Fehlbildungen bei Neugeborenen: Weniger als 50 Prozent werden vorgeburtlich erkannt
Wien (pts022/25.09.2023/12:15)
Frühe Diagnose bereits im Mutterleib rettet Kinderleben und senkt das Risiko für Folgeschäden – ÖGUM fordert Aufnahme des pränatalen Organscreenings in den Eltern-Kind-Pass
Fehlbildungen oder Erkrankungen des Ungeborenen können von Expertinnen und Experten mittels moderner Ultraschalltechnologie bereits vor der Geburt diagnostiziert werden. Durch rechtzeitige Erkennung kann die medizinische Betreuung der Schwangerschaft und die Geburt des Kindes auf die jeweilige Situation angepasst werden, wodurch sich die Prognose – und damit verbunden die künftige Lebensqualität von betroffenen Kindern und Eltern – entscheidend verbessert. Die Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (ÖGUM) forderte daher im Rahmen einer Pressekonferenz für alle Schwangeren in Österreich die Möglichkeit, ein zertifiziertes Organscreening in Anspruch zu nehmen. Diese sollte durch die öffentliche Hand finanziert und integraler Bestandteil der Eltern-Kind-Pass-Vorsorge werden.
Über 1.000 nicht im Mutterleib erkannte Fehlbildungen jährlich in Österreich
"Fehlbildungen betreffen circa zwei bis drei Prozent aller Schwangerschaften. In Österreich sind das etwa 2.000 pro Jahr, wovon insgesamt weniger als 50 Prozent bereits im Mutterleib erkannt werden. Etwa ein Drittel der schwerwiegenden Fehlbildungen mit unmittelbarem nachgeburtlichen Handlungsbedarf sind vor der Geburt nicht bekannt", erläuterte Philipp Klaritsch, Leiter der Forschungseinheit für Fetale Medizin an der Meduni Graz und Leiter des Arbeitskreises Geburtshilfe der ÖGUM.
Grund für die geringe Früherkennungsrate ist, dass aktuell nur Basisultraschalluntersuchungen im Eltern-Kind-Pass empfohlen werden. "Basisultraschall bedeutet die Überprüfung von positiver Herzaktion, altersgerechtem Wachstum, normaler Fruchtwassermenge und normaler Plazentalokalisation. Lebenswichtige Organe wie Gehirn, Herz, Lunge oder Niere werden dabei allerdings nicht systematisch auf Fehlbildungen untersucht", so Klaritsch.
Organscreening ermöglicht rechtzeitige Diagnose und Behandlung – ÖGUM fordert Finanzierung durch die öffentliche Hand
Ein Organscreening mittels Ultraschall durch speziell ausgebildete Expertinnen und Experten kann Anomalien der Organe schon im Mutterleib erkennen. Dadurch können betroffene Kinder schon vor oder unmittelbar nach der Geburt medizinisch optimal versorgt werden. Aktuell muss das Organscreening allerdings in den meisten Fällen privat bezahlt werden. "Das Organscreening ist Teil einer modernen Schwangerenvorsorge, die für alle möglich sein sollte. Wir fordern daher, dass die Untersuchung durch die öffentliche Hand finanziert und integraler Bestandteil der Eltern-Kind-Pass-Vorsorge wird", sagte Barbara Pertl, Präsidentin der ÖGUM und Leiterin des Pränatalzentrums Privatklinik Graz Ragnitz.
Beispiel Herzfehler: Ohne Früherkennung droht Tod durch Sauerstoffmangel und Multiorganversagen gleich nach der Geburt
Mit rund 700 bis 800 Fällen pro Jahr in Österreich sind Herzfehler die häufigsten Fehlbildungen bei Neugeborenen. Unmittelbar nach der Geburt können sie Sauerstoffmangel und Organversagen verursachen. Werden Herzfehler nicht schon im Mutterleib erkannt, steigt durch den entstehenden Zeitverlust von der Diagnose nach der Geburt bis zur Notfallverlegung an ein Herzzentrum das Sterberisiko um das Achtfache. Auch das Risiko für irreversible Hirnschäden, Entwicklungsverzögerungen und Nierenversagen ist ohne pränatale Diagnose deutlich höher.
"Wird ein Herzfehler bereits im Mutterleib im Rahmen eines Organscreenings durch zertifizierte Ultraschallexpertinnen und -experten erkannt, verbessert sich die Prognose für das betroffene Kind deutlich", erklärte Dagmar Wertaschnigg, Leiterin des Pränatalzentrums Fetalmedizin Feldkirch und ÖGUM Vorstandsmitglied. "Die Entbindung erfolgt dann bereits in einem Herzzentrum im Beisein von Spezialistinnen und Spezialisten, die das Kind unmittelbar nach der Geburt übernehmen und behandeln. Bei speziellen Herzfehlern kann sogar eine relativ einfache Operation bereits im Mutterleib durchgeführt werden, um ein Einkammerherz zu verhindern."
Lebensqualität von Kindern und Angehörigen steigt durch rechtzeitige Erkennung
Eine betroffene Mutter schilderte im Rahmen der Pressekonferenz auch ihre persönlichen Erfahrungen mit der Diagnose "Herzfehler" bei ihrem Kind. "Als bei mir drei Wochen vor der Geburt ein Organscreening durchgeführt wurde, wurde der komplexe Herzfehler meines Sohnes entdeckt. Somit wurde er nach der Geburt gleich richtig erstversorgt. Nach mittlerweile 4 großen Herz-OPs kann mein Sohn nun den Umständen entsprechend ein normales Leben führen", berichtete Michaela Altendorfer.
Mit "Herzkinder Österreich" hat Altendorfer eine österreichweite Anlaufstelle gegründet, die Betroffene in allen nicht-medizinischen Anliegen unterstützt. Der Verein setzt sich ebenso wie die ÖGUM dafür ein, dass im neuen Mutter-Kind-Pass auch ein verpflichtendes Organscreening aufgenommen wird. "Durch rechtzeitige Erkennung kann man Betroffenen viel Leid ersparen und die Lebensqualität von Kindern und ihren Angehörigen deutlich steigern", so Altendorfer.
Pressefotos der Pressekonferenz finden Sie unter folgendem Link: https://www.apa-fotoservice.at/galerie/34434
Die Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (ÖGUM) wurde 1973 gegründet. Ultraschall ist heute das am häufigsten verwendete bildgebende Verfahren in der Medizin und gleichermaßen ungefährlich wie kostengünstig. Die multidisziplinäre medizinische Fachgesellschaft hat das Ziel, die wissenschaftliche und praktische Anwendung der Ultraschalldiagnostik zu fördern. In ihr vertreten sind u.a. Expertinnen und Experten aus der Pränataldiagnostik, inneren Medizin, Notfallmedizin, Pädiatrie, Radiologie und Veterinärmedizin. Gemeinsam mit ihren Schwesterngesellschaften in Deutschland (DEGUM) und der Schweiz (SGUM) ist sie die führende Plattform zur Zertifizierung und Qualitätssicherung in der Ultraschalldiagnostik im deutschsprachigen Raum. Die Zertifizierung erfolgt in drei Stufen – von der Basisdiagnostik über die spezialisierte Diagnostik bis hin zur spezialisierten, wissenschaftlich orientierten Fachkompetenz für besondere Fragestellungen – und wird auch in Deutschland und der Schweiz anerkannt. Weitere Informationen unter: www.oegum.at
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