Kopfschmerz und Migräne: Weit verbreitet, unterschätzt, fehlbehandelt
Europäischer Kopfschmerz- und Migränetag: Neurologen plädieren für frühzeitige u kompetente Therapie
Wien (pts028/11.09.2017/13:35) Nach den Angaben der WHO sind Spannungskopfschmerz und Migräne die weltweit zweit- und dritthäufigsten Erkrankungen, nur Zahnkaries ist noch häufiger. Was die krankheitsbedingte Belastung betrifft, liegt Migräne weltweit an sechster Stelle und bei Unter-50-Jährigen sogar an 3. Stelle. Kopfschmerzerkrankungen verursachen mehr krankheitsbedingt verlorene Lebensjahre als alle anderen neurologischen Erkrankungen inklusive Demenz gemeinsam. Das berichtet die Österreichische Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) anlässlich des "Europäischen Kopfschmerz- und Migränetages" am 12. September 2017.
"Trotz dieser Fakten bestehen gegenüber Kopfschmerzen erhebliche Vorurteile", so Univ.-Prof. Dr. Christian Wöber (Univ.-Klinik für Neurologie, MedUni Wien). "Kopfschmerzen und Migräne werden häufig nicht als ernst zu nehmende chronisch wiederkehrende Erkrankung wahrgenommen und mit der Bemerkung 'Ein bissl Kopfweh habe ich auch hin und wieder' abgetan. Sie bedürfen jedoch einer fundierten und möglichst früh einsetzenden Behandlung."
74 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben Kopfschmerzen
Problematisch ist, dass zunehmend auch immer mehr Kinder und Jugendliche von den verschiedenen Kopfschmerz-Formen betroffen sind. Erste Daten einer von der Spezialistin für Kinder-Kopfschmerz Univ.-Prof. a.D. Dr. Çiçek Wöber-Bingöl initiierten internationalen Studie zeigen, dass von insgesamt mehr als 10.000 Schülerinnen und Schülern im Alter von 6 bis 17 Jahren im vergangenen Jahr 74 Prozent Kopfschmerz hatten. Bei 37 Prozent traten Sie mindestens einmal pro Woche auf und bei 9 Prozent waren die Kopfschmerzen stark.
"Von den Kindern und Jugendlichen mit Kopfschmerzen nahmen 45 Prozent mindestens einmal pro Monat ein schmerzstillendes Medikament ein. Mehr als 80 Prozent gaben an, dass sie mit Ihren Kopfschmerzen nicht gut umgehen können und der Kopfschmerz ihre Konzentration beeinträchtigt", berichtet Prof. Wöber-Bingöl. "Hier gibt es einen großen Bedarf an Versorgungsstrukturen."
Experten-Empfehlungen im Alltag viel zu selten befolgt
Fachleute bemängeln in der Kopfschmerz-Behandlung das verbreitete Auseinanderklaffen zwischen den Experten-Empfehlungen und der täglichen Praxis. So hat eine Erhebung in acht österreichischen Kopfschmerzzentren gezeigt, dass unter Erwachsenen viele der schwer betroffenen Patienten vor der Überweisung in ein spezialisiertes Zentrum keine ausreichende Therapie erhalten haben. Die Verordