ptp20160427038 Forschung/Entwicklung, Bildung/Karriere

Open Access, Open Data, Open Science - Von der Bewegung zum Geschäftsmodell?

Symposion zur "Karriere" der Offenheits-Initiativen in den Wissenschaften am 28./29.4. in Linz


Linz (ptp038/27.04.2016/16:00) Offenheits-Initiativen sind "in". Anfangs ignoriert oder als utopisch belächelt, fördern und fordern heute Forschungsfonds "offene" Projekte. Verlagskonzerne kaufen viele auf oder gründen eigene. Zugleich verstärken sich in den Medien Berichte über die Schattenseiten "offener" Projekte, vor allem über "räuberische" ("predatory") Open-Access-Journale bzw. -Verlage, die gegen AutorInnengebühr ("author fee") alles, aber wirklich auch alles veröffentlichen - selbst computer-generierte Nonsense-Texte.

B3: Es begann in Budapest, Bethesda, Berlin

Am Anfang standen Deklarationen in Budapest, Bethesda, Berlin. Zahlreiche wisssenschaftliche Gesellschaften, Institutionen bzw. hochrangige Mitglieder ebendieser unterschrieben diese Erklärungen. Sie verpflichten sich dazu, wissenschaftliche Erkenntnisse "barrierefrei" der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Barrierefrei meint nicht nur kostenfrei (üblich sind ja 30 bis 60 Euro pro Artikel, selbst von nur wenigen Seiten Tekst, für ein Download), sondern vor allem, weitaus wichtiger: barrierefrei für Programme. Open Access Publikationen/Journale/Archive dürfen auch maschinell ausgewertet werden, etwa für Übersichtsarbeiten (Meta-Analysen, Plagiatsprüfprogramme, Text mining).

G3: Gold, grün, grau: Die Farben des Open Access

ExpertInnen unterscheiden den goldenen Weg zum Open Access: Publikationen werden sofort (auch) online gestellt, als Open Access Journal Artikel oder Open Access Buch, und ohne Barrieren zu Lektüre, Download, Analyse freigegeben. Der grüne Weg ist nur ergänzend: Konventionelle Publikationen können - je nach Gesetzeslage bzw, Verlagspolitik - nach einer Embargozeit (oft ein Jahr) zusätzlich zur Papierpublikation in ein Open Access Repository gestellt werden. Die Volltexte sind dann rund um die Uhr und weltweit von Suchmaschinen auffindbar und per Mausklick lesbar bzw. herunterladbar. Grau nennen manche die vielen Selbsthilfe-Praktiken von WissenschaftlerInnen, um die wissenschaftliche Kommunikation anzukurbeln, zum Beispiel das Posten ihrer Aufsätze auf Mailing-Listen (laut ©-Klauseln der Verlage meist untersagt).

Konventionelle Online-Journale: Zeitraubend

Nicht wenige UserInnen kritisieren den lästig hohen Zeitaufwand bei konventionellen kostenpflichtigen Online-Angeboten. Vom Campusarbeitsplatz geht es vielleicht etwas schneller, aber von zu Hause aus über WebAccess ins Uni-Netzwerk sich einzuloggen, zum WebAccess der eigenen Uni-Biobliothek, über das sich Durchklicken bis zum ersehnten Journal, dort bis zum ersehnten Heft, zum ersehnten Artikel (die Suchfunktionen sind nicht immer funktionstüchtig), bis zum erfolgreichen Aufruf und - oft in mehreren Etappen - bis zum erfolgreichen Download des Artikels im Volltext kommen schnell 20 Minuten Zeitaufwand pro Artikel zusammen.

Vorausgesetzt, es kommt zu keiner der häufigen Pannen: ein Eingangsdialog wird abgebrochen und muss mehrfach wiederholt werden, weil das System nur für ein bestimmtes Betriebssystem, nur einen bestimmten Webbrowser "optimiert" ist; die Passwörter wurden falsch eingetippt; das System verlangt Geld vom User, obwohl die Uni ein Lizenzen bezahlt hat - eine verdächtig häufige "Panne". Nach einigem Hin und Her, inklusive Übermittlung von Screenshots an den Verlag, kommt eine halbherzige Entschuldigung, das Angebot wird doch freigeschaltet und so kommt es dann mit zwei, drei Tagen Verspätung endlich zum Volltext-Zugriff.

OA: Lesen und Herunterladen in Sekunden

Ganz anders bei Open Access (OA): Wenn nicht gerade der gesamte OA-Server ausgefallen ist (auch das kann natürlich passieren; aber schnell entdeckt das eine Userin bzw. ein User und alarmiert die zuständigen AdministratorInnen) reicht ein Klick auf das von der Suchmaschine (zum Beispiel Google Scholar) angezeigte Dokument, und voila - wir können es lesen, herunterladen, ohne in rechtliche Grauzonen zu geraten und an Studierende oder KollegInnen weiterleiten.

Die Files enthalten oft hochauflöslichen Extradateien der enthaltenen Bilder, Tabellen, Grafiken - das ermöglicht auch das Entdecken auffälliger Details, die auf Bildmanipulation schließen lassen. In den oft bloß briefmarkengrossen Abbildungen in konventionellen Büchern bzw. Paperjournalartikeln ist das nicht möglich (auch viele konventionelle Online-Journale beschränken sich leider noch auf PDF-Versionen der Artikel).

Das Lesen der Volltextartikel ist der wichtigste Vorteil: Verschiedene Studien zeigen, dass immer mehr WissenschaftlerInnen aufgrund von Kosten- und Zeitdruck nur die Abstracts eines Artikels lesen. Das hat Folgen: Laue Komplimente statt fundierter Kritik. Etliche Fälschungen wurden nicht von den vielstrapazierten Gutachterinnen, sondern von einfachen LeserInnen entdeckt - weil diese LeserInnen mehrere Artikel eines Autors jeweils im Volltext gelesen oder auch nur überflogen hatten und ihnen dabei zum Beispiel dieselben schönen Kurven, jeweils andere Substanzen darstellend, aufgefallen waren.

Open Data, Open Science

Doch das Rad der Entwicklung der wissenschaftlichen Kommunikation in der digitalen Ära dreht sich weiter: Die meisten um teures (Steuerzahler-)Geld erhobenen Daten werden von den ForscherInnen nur recht teilweise ausgewertet. Vieles bleibt liegen, denn der nächste Projektantrag muss eingereicht werden, um das Überleben des Instituts, des Sonderforschungsbereichs, der ProjektmitarbeiterInnen sicherzustellen. Zudem können Gutachter aus der Ferne, aufgrund blosser Lektüre des eingereichten Manuskripts, Fehler oft kaum erkennen. Daher ist es in Biologie schon üblich, dass Journale Artikel nur veröffentlichen, wenn die AutorInnen die verwendeten Daten in ein Open Data-Archiv zur Re-Analyse durch kritische Kolleginnen deponieren.

Geheimpraxis Peer Review, Open Science/Open Evaluation

Open-Science-AdvokatInnen geht noch weiter: Zusätzlich zu Open Access und Open Data wird auch Open Evaluation gefordert. Normalerweise sind die Prozesse bei der Begutachtung eingereichter Manuskripte streng geheim. Open Evaluation-AdvokatInnen verlangen daher: Auch Gutachten, Kritik, Gegenkritik sollten öffentlich zugänglich gemacht werden - entweder sofort oder zumindest nach der offiziellen Veröffentlichtung des Artikels. Wissenschaft lebt von der kritischen Haltung aller LeserInnen. Die wissenschaftliche Methode, davon war Popper überzeugt, hat einen öffentlichen Charakter. Geheimhaltung passe nicht zu ihr.

Von der Bewegung zum Geschäft

Open Access ist nun in die Jahre gekommen. Erfolg verdirbt den Charakter, meint eine Volksweisheit. Trifft dies auch auf die Offenheitsinitiativen zu? Open Access-Konferenzen nur für geladene Gäste (Berlin), oder mit einer Tagungsgebühr von über 400E (Amsterdam) sorgen für Irritationen. Die eingeladenen ReferentInnen des Linzer Symposions wollen die doppelbödigen Entwicklungen der Offenheitsinitiativen kritisch untersuchen. Die TeilnehmerInnen stammen vielfach aus den Kultur- und Sozialwissenschaften, Gebiete, die sich bis heute gegenüber Open Access/Open Science eher recht skeptisch verhalten haben. Doch gerade kultur- und sozialwissenschaftlicher Sachverstand ist für die weitere positive Entwicklung der Offenheits-Initiativen nötiger denn je.

Programm-Auszug:

Do., 28. 4. 2016, 15.30 Uhr
Workshop 1: Informationsethik: Informationsüberflutung, Desinformation, Informationsvorenthaltung in der "Informationsgesellschaft"
a.Univ.Prof. Dr. Gerhard Fröhlich, Linz: Strategeme der Informationsvorenthaltung
Prof. Dr. Klaus Feldmann, Hannover / Wien: Unerwünschtes Wissen & Desinformation
Dr.in Terje Tüür-Fröhlich MSSc, Linz: Citation Indexing: Errors as Trade Secrets?
Johanna Tschautscher: Recherchen in der Finanzwelt: Mühsam

Fr., 29. 4. 2016, ab 13 Uhr s.t.
Workshop 2: Open Access/Science/Data in der Praxis (Schwerpunkt: selbstorganisierte Projekte, Sozial- und Kulturwissenschaften)
Dr.in Andrea Ghoneim, Krems: Open Educational Resources
Mag.a Daniela Fürst, Wien: Das Cultural Broadcasting Archive (CBA)
Dr.in Terje Tüür-Fröhlich MSSc, Tallinn/Linz: Prädikat: frauenfreundlich! Open Access in der qualitativen Sozialforschung
Univ.Prof. Dr. Herbert Hrachovec, Wien: Sammelpunkt, Elektronisches Archiv für Theorie
a.Univ.Prof. Dr. Gerhard Fröhlich / a.Univ.Prof. Dr. Ingo Mörth, Linz: HyperBourdieu, HyperElias, HyperGeertz, Flusser Studien
Dipl.Soz. Dr. Ulrich Herb, Saarbrücken: Präsentation eigener Open-Access-Bücher, Präsentation Open-Access-Verlag "universaar", Saarbrücken

Fr., 29. 4. 2016, ab 16 Uhr s.t.
Workshop 3: Open Access/Science/Data: Von der Bewegung zum Geschäft
Univ.Prof. Dr. Herbert Hrachovec, Wien: Ist Open Access eine Illusion geworden?
Dr.in Terje Tüür-Fröhlich MSSc, Tallin/Linz: Predatory Journals & Quantitative Evaluation: The Case of Estonia
Dipl.Soz. Dr. Ulrich Herb, Saarbrücken: Open Science: Geschäftsmodelle und ihre Schattenseiten
a.Univ.Prof. Dr. Gerhard Fröhlich, Linz: Medienrummel und Kontroversen rund um Offenheitsinitiativen

Veranstalter: Kulturinstitut an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU). Powered by JKU. Gefördert von der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung.

Dank an: Institut für Philosophie und WissenschaftstheorieJKU, Oberbank, Buchhandlung Fürstelberger/Linz; AG Kulturphilosophie und Wissenschaftsforschung im Hochschulverband Informationswissenschaft, Sektion Kulturtheorie und Kulturforschung der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie (ÖGS), Österreichische Gesellschaft für Dokumentation und Information (ÖGDI), Verband der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs (VWGÖ).

Programm:
http://www.kulturinstitut.jku.at/symposion2016.html

Eintritt frei, keine Anmeldung erforderlich.

(Ende)
Aussender: VWGÖ - Verband Wissenschaftlicher Gesellschaften Österreichs
Ansprechpartner: Michaela Pinkawa
Tel.: +431 40160 31103
E-Mail: office@vwgoe.at
Website: www.vwgoe.at
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