pte20241118003 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

Medien bauschen Ereignisse zu Krisen auf

Norwegische Universität für Wissenschaft und Technik: Geld und Macht spielen wichtige Rolle


Stefan Geiß: Für den Forscher sind viele Krisen lediglich Ereignisse (Foto: ntnu.edu)
Stefan Geiß: Für den Forscher sind viele Krisen lediglich Ereignisse (Foto: ntnu.edu)

Trondheim (pte003/18.11.2024/06:10)

Die Welt scheint von immer mehr Krisen geplagt zu sein, zumindest laut den Medien. "Finanzkrise, europäische Schuldenkrise, Migrationskrise, COVID-19-Pandemie, der Einmarsch in der Ukraine, der Krieg im Gazastreifen und so weiter. Die Welt scheint von einer existenziellen Krise in die nächste zu stolpern und sich kaum von einer zu erholen, bevor die nächste einschlägt", so Stefan Geiß von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technik (NTNU).

Berichte aus 235 Jahren analysiert

Um herauszufinden, ob es heute tatsächlich mehr Krisen gibt als früher, hat das Team die Krisenberichterstattung in der in London erscheinenden Tageszeitung "The Times" über einen Zeitraum von 235 Jahren untersucht. "Wir haben mehr als 1.000 verschiedene Krisenereignisse identifiziert, die zu großen Nachrichtenwellen führten. Am häufigsten waren Regierungskrisen, geopolitische Krisen, wirtschaftliche Krisen, Epidemien und Katastrophen", sagt Geiß.

Krisenereignisse seien "etwas häufiger" geworden. "Die Zunahme der Verwendung von Krisenrhetorik ist allerdings viel stärker als die Zunahme der Häufigkeit von Krisen", meint Geiß. Mit anderen Worten: Krisenrhetorik wird viel häufiger verwendet als früher, aber nicht alles davon führe zu spürbaren Nachrichtenwellen. Krisenrhetorik in einzelnen Artikeln erzeugt nicht unbedingt das Gefühl einer öffentlichen Krise oder löst eine Welle der Berichterstattung über die Situation aus, die alle betrifft.

Interessengruppen üben Druck aus

Der Eindruck, in der Neuzeit gebe es mehr Krisen als früher, beruht laut den NTNU-Forschern auf bestimmten Fakten. Interessengruppen übten Druck auf Medien aus, damit diese etwas als Krise wahrnehmen. Es gebe immer mehr dieser Gruppen, und sie seien professioneller geworden. Daher sei es für die Medien einfacher geworden, Ereignisse als Krisen darzustellen, die in der Vergangenheit wahrscheinlich ignoriert oder als weniger schwerwiegend angesehen worden wären.

Wenn etwas als Krise wahrgenommen wird, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit Macht und Autorität mehr Geld für den Bereich bereitstellen. Und je mehr Macht die Nachrichtenmedien erhalten, desto relevanter würden sie. Da der Wettbewerb zunehme und Medienunternehmen einen größeren Teil ihrer Einnahmen selbst erwirtschaften müssten, könne es verlockend sein, über wirkliche und vermeintliche Krisen zu berichten, um Aufmerksamkeit und Einnahmen zu generieren.

"Die meisten Menschen nehmen Ereignisse allerdings nicht immer als Krise wahr, selbst wenn die Medien sie als solche darstellen", mahnt Geiß. Die scheinbaren Krisen lenkten die Aufmerksamkeit von Themen ab, die genauso wichtig sein können. Dabei gehe es um besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklungen, wie die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich in vielen Ländern oder große humanitäre Krisen, die sich im Laufe der Zeit allmählich entwickelt haben.

(Ende)
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