crowdsourcing oder Daten-basierte Recherche einzulassen. Alternative Marktteilnehmer wie die spendenfinanzierte Plattform Pro Publica oder private Initiativen wie "Homicide Watch" seien hier klar im Vorteil, so die Hypothese aus den USA. Medienhäuser müssen in Zukunft bereit sein, auch mit solchen alternativen Anbietern zusammenzuarbeiten. Der Geist sei schon lange aus der Flasche, einen Weg zurück zu den alten Vorgehensweisen gebe es nicht. Auch die schwindenden Einnahmen kämen nicht mehr zurück.

Deshalb sei die Medienlandschaft der Zukunft weniger vielfältig als heute. Die Zahl der traditionellen Medienhäuser werde abnehmen. Journalisten müssen sich eher auf ihre Rolle als Filter verlegen, die Informationen aus sozialen Medien, individuellen Quellen und Datensammlungen interpretieren, erklären und verifizieren, statt sich auf die Informationssammlung aus einer begrenzten Anzahl von Quellen zu verlassen. So düster wie die US-Analysten sieht man die Situation aber nicht überall: "Die Tätigkeit der Journalisten ändert sich in Wahrheit nicht. Der Beruf wird in Zukunft sogar notwendiger sein denn je", so Krone.

Das Problem seien fehlende Ressourcen, um sie angemessen zu bezahlen. "Mäzenentum, der zu Hobby-Journalismus führt, kann nicht die Lösung sein, genauso wenig wie eine Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Sektors, da beide Varianten anfällig für Einflussnahme von außen sind. Ich sehe ebenfalls eine Tendenz zur weiteren Konzentration im Mediensektor. Große Verlage können sich ein journalistisches Flaggschiff aus Überzeugung eher leisten, etwa durch Querfinanzierung", so Krone. Sich selbst finanzierenden Journalismus habe es ohnehin nie gegeben, erklärt der Experte.

(Ende)
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