Wiederverkaufsplattformen: Wirksames Mittel gegen den Ticketschwarzmarkt oder PR-Gag?
Sicht eines Brancheninsiders
Zürich (pts001/01.06.2019/06:00) Medienwirksam wurde sie eingeführt. Die erste "faire" Wiederverkaufsplattform für Tickets, mit welcher dem "unlauteren" Zweitmarkt den Kampf angesagt werden soll. Dieser Zweitmarkt mit dubiosen Anbietern wie Viagogo und Co., welche Ticketkäufer gross angelegt abzocken, sind augenscheinlich auch den grossen Playern im Ticketingbusiness ein Dorn im Auge. Kein Aufwand wird gescheut, um eigene Wiederverkaufsplattformen zu programmieren. Natürlich ganz ohne finanzielle Hintergedanken. Man will mit den Wiederverkaufsplattformen ja kein Geld verdienen und die zusätzlich anfallenden Gebühren von 17 % dienen lediglich der Kostendeckung!
Aus der Sicht des Insiders stellt sich jedoch die berechtigte Frage, ob mit diesen "Ego-Lösungen" wirklich etwas gegen den Schwarzmarkt unternommen wird, oder ob es sich nicht viel mehr um eine grossangelegte PR-Aktion handelt, um Veranstalter sowie die wutentbrannten Massen von betrogenen Ticketkäufern zu besänftigen. Der Konsumentenschutz kritisiert zu Recht, dass ein Alleingang einzelner Ticketinganbieterkaum die angeblich gewünschten Eindämmungseffekte auf den Schwarzmarkt bewirken dürften.
Wer die Prozesse versteht, die hinter dem seriösen Ticketverkauf ablaufen, kann bestätigen, dass eine effektive Eindämmung des Zwischenhandels im grossen Stil eigentlich recht einfach und kostengünstig umsetzbar wäre. Hierzu müsste grundsätzlich lediglich die maximale Ticketmenge pro Bestellung bzw. pro Kunde auf eine vernünftige Zahl eingestellt werden. In der Praxis bewährt sich eine Obergrenze von circa vier Tickets. Genug für eine Gruppe, welche den Event besuchen möchte, jedoch nicht so viele, dass sich der "gewerbsmässige" Zwischenhandel wirklich lohnen würde.
Zusätzlich ist heute jedes halbwegs seriöse Ticketingsystem in der Lage, Tickets personalisiert, also auf den Namen des Ticketkäufers lautend, auszustellen. Zwei einfache Mittel, welche die Abzocke nachhaltig von heute auf morgen unterbinden würden, stehen also quasi kostenlos zur Verfügung. Jedoch sind diese Massnahmen den grossen Playern wohl nicht medienwirksam genug und vor allem eventuell auch eine Spur zu effizient!
Es liegt auf der Hand, dass die besagten Firmen in Wahrheit kaum daran interessiert sind, den Zwischenhandel auszuhebeln. Zählen doch die zwielichtigen Zwischenhändler zu ihren besten und treuesten Kunden. Verkauft ist ja schliesslich verkauft und die Tatsache, dass Endkunden auf dem Zweitmarkt massiv überteuerte Preise zahlen müssen, schadet dem Profit ja nicht wirklich. Branchenintern wird gemunkelt, dass verschiedene Anbieter gar automatisierte Schnittstellen zu den Zwischenhändlern eingerichtet haben, um die Weitergabe der Tickets noch effizienter zu gestalten. Unwahrscheinlich? Vielleicht!
Entsprechende Anfragen von Zweitmarkt-Betreibern sind bei uns auf jeden Fall schon eingegangen und habt ihr euch nicht auch schon gefragt, wie es sein kann, dass die Schwarzmarktprofiteure scheinbar mühelos zu riesigen Ticketkontingenten kommen, während ihr selbst gefühlte Stunden in den Online-Ticketshops verbringen müsst und schlussendlich doch leer ausgeht?
Aber das ist eine andere Geschichte, der motivierte Enthüllungsjournalisten bei Gelegenheit mal nachgehen könnten, vielleicht erleben wir gar eine Überraschung und die sagenumwobenen Zweitmarkt-Ticketkauffabriken, wo geschätzte 10'000 Angestellte den ganzen Tag Tickets für den Schwarzmarkt aufkaufen, werden gefunden. Das wäre mal eine Story! Diese zu recherchieren wäre aber sicherlich mit Aufwand verbunden. Verständlich, dass man sich momentan damit begnügt, eine hochpolierte Wiederverkaufsplattform medial zu präsentieren, die auf umständliche Art und Weise einen einfachen Prozess übernimmt, welcher bei anderen Ticketinganbietern längst schnörkellos über das Standardsystem abgewickelt wird.
