pts20230201015 Bildung/Karriere, Forschung/Entwicklung

Zwischen Pädagog*innenmangel und Lebenslangem Lernen

Neue Vizerektorinnen der PH NÖ über Bildung der Zukunft


Baden (pts015/01.02.2023/11:45)

Ein neues Rektorat leitet seit dem aktuellen Studienjahr die Pädagogische Hochschule Niederösterreich (PH NÖ). Die beiden Vizerektorinnen Edda Polz und Christine Schörg arbeiten seit hundert Tagen mit Gründungsrektor Erwin Rauscher zusammen. Im Interview berichten sie von gegenwärtigen Herausforderungen und präsentieren ihre Zukunftsvisionen.

Christine Schörg zeichnet als Vizerektorin für Lehre die rasanten Entwicklungen im Bereich der Lehrer*innenbildung nach. Die Hollabrunnerin verrät, warum nicht nur ihr Hund ein dickes Fell braucht. Weiter südlich findet Edda Polz als Vizerektorin für Forschung und Hochschulentwicklung Ausgleich bei Runden mit ihrem Vierbeiner in Wiener Neustädter Parks. Die Bildungswissenschaftlerin, Juristin und Volksschullehrerin fordert einen Image-Wandel des Lehrer*innenberufs und erklärt, was Forschung dazu beitragen kann.

Im Interview geben die beiden einen Einblick in das Management der PH NÖ und besprechen die Entwicklung der 16 Jahre jungen Bildungsinstitution. Sie berichten, wie die PH NÖ mit einem "Fast-Track"-Studium den Lehrkräftemangel abfedert, und diskutieren, warum Volksschullehrer*innen ein Masterstudium brauchen. Dass die PH NÖ mit der Abschaffung der Anwesenheitspflicht einen Paradigmenwechsel einleitet, betonen die neuen Vizerektorinnen.

Christine Schörg, Sie sind seit 1. Oktober 2022 Vizerektorin für Lehre an der PH NÖ. Davor waren Sie Department-Leiterin. Wie haben sich Ihre Zuständigkeiten verändert?
Christine Schörg: Früher war ich für die fachliche Bildung zuständig, als Vizerektorin für Lehre bin ich das in einem viel größeren Rahmen. Bei uns am Campus in Baden sind das neben dem Primarstufen-Studium für angehende Volksschullehrer*innen Bachelor- und Masterstudien im Bereich der Elementarpädagogik sowie der Sekundarstufe Berufsbildung. Zusätzlich freilich die gesamte Fort- und Weiterbildung für alle Schulformen: Ich bin für Lehrveranstaltungen mitverantwortlich, die an externen Orten stattfinden, von halbtägig bis hin zu großen Hochschullehrgängen. Lehrveranstaltungen zu planen, war schon als Departmentleiterin meine Aufgabe. Als Vizerektorin arbeite ich nun auch eng mit Edda Polz zusammen, wir stimmen gemeinsam Forschung und Lehre aufeinander ab.

Edda Polz, was sind Ihre Aufgaben als Vizerektorin für Forschung und Hochschulentwicklung?
Edda Polz: Gesetzlicher Auftrag der PH ist, Pädagog*innen professionell aus fort- und weiterzubilden. Mit professionsorientierter Forschung wollen wir die Lehre durch wissenschaftliche Erkenntnisse weiterentwickeln: Wir begleiten Schulen in ihrer Entwicklung und entwickeln uns selbst hochschulisch weiter. Als PH sorgen wir dafür, dass Forschung den Beforschten zugutekommt – Kindern, Jugendlichen, Lehrpersonen, aber auch Schulen und Kommunen.

Sie arbeiten in zahlreichen Gruppen außerhalb der PH NÖ mit, von Ministerium bis Bildungsdirektion, und innerhalb der PH NÖ, von Departmentleiter-Konferenzen bis hin zum Hochschulkollegium. Ihr Terminkalender ist randvoll. Wie finden Sie in Ihrer Freizeit einen Ausgleich?
EP: Ein Ausgleich ist mein Hund, meine Freude sind meine Tochter und mein Mann. Wir machen gemeinsam die Gegend unsicher und freuen uns an freier Natur.

Christi Schörg, wie ist das bei Ihnen?
CS: Ich befinde mich weiter nördlich, daher hat mein Hund ein dickeres Fell. Ich gehe auch sehr viel spazieren, sehr viel Familie, sehr viel aber auch Theater, Konzert und alles, was sich noch ausgeht, weil ja auch Wien sozusagen auf meinem Arbeitsweg von Hollabrunn nach Baden liegt. Leider ist meine Freizeit recht knapp bemessen. Die Telefonate hören nie auf, die Mails werden immer mehr. Zum Glück sind viele neue Pflichten weniger anstrengend als anregend.

