Palliativpflege in der Neurologie hilft nicht nur Patienten, sondern auch ihren Betreuern
Kyoto (pts005/16.09.2017/11:00) Auf dem Weltkongress für Neurologie in Kyoto diskutieren Experten die wachsende Bedeutung der Palliativmedizin in der neurologischen Praxis. Wie Studien zeigen, hilft diese Form der Betreuung nicht nur den Patienten besser mit ihren Symptomen und Problemen zurechtzukommen, sondern auch deren Angehörigen und den besonders belasteten Pflegekräften.
"Die Bedeutung palliativer Betreuung geht weit über das 'end of life treatment' onkologischer Patienten hinaus", betonte der Generalsekretär der World Federation of Neurology (WFN), Prof. Dr. Wolfgang Grisold beim XXIII. Weltkongress der Neurologie in Kyoto. Gerade in der Neurologie gäbe es eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten und nicht zuletzt aufgrund der weltweit wachsenden Lebenserwartung ständig steigendem Bedarf.
Prof. Grisold erläutert das am Beispiel von Patienten mit einem Glioblastom: "Bei dieser progredient fortschreitenden Erkrankung steigt der Bedarf an palliativer Pflege laufend an und man kann nicht eindeutig festlegen, ab welchem Zeitpunkt von palliativer Pflege gesprochen werden kann. Erfahrungsgemäß müssen bereits früh während des Krankheitsverlaufs, auch noch während der onkologischen Behandlung, Elemente der Palliativmedizin eingesetzt werden und vor allen Dingen vorbereitet werden."
Die Symptome sind vielfältig und individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Kognitiver Verfall, Anfälle, lokalisationsbedingt hirnorganische Zeichen wie Paresen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit und Fatigue, als auch psychische und psychiatrische Manifestationen können auftreten. Mit dem Fortschreiten der Tumorerkrankung gewinnt die Palliativpflege zunehmend an Bedeutung und wird - ab einem bestimmten Stadium - sogar wichtiger als die onkologische Therapie und neurologische Rehabilitation.
Glioblastome gehören zu den hochmalignen Gehirntumoren und sind die häufigste hirneigene Tumorart. Trotz intensiver Forschung und verbesserter Behandlungskonzepte ist es bisher nicht gelungen, die Überlebenszeit der betroffenen Patienten wesentlich zu verlängern. Umso wichtiger, so Prof. Grisold, sei es, dass die Betreuung verbessert und um palliative Konzepte erweitert worden sei.
Als eigener Aspekt ist das Lebensende "end of life" anzusehen. "In dieser kurzen Phase kommt es zu intensiven Interaktion zwischen Patienten, Betreuern und der Familie", so Prof. Grisold. "Ein multiprofessionelles, meist von Palliativ-Pflegekräften koordiniertes, Fall-Management hilft dabei allen Beteiligten bei der Orientierung und Bewältigung sozialer Aspekte. Auch viele ethische und lokale oder regionale Aspekte sind zu berücksichtigen."
Dass der Palliativ-Neurologie und ihrer wichtigen Rolle auf dem Weltkongress eine eigene Session gewidmet wurde, ist dem weltweit wachsenden Interesse am Thema und dessen zunehmender Bedeutung geschuldet. In kaum einer anderen Fachrichtung gibt es so viele fortschreitende Erkrankungen, die nicht geheilt, sondern im besten Fall verlangsamt und optimal therapeutisch begleitet werden können.
Einerseits sind es chronisch degenerative Erkrankungen wie Demenzen oder ALS, andererseits fortgeschrittene Zustände chronischer Erkrankungen wie zum Beispiel MS, oder akute schwere Erkrankungen, welche eine palliative Betreuung benötigen. Vom Zeitverlauf kann der palliative Betreuungsbedarf kurzer Andauer sein, zum Beispiel schweres Schädelhirntrauma ohne Besserung, oder über Jahre begleitend notwendig sein, wie bei manchen degenerativen Erkrankungen.
"Die Notwendigkeit, palliative Konzepte in die neurologische Versorgung einzubauen, ist evident", betont Prof. Grisold. "Oberste Prämisse muss immer sein, so weit wie möglich auf die sehr unterschiedlichen, individuellen Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten einzugehen und die subjektive Lebensqualität bestmöglich zu erhalten."
Das Konzept der palliativen Betreuung ist ebenso wichtig wie die akute Behandlung. Immer noch wird manchmal die Palliation als Ende der Behandlung oder als "Versagen" der Medizin eingestuft, was aber ein Denkfehler sei, so Prof. Grisold: "Krankheitsprozesse gehen letztlich in unterschiedlicher Weise in eine terminale Phase über. Selbstverständlich muss die Wahl der palliativen Vorgangsweise wie jede andere medizinische Entscheidung wohl begründet und ausgewogen sein. Hier sind viele praktische und ethische Themen involviert, etwa, in welcher Form kulturelle Besonderheiten berücksichtigt werden, oder wie eine Einbindung des Patientenwillens und allfälliger Patientenverfügungen sichergestellt ist."
Auch wenn es für den optimalen Einsatz der Palliativmedizin kein allgemein gültiges Konzept gibt, konnten Experten jedenfalls grundlegende Ansätze dafür erarbeiten. So haben die European Association for Palliative Care (EAPC) und die European Academy of Neurology (EAN) kürzlich ein gemeinsames Konsensus-Papier zur allgemeinen Palliativpflege in der Neurologie vorgelegt. Außerdem veröffentlichte im Sommer die European Association for Neuro-Oncology (EANO) Leitlinien für die Palliativbetreuung von Erwachsenen mit Gliom (guidelines for palliative care in adults with glioma).
Diese Veröffentlichungen betonen, dass ein früher Beginn der palliativen Behandlung und ein multidisziplinärer Ansatz nicht nur die Symptome, sondern auch die psychologischen und psychischen Probleme verbessern können. Das gilt nicht zuletzt auch für die Betreuenden, womit nicht nur die professionellen Betreuer, sondern Angehörige und Verwandte gemeint sind. "Die Rolle des multiprofessionellen Teams, und besonders der Pflege, gewinnt zunehmend an Bedeutung", betont Prof. Grisold. "Die Belastungen führen nicht nur zu einer Einschränkung der Lebensqualität, sondern können ohne angemessene Unterstützung auch Depressionen verursachen." Einbezogen in alle palliativen Konzepte muss auch die Betreuung der Angehörigen (carer) werden, unter anderem nach dem Tod zur Verarbeitung von Trauer und Schmerz.
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