Matthias Eckoldt rekapituliert Virenforschung
Buch bei Ecowin erschienen - Vom Miasma über Abiogenese und Biogenese zum Konzept
München (pte001/19.04.2021/06:00)
„Virus. Partikel, Paranoia, Pandemien" heißt das aktuelle Buch des Wissenschafts-Journalisten Matthias Eckoldt. Der Titel ist dem Zeitgeist geschuldet, wonach auch Sachbücher mit reißerischen Schlagzeilen vermarktet werden müssen. In einer anderen Zeit hätte man wohl sachlich treffender angekündigt, was der eigentliche Inhalt des Buches ist: „Über die Virenforscher und ihre andauernden Kämpfe um die Deutungshoheit".
„Über Ansteckung, ansteckende Krankheiten und ihre Heilung" ist der Titel des Hauptwerkes von Girolamo Fracastoro, das vor rund 500 Jahren erschienen ist. Der Mediziner beschrieb bereits Typhus, Pest, Tuberkulose, Tollwut und Lepra, die seines Erachtens durch unsichtbare Erreger verursacht und von Mensch zu Mensch übertragen werden. „Fracastoros Ansichten konnten sich in der Medizin nicht durchsetzen", berichtet Eckoldt und verweist auf ein Phänomen, das in der Wissenschaftsgeschichte bis heute weiter besteht: „Allzu direkt richteten sie sich gegen den herrschenden Glaubenssatz". Das war damals die Vorstellung, dass üble Dämpfe zur Entstehung von Krankheiten führen.
Im 17. Jahrhundert bringt Antoni van Leeuwenhoek Licht ins Dunkel der Mikroorganismen. Er schafft es, eine Linse mit 270-facher Vergrößerung zu schleifen, womit der das „Gewusel" in einem einfachen Wassertropfen sichtbar machen konnte. „Die renommiertesten Wissenschaftler der Zeit spotten über die Berichte aus den Niederlanden", doch später wurde dem Autodidakten sogar die Mitgliedschaft in der Royal Society angeboten. Zur gleichen Zeit forscht der Jesuit Athanasius Kircher über die Ursachen der Pest – allerdings verfügte er über keines der Mikroskope, von denen Leeuwenhoek mehr als 500 hergestellt hat. (Am Rande: Kircher spielt als Hexenjäger in „Tyll", dem bislang letzten Roman von Daniel Kehlmann, eine wichtige Rolle.)
Neben der Theorie der üblen Dämpfe (Miasma) hielt sich bis zu Lebzeiten Goethes (der auch daran glaubte) die Theorie der Urzeugung (Abiogenese) von Mikroben aus Gammelfleisch oder Ausscheidungen. „Die Französische Akademie lobte schließlich einen Preis für jenen Wissenschaftler aus, der den Streit um die Urzeugung endlich mit überzeugenden Experimenten beenden konnte. Das Preisgeld von 2500 Franc holte sich das Wunderkind der französischen Naturwissenschaft Louis Pasteur. […] Statt Abiogenese gilt nun Biogenese mit ihrem Leitspruch: Alles Lebendige kommt aus Lebendigem."
Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde klar, dass auch die Bakterien nicht die Verursacher aller Infektionskrankheiten sein konnten. Man vermutete Gift (lateinisch „virus"), doch Experimente, bei denen Bazillen vollständig ausgefiltert wurden und danach die Rückstände mehrfach verdünnt Versuchstieren injiziert wurden, bewiesen, dass sich die Erreger weiterhin vermehrten, statt (wie bei Gift anzunehmen) verringerten. „Den Schülern von Robert Koch blieb es vorbehalten, das erste Virus bei Säugetieren zu finden. Sie erforschten im Auftrag der Partei der Landwirte die Maul- und Klauenseuche." Allerdings ist es den beiden Forschern Friedrich Löffler und Paul Frosch nicht gelungen, ein Gegenmittel zu finden.
Mit der Spanischen Grippe wurde die Suche nach dem Virus wieder virulent. Erstmals aufgetreten im Frühjahr 1918 in Kansas verbreitete sich die Influenza nach dem Kriegseintritt der USA schnell in Europa, Indien und Afrika. „Nicht nur der Erreger der Grippe war unbekannt, sondern auch der Übertragungsweg." Zur Erforschung der Krankheit holten sich US-Marineärzte „freiwillige" Versuchspersonen aus Militärgefängnissen. Alle Probanden haben die Versuchsreihen gesund überstanden und die Wissenschaft stand wieder vor einem Rätsel. „Zeit für Paranoia", meint Eckoldt, doch „diesmal mussten nicht – wie zu Pestzeiten – die Juden herhalten, sondern die Deutschen. […] Der Pharmariese Bayer habe die Krankheitserreger in sein Aspirin gemischt, so hieß es."
Erst die Entwicklung des Elektronenmikroskops durch Ernst Ruska in Deutschland der 1930-er Jahre konnte Viren als eigene Partikel sichtbar machen, wobei grundlegende Fragen nicht sofort beantwortet werden konnten: „Sind das Viren oder einfach zur Zelltrümmer, die während der Präparation entstanden sind?" Der Mediziner Helmut Ruska konnte mit dem von seinem Bruder entwickelten Mikroskop erstmals das Tabakmosaikvirus optisch darstellen. Mit der Präsentation auf dem 5. Zellforscherkongress in Zürich 1938 schrieb er Wissenschaftsgeschichte. „Unglaublich, aber wahr! In den USA bekommt man von Ruskas Arbeiten nichts mit."
Weiterhin bleiben Existenzweise und Existenzstatus des Virus umstritten: „Darüber, ob Viren zum Kreis des Lebendigen gehören oder nichts weiter als tote Moleküle sind, gibt es ab Mitte der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts denn auch erbitterte Kontroversen." Wieder einmal wurde eine Theorie von der Wissenschaftlergemeinde ignoriert: die Lysogenie (der Umstand, dass Bakterien, die von Viren befallen wurden, nicht automatisch lysiert, d.h. zerstört werden). Nur André Lwoff forschte weiter daran und konnte die Wirkungsweise der Bakteriophagen entschlüsseln. Der Autor zitiert Lwoff: „Die Lysogenie hat auch zur Definition der Viren geführt, zum Konzept des Virus selbst."
Mit der Behauptung „Das Virus ist ein Konzept" bietet Lwoff einen Antwort an, mit der er den Streit zwischen jenen schlichten will, die Viren für nicht lebendige Moleküle halten und jenen, die meinen, Viren seien Organismen. Für Wissenschafter vielleicht weniger verständlich als für Sprachphilosophen ist seine launige Aussage: „Viren sollten als Viren betrachtet werden, weil Viren Viren sind."
Für seine Erkenntnisse hat André Lwoff 1965 den Nobelpreis erhalten. Die Geschichte der Erforschung der Viren führt den Autor Matthias Eckoldt bis in die Gegenwart. Er erzählt über die Entwicklung der patentfreien Polioimpfung, die spezifischen Mechanismen der Retroviren, die Entdeckung, dass Viren auch Krebs verursachen können und den Streit um die Entdeckung von HIV und nicht zuletzt über die Viren als „Fähren" für Gentechniker.
Im letzten Teil des Buches landet Eckoldt in der Gegenwart bei Corona und Co. Hier distanziert sich der Autor von „Verschwörungsgläubigen, die den Microsoft-Gründer endgültig zur diabolischen Figur" erklären, kritisiert aber auch die profitorientierten Pharmakonzerne, an denen die Gates-Stiftung Anteile hält. Der Wendepunkt von der Gesundheitsorientierung zur Profitorientierung erfolgte laut Eckoldt schon Ende des 20. Jahrhunderts in den USA, als Genehmigungsverfahren für Arzneimittelstudien „aus den Händen des nationalen Gesundheitsinstituts NIH genommen und in jene der Arzneimittelbehörde FDA gelegt wurden. Damit war eine entscheidende […] Änderung verbunden. Denn während das NIH alle während der Studien auftretenden Komplikationen sofort veröffentlicht, behandelt die FDA den gesamten Prozess bis zur Zulassung eines bestimmten Produkts als Betriebsgeheimnis. Somit unterliegen auch unerwünschte Effekte der Schweigepflicht, und der Öffentlichkeit bieten sich kaum Möglichkeiten, den Forschern in den Biotech-Laboren auf die Finger zu schauen."
Nicht zuletzt erinnert Eckoldt daran, dass zahlreiche Pharmakonzerne zweckgebunden zur Entwicklung von Corona-Impfstoffen Milliardenbeträge von den Regierungen bekommen haben. Die anfallenden Gewinne fließen jedoch nicht zurück, sondern verbleiben in den Kassen der Unternehmen. Dieses Modell heißt Privat Public Partnership. So gesehen könnte der Untertitel des Buches, wenn er schon mit der Alliteration PPP auffallen will, lauten: Pandemien, Patente, Profite.
Alle Zitate aus: Matthias Eckoldt
„Virus. Partikel, Paranoia, Pandemien"
München 2021 erschienen bei Ecowin
https://www.ecowin.at/produkt/virus/
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