EP: Ein Theaterbesuch ist zeitlich fast ein Luxus, den ich nunmehr noch viel bewusster genieße. Manchmal schaffe ich es auch, neben oder gar während der Arbeit gute Musik zu hören.

Welcher Soundtrack passt zu Ihrer Arbeit?
EP: Aus meiner großen Palette wähle ich nach Stimmung aus, von Klassik bis Jazz.

Als Sie im heurigen Herbst Ihre Aufgaben als Vizerektorinnen übernommen haben, war der Pädagog*innenmangel ein großes Thema. Wie geht das Rektorat der PH NÖ damit in den kommenden Jahren um?
EP: Wir sind in der glücklichen Lage, einen Rektor zu haben, der ein Vordenker ist. So ist unsere Antwort ein Fast-Track-Studium – aus unserer Sicht die beste und schnellste Reaktion auf den Lehrkräftemangel. Wir bieten unseren Studierenden die Möglichkeit, ihr Grundstudium ein Jahr schneller zu absolvieren. Statt der regulären 30 erwerben die Studierenden im Fast-Track 45 bis 50 Credits pro Semester, zwei konzentrierte Jahre lang, und beginnen dann in Absprache mit der Bildungsdirektion mit 180 Credits ihr berufliches Wirken als junge Lehrer*innen.

CS: Das ist deshalb möglich, weil wir bereits jetzt Tagesangebote, Abendangebote solche an Wochenenden und in Schulferien haben. Besonders leistungsfähige Studierende, die sich für den Fast-Track entscheiden, können mit einem darauf abgestimmten Angebot ihre Grundausbildung im gewünschten Tempo absolvieren. Wenn Studierende dagegen extrem frühzeitig als Lehrer*innen arbeiten, haben wir die Sorge, sie für den Lehrberuf zu verlieren. Aus dem Fast-Track gehen unsere Studierenden gerüstet und gestärkt an die Schulen. Wir freuen uns auf die vom Bildungsminister avisierte Umgestaltung im Bachelor von 240 auf 180, im Master von 60 auf 120 Credits. Dafür bieten wir in Absprache mit der Bildungsdirektion als künftiger Arbeitgeberin ein Slow-Track-Master-Angebot in ausschließlich unterrichtsfreier Zeit, um die Arbeit der jungen Lehrer*innen nicht zu stören. Ebenso kann die Masterarbeit für die Schulentwicklung genutzt werden und ermöglicht so auch eine persönliche Schwerpunktsetzung am Standort.

Machen Sie sich angesichts des Pädagog*innenmangels Sorgen um die Bildungssicherheit in Österreich oder Niederösterreich?
CS: Die Sorgen fokussieren wir hin auf die Fragen, was wir gegen diesen Mangel konkret und ohne Qualitätseinbußen tun können. Freilich ist auch die Führungskultur unserer Schulleitungen herausgefordert, auch dafür bieten wir konkrete Unterstützung. Die junge Generation an Lehrpersonen bringt neue Ideen und neues Wissen an die Schulen. Wir versuchen deshalb einen Brückenschlag zwischen Aus-, Fort- und Weiterbildung ohne getrenntes Vorher und Nachher. Stichwort: Lebenslanges Lernen.

Inwiefern betrifft die Situation am Arbeitsmarkt auch die Personalentwicklung an der PH?
EP: Für Masterstudien werden an unserer Hochschule Lehrende mit Doktorat, verbunden mit pädagogischer Erfahrung und Expertise für die Primarstufe, eingesetzt. Die Reduktion des Bachelor- und die Erhöhung des Masterstudienanteils lassen uns darauf hoffen, auch spätere Doktoratsstudien im Grundschulbereich befördern zu können.

Diese Akademisierung wird in der öffentlichen Diskussion häufig kritisiert: Warum brauchen Volksschullehrer*innen einen Master-Abschluss? Früher hat eine dreijährige Ausbildung gereicht.
EP: Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen: Klimawandel, Krieg in Europa, Digitalität, Vielfalt bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit, Flexibilität. Um damit zurecht zu kommen, ist ein intensives Studium sinnvoll. Das Verfassen einer Masterarbeit bedeutet eine intensive und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem speziellen Thema auf einer Metaebene. Damit lässt man sich auch auf einen Prozess ein, der einen vielleicht auch an seine persönlichen Grenzen bringt. Der einen dann aber insofern weiterbringt, als man lernt, sich selbst zurückzunehmen und Dinge von einer "objektivierteren" Ebene zu betrachten, Dinge zu hinterfragen. Das ist gerade für eine Volksschullehrperson wichtig. Erstens: Kinder stellen ganz, ganz viele Fragen. Darin sollte man sie auch ermutigen. Zweitens: Als Lehrpersonen müssen wir auch Leistungen beurteilen. Wir erstellen Gutachten, schauen uns den Sachverhalt an, subsummieren das und dabei kommt eine Note heraus. Eine Ziffernnote ist das kürzeste Gutachten, das man erstellen kann. Beurteilungen sind auch etwas sehr Emotionales – auch wenn wir uns immer wieder bewusst machen, dass Leistungen beurteilt werden, nicht ein Mensch. Um sich darauf einzulassen, ist ein vertieftes Studium sehr wichtig, um mit dieser Verantwortung und Vorbildfunktion umgehen zu lernen. Jedes Kind hat eine andere Ausgangsposition, andere Voraussetzungen. Dafür braucht es eine reflektierte Haltung, die wir mit dem Masterstudium erreichen wollen. Und das alles ist heute wichtiger, als es vielleicht früher war. Die Bedingungen haben sich stark verändert in den letzten Jahrzehnten und heute ist im Beruf von Lehrer*innen ein höherer Grad an Professionalisierung gefragt.