Lasst mich das kurz ausführen: Wie ebenfalls jeder Branchenkenner bestätigen kann, stellt der verhasste Zweitmarkt ein Problem dar, dass in erster Linie bei ausverkauften Events auftritt. Solange Tickets auf dem Erstmarkt zu fairen Konditionen erhältlich sind, muss ja niemand ein überteuertes Viagogo Ticket kaufen (*). Genau diese ausverkauften Events sind auch die einzigen, bei denen eine Lösung, wie die neu lancierten Wiederverkaufsplattformen in Einzelfällen funktionieren könnten. Denn warum soll man für einen nicht ausverkauften Event ein Second-Hand Ticket kaufen, auf dass eine zusätzliche Gebühr erhoben wird, welche "den Aufwand" des Weiterverkaufs deckt? Aus Spass am Zusatzaufwand? Wohl kaum!
Wohlgemerkt: Ich schreibe bewusst "Einzelfälle", da die zwielichtigen Zwischenhändler die eigenen Ticketkontingente kaum auf der neuen Plattform zum Verkauf anbieten werden. Genau so wenig werden dies die unzähligen privaten Verkäufer tun, welche Tickets bereits unter dem Vorsatz des Wiederverkaufs erstanden haben. Beides würde dem Geschäftsmodell zu wieder laufen. Übrig bleibt dann eine Hand voll Einzeltickets von ehrlichen Bürgern, welche effektiv verhindert sind, den Event nicht besuchen können und zudem bereit sind, ihr Ticket unter Verlust zu verkaufen. Unter diesem Aspekt mag es auch stimmen, dass gar horrende Gebühren von 17 % lediglich kostendeckend sind.
Kurz gesagt: Bei nicht ausverkauften Events wird es aufgrund der Zusatzgebühren von 17 % kaum eine Nachfrage geben. Bei ausverkauften Events ist eine komplizierte Wiederverkaufsplattform, auf der die Echtheit jedes Tickets teuer und aufwendig verifiziert werden muss, völlig unnötig.
Man kann hier mit dem Einverständnis des Veranstalters auch ganz einfach Stornierungen zulassen und die Tickets zurück in den Primärmarkt geben. Aufgrund der hohen Nachfrage besteht kaum die Gefahr, dass man auf nicht verkauften Tickets sitzen bleibt. Daher wird auch kaum ein Veranstalter die Stornierungen verweigern. Wenn man möchte, kann man auf diesen simplen Prozess ebenfalls eine Gebühr erheben, mit der man sogar den Aspekt des "kein Geld verdienen Wollens" erfolgreich abdecken kann. 5 %, also weniger als ein Drittel der kommunizierten Wiederverkaufsgebühren, sind hier erfahrungsgemäss kostendeckend! Eine revolutionäre Idee? Wohl kaum, denn so wird es von vielen Ticketinganbietern seit jeher gehandhabt. Aber vielleicht ist diese unkomplizierte Praxis ja einfach noch nicht zu allen Playern im Ticketingbusiness durchgedrungen. Manchmal sieht man ja bekanntlich den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Ob die Wiederverkaufsplattformen den Ticketschwarzhandel nun also aushebeln können, bleibt gelinde gesagt umstritten. Ich persönlich gehe aber nicht davon aus, dass die Betreiber von Viagogo und Co. aufgrund dieses Vorstosses unter schlaflosen Nächten leiden oder gar ihre Firmenanteile abstossen. Aber warten wir doch mal die kommenden Monate und Jahre ab und ziehen dann Bilanz!
(*) Einzelpersonen, welche aus Unwissenheit auf eine Abzocker-Anzeige klicken und überteuerte Zweitmarkttickets kaufen, obwohl im Primärmarkt noch genügend Tickets zum regulären Preis verfügbar wären, mal aussen vor gelassen. Diese Ticketkäufer können bei den Ausführungen ignoriert werden, da sie auch die Einführung der Wiederverkaufsplattformen kaum vor diesen Fehlgriffen bewahren kann.
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