ptp20160922009 Medizin/Wellness, Forschung/Entwicklung

EFIC Symposium: Chronischer Schmerz nach Gelenksoperationen - neue Ansätze gefragt

Individualisierte multimodale Ansätze als Schlüssel zu größerem Behandlungserfolg


EFIC Topical Symposium 2016
EFIC Topical Symposium 2016

Dubrovnik (ptp009/22.09.2016/09:35) Enttäuscht und unzufrieden - so fühlen sich viele Patientinnen und Patienten, wenn sie nach einer Kniegelenksoperation nicht die erhoffte Erleichterung erleben, sondern noch Monate oder Jahre von anhaltenden Schmerzen geplagt werden. "Chronische Schmerzen nach einer Gelenksoperation sind nach wie vor ein stark unterschätztes Phänomen. Aufgrund des demografischen Wandels und der Zunahme an Gelenksoperationen sind immer mehr Menschen davon betroffen", so Prof. Henrik Kehlet (Universität Kopenhagen, Dänemark) bei einem Symposium der Europäischen Schmerzföderation EFIC in Dubrovnik, das sich mit akuten und chronischen Gelenkschmerzen auseinandersetzt.

Nach der OP: Höherer Konsum von Schmerzmittel als zuvor

Generell berichten zwölf Prozent der Patienten noch ein Jahr nach einem chirurgischen Eingriff mäßige bis starke Schmerzen, so eine europäische Beobachtungsstudie. Nach dem Einsetzen eines künstlichen Gelenks liegt diese Rate kann diese Rate noch höher liegen, je nachdem, welches Gelenk betroffen ist. Laut Daten einer systematischen Meta-Analyse von 17 Kohortenstudien (Beswick et al. BMJ Open 2012; 2:e000435) liegt die Prävalenz nach Hüftprothesen-Eingriffen bei neun und beim künstlichen Knieersatz bei 20 Prozent.

"Neuere Studien aus Dänemark, Frankreich und Norwegen belegen überdies, dass ein erstaunlich hoher Anteil der Patienten nach dem chirurgischen Eingriff weiterhin die gewohnte Dosis oder sogar mehr Schmerzmedikamente benötigt als vorher - und das kann nicht der Sinn von aufwändigen und teuren Operationen sein", sagt Prof. Kehlet.

20 Prozent mit chronischen Schmerzen nach Knieersatz-OP

Dr. Vikki Wylde (Universität Bristol, Großbritannien) betont, dass diese Zahlen vermutlich nicht das volle Ausmaß des Problems abbilden: "Die aktuellen Instrumente zur Schmerzbewertung liefern uns nicht immer aussagekräftige Informationen. Außerdem zeigen Studien, dass mache Betroffene nach dem Eingriff ungern zugeben, wie sehr sie leiden - weil sie nicht undankbar erscheinen wollen oder der Schmerz nach der OP vielleicht etwas weniger intensiv ist als vorher."

Was dabei oft übersehen wird: Die Patienten leiden nicht unter den alten Beschwerden oder dem unmittelbaren postoperativen Schmerz, der nach der Wundheilung verschwindet. Sie haben mit neuen Beschwerden zu kämpfen, wie Dr. Wylde weiß: "20 Prozent der chronischen Schmerzen nach dem Einsetzen eines künstlichen Gelenksersatzes sind neuropathischer Natur. Außerdem können chronische postoperative Schmerzen auch mit anderen Schmerzzuständen vergesellschaftet sein, was auf ein umfassenderes Problem hinweist."

Schmerzen nach Knie-Ersatz immer noch ungelöstes Problem

Die Folge sind häufig frustrierte Patientinnen und Patienten, die sich aufgrund der Schmerzen hilflos fühlen. "Auch wenn das Verständnis für die Ursachen und Prozesse hinter den Schmerzen steigt und immer schonender operiert werden kann, ist die Patientenversorgung immer noch sehr verbesserungswürdig", so Prof. Kehlet. Bei einer Hüftersatz-OP ließen sich heute die postoperativen Schmerzen durch ein multimodales Therapiekonzept relativ gut in den Griff bekommen, das Analgetika wie Paracetamol, COX-2-Hemmer, Kortikoide oder bei Bedarf Opioide beinhaltet.

