Thurnher fordert Entmachtung der Tech-Konzerne
Neue europäische Medienordnung zur Stärkung von Demokratie und Meinungsfreiheit
Fresach (pts002/20.05.2024/13:00)
Der Herausgeber der Wiener Stadtzeitung FALTER, Armin Thurnher, hat in seiner Eröffnungsrede bei den Europäischen Toleranzgesprächen im Kärntner Bergdorf Fresach zu einer europaweiten Stärkung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Gegengewicht zur Weltmacht der Tech-Giganten aufgerufen. Für ihn sei es "vollkommen jenseitig, dass unsere Regierenden nicht einmal ansatzweise erkennen, worum es bei der heutigen Medienfrage geht – nämlich um die (nackte) Existenz der Demokratie", so Thurnher.
Zur östereichischen Situation sagte der ausgewiesene Medienkritiker, er "halte es für einen demokratiepolitischen Skandal, dass alle österreichischen Regierungen seit Bruno Kreisky den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für parteipolitische Zwecke missbrauchen" und überdies "für eine Kulturschande, dass das führende Personal des ORF nicht erkennt, worum es bei diesem Sender geht, und ihn deshalb systematisch ruiniert".
Thurnher warnte davor, die demokratischen Errungenschaften zugunsten einer rechtslibertären Utopie eines starken digitalen Staates zu opfern, der nur deshalb stark sein soll, um den "Weltmarkt für die Tech-Giganten günstig zu gestalten". Er zeigte sich alarmiert von der drohenden Vision einer "gelenkten Autokratie, die mit Social Engineering imstande ist, die Gesellschaft zu steuern und dabei Demokratie zu simulieren".
Trotz vielerlei Initiativen und EU-Regulative zur Eindämmung der Macht der Tech-Konzerne müsse man hinsichtlich der digitalen Medien ein Wort von Karl Kraus aktualisieren, sagte Thurnher: "Die digitalen Medien haben keine Auswüchse, sie sind einer." In den Anfängen des FALTERS war Medienkritik bestenfalls Kollegenschelte, sagte Thurnher. Heute aber geht es um die politische Destruktivität der digitalen Medien und die Zerstörung der Demokratie. Die müde gewordenen Bürgerlichen hätten keinen Begriff mehr von Europa.
Demokratie und Digitalisierung
Die Idee, dass mehr Wettbewerb bessere, demokratieförderlichere Medien hervorbringe, sei bestenfalls naiv, lästerte Thurnher. Schlimmstenfalls handle es sich um nützliche Idioten des Neoliberalismus, die nicht verstanden hätten, dass dieser (die neue Rechte) keinen starken Markt, sondern einen Staat will, der in die Oligopole der kapitalkräftigen Schichten und Tech-Giganten investiert. Silicon Valley und das Internet seien letztlich eine Schöpfung staatlich-militärischer Investitionen in den USA.
Thurnher kritisierte die (durch die Digitalisierung verursachte) desolate polit-mediale Öffentlichkeit und die Untätigkeit der Regierenden, der zunehmenden Desinformation entgegenzutreten. Die Gesellschaft sei unfähig, sich zu verteidigen und biete dem Feind aus den eigenen Reihen (Nationalismus und Extremismus) üppige Angriffsflächen. Eine Demokratie, die Europa als den Außenfeind markiert, statt die Rettung zu erkennen, die eine europäische solidarische Gemeinschaft für alle bieten könnte, habe so kaum Bestand.
Problembewusstsein schaffen und handeln
Thurnher machte in seiner Analyse klar, dass jetzt gehandelt werden muss – erstens mit der Schaffung von Problembewusstsein in der Öffentlichkeit und Medienaufklärung in den Schulen, zweitens mit der Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Prinzips "als das exemplarisch demokratische Prinzip der Medien". Eine Kooperation aller öffentlichkeitszentrierten Medien unter Führung eines demokratisch beauftragten und transparent kontrollierten Rundfunks wäre dringend geboten. Drittens bedarf es einer ordentlichen Reform der Medienförderung auf Basis offen begründeter Entscheidung und Kontrolle. Wir müssten uns von der Illusion verabschieden, dass ordentliche Medien mit Werbung zu finanzieren sind. Wir müssen den "Marktschmäh des Neoliberalismus" als das durchschauen, was er ist: Propaganda für Oligopole und ein Bluff, um den Staat nur als Finanzquelle, nicht aber als Ordnungsmacht zu verstehen, der Märkte korrigiert, vor allem den demokratieentscheidenden Medienmarkt.
Europäisches Medienprinzip
Das öffentlich-rechtliche Prinzip könnte man auch das europäische Medienprinzip nennen. Die Regelungen und Richtlinien der europäischen Kommission tun ihr Möglichstes, um die privatkapitalistischen Tendenzen der US-Giganten einzuhegen. Es bedarf aber weltweiter Anstrengungen. Dazu gebe es Ansätze, aber keine einheitliche politische Vision. Im Gegenteil, die Dystopie einer angekündigten totalen Medienkontrolle unter einem Präsidenten Trump sei eine realistische Perspektive.
Dennoch könnten wir nicht darauf verzichten, dem Netz wie es jetzt ist, das Bild eines Netzes entgegenzustellen, wie es sein sollte. Dieses Netz könne nur öffentlich-rechtlich organisiert sein, mit einem Sozialen Medium und einer Suchmaschine mit offengelegten Algorithmen, nicht nach Profitgesichtspunkten funktionierend, eine Infrastruktur für öffentliche Kommunikation, eine öffentliche Dienstleistung wie Wasser, Energie oder Straßen, sagte Thurnher.
Es wäre logisch und sinnvoll, dass sich eine europäische Initiative von demokratisch interessierten Staaten zusammenschließt und ihren öffentlich-rechtlichen Anstalten den Auftrag gibt, eine solche Struktur zu schaffen. Es wäre eine Investititon in die Demokratie, die dieser würdig wäre, und ohne die sie nicht bestehen wird können. Österreich könnte sich hierbei an die Spitze setzen, europäische Enqueten anzustoßen, und bestehende Initiativen unterstützen, ermutigende Beiträge für ein solches Unterfangen stiften.
Die ganze Eröffnungsrede von Armin Thurnher kann auf YouTube nachgesehen und gehört werden, ab Minute 55'.
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