Die PH Niederösterreich wurde 2007 gegründet und ist im Jahr 2022 zu Ihrem Amtsantritt 15 Jahre alt geworden. Frau Polz, Sie haben nach einem Jus-Studium an der PH NÖ Volksschullehramt studiert und danach an der Praxisvolksschule der PH NÖ unterrichtet und waren auch als Lehrperson an der Hochschule tätig, haben parallel dazu zwei Doktorate abgeschlossen. Wie nehmen Sie die Veränderungen der PH NÖ in den letzten Jahren wahr?
EP: Für mich war jedes Jahr anders. Keines hat sich wie das davor angefühlt. Das hätte ich nicht erwartet, aber mittlerweile stelle ich mich darauf ein: Alles ist im Fluss, die Veränderung ist die Konstante. Auch meine persönlichen Erfahrungen an der Hochschule versuche ich in meiner neuen Tätigkeit miteinzubringen, zum Beispiel: Was braucht man als Studierende, was meint man zu brauchen, was braucht man tatsächlich in der Praxis – wobei sich auch das ständig ändert.

Christine Schörg, Sie kennen als Mitarbeiterin noch das Pädagogische Institut (PI), eine Vorläuferorganisation der PH, seit 1999. Am PI waren Sie für Fort- und Weiterbildung zuständig. Wie blicken Sie auf die Veränderungen in fast 25 Jahren Ihrer Berufstätigkeit im Bereich der Lehrer*innenbildung?
CS: Ich komme aus dem Gymnasium und war am PI für Fortbildungen von AHS-Lehrkräften zuständig. Das waren etwa zwanzig Lehrveranstaltungen im Jahr, fast alle Beteiligten habe ich persönlich gekannt. Die Schularten wurden am PI stark voneinander getrennt betrachtet. Mit der Ausbildung von Lehrkräften hatten wir damals gar nichts zu tun. Da war aber auch die Welt noch anders – sehr langsam, beständig, verlässlich, überschaubar. Vielleicht gemütlich? Aber die Gesellschaft hat sich verändert, die Institution hat sich verändert, die Möglichkeiten haben sich multipliziert, potenziert.

Sie sind von 2022 bis 2027 als Vizerektorinnen durch das BMBWF bestellt. Was wird sich in diesem Zeitraum verändern?
CS: Die neuen Lehrpläne sind ein wichtiger Entwicklungsmotor. In den neuen Lehrplänen geht es um einen ganzheitlichen Blick auf das Kind. Auf die Fächer, das Fächer-Verbindende und das, was Schule transportieren soll. Da spielt das Anthropozän eine wichtige Rolle, auch Demokratie und Beteiligung. Auch Berufsorientierung, kulturelle Bildung, Sport und Gesundheit, Inklusion.

EP: Das alles sind Gegenwartsthemen, die Zukunftsthemen bleiben.

I: Was ist Ihnen persönlich für die PH NÖ wichtig?
EP: In Vorlesungen gab es nie Anwesenheitspflicht, sehr wohl aber in Seminaren und Übungen. Mit dem aktuellen Studienjahr hat die PH NÖ eine Prüfungsordnung beschlossen, mit der es keine Anwesenheitspflicht mehr gibt. Wir wollen den Fokus auf die Leistungen legen. Wir wollen Leistung beurteilen, aber nicht Anwesenheit. Solange die Leistung erbracht wird, soll das Erbrachte beurteilt werden – und nicht, ob jemand da war oder nicht. Das bringt viele Chancen, aber auch Unsicherheiten, vor allem von Seiten der Lehrenden. Diese müssen wir bei diesem Paradigmenwechsel begleiten.

Links:
Lebenslauf von Edda Polz
Lebenslauf von Christine Schörg
Pressebereich der PH NÖ

(Ende)
Aussender: Pädagogische Hochschule Niederösterreich
Ansprechpartner: Edith Huemer
Tel.: +43 2252 88570 131
E-Mail: edith.huemer@ph-noe.ac.at
Website: www.ph-noe.ac.at/de/ph-noe/presse
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