Beim Knieersatz stellen die Schmerzen wegen der größeren Empfindlichkeit des Gelenks eine noch viel größere Herausforderung dar. "Derzeit arbeiten wir mit Coxiben, NSAR, hochdosierten präoperativen Kortikoiden oder Wundinfiltrationen mit Lokalanästhetika. Andere Ansätze verwenden Ketamin bei Patienten, die schon präoperativ Opioide bekommen haben", so Prof. Kehlet. Von Femoralis-Nervenblockaden rät er wegen der Sturzgefahr für Patienten ab. "Es gibt Berichte über andere periphere Nervenblockaden als wirksame Option, aber hier müssen weitere Studien abgewartet werden. Ob in dieser Indikation Gabapentinoide hilfreich sein können ist unklar, wenn man Wirksamkeit und Nebenwirkungen in ein Verhältnis setzt."

Dr. Wylde betont: "Uns fehlen evidenzbasierte Behandlungsmethoden. Eine systematische Auswertung von randomisierten Therapie-Studien (Beswick et al. BMJ Open. 2015; 5: e007387) konnte nur eine Studie identifizieren, die Injektionen von Botulinumtoxin A bei Patienten mit chronischem Schmerz nach Kniegelenkersatz untersuchte. Wir benötigen in diesem Bereich weitere Untersuchungen, um die Patientenversorgung verbessern zu können."

Präventiv schmerzempfindliche Patienten herausfiltern

Potenzial sehen die beiden Experten in einem präventiven, multidisziplinären Ansatz. Dieser sollte unter anderem eine präoperative psychologische Betreuung von depressiven oder extrem pessimistischen Patienten umfassen, die Reduktion von Opioiden oder - wie eine neue Sicherheitsstudie für präemptive Steroide nahelegt - das Herunterregulieren des nozizeptiven Systems mit Steroiden vor dem Eingriff. Außerdem empfehlen sie, die Behandlung stärker auf die einzelnen Patienten zuzuschneiden.

Dr. Wylde: "Chronische Schmerzen nach einer Gelenkoperation sind multifaktoriell, daher ist es so wichtig, dass sich die Behandlung an individuellen Patienten-Charakteristika orientiert. Das erfordert einen maßgeschneiderten, multidisziplinären Behandlungsansatz."

Außerdem seien Methoden zur Identifikation von "high pain responders" für künftige Analgetika-Studien wichtig, unterstrich Prof. Kehlet: "Andernfalls sind die Wirksamkeitsdaten aus den Studien viel zu wenig aussagekräftig." Ein interessanter, aber noch nicht im Routinebetrieb angekommener Ansatz ist in diesem Zusammenhang die präoperative Untersuchung der weißen Blutkörperchen auf Entzündungswerte, die Voraussagen für das Risiko von akuten und chronischen postoperativen Schmerzen erlaubt.

Individualisierte Leistung

"Die medizinische Versorgung für Patienten, deren Schmerzen nach der Gelenksoperation nicht abklingen, muss verbessert werden", fordert Dr. Wylde: "Wir brauchen Empfehlungen über die Zuweisung zu spezialisierten therapeutischen Angeboten und standardisierte Behandlungsprotokolle." Dazu seien auch standardisierte Bewertungen nötig, um die Schmerzursachen herauszufinden. Ein personalisierter Therapieansatz ist dann möglich, der sicherstellt, dass Patienten die richtige Hilfe zum richtigen Zeitpunkt bekommen", so die Expertin.

EFIC hat 2016 zum "Europäischen Jahr gegen Gelenkschmerzen" erklärt. Ziel dieser Informationskampagne ist es, ein Gesundheitsproblem in den Mittelpunkt zu stellen, unter dem weltweit mehr als die Hälfte der Bevölkerung über 50 Jahren zu leiden hat. Vor diesem Hintergrund werden auf dem Symposium in Dubrovnik die zahlreichen aktuellen Entwicklungen zu Verständnis und der Behandlung von durch Gelenkserkrankungen verursachte Schmerzen diskutiert.

Quelle: EFIC 2016 - Topical Symposium on Acute and Chronic Joint Pain: Prof. Henrik Kehlet; Dr. Vikki Wylde.

(Ende)
Aussender: Bettschart & Kofler Kommunikationsberatungs GesmbH
Ansprechpartner: Dr. Birgit Kofler
Tel.: +49-172 7949286
E-Mail: kofler@bkkommunikation.com
Website: www.bkkommunikation.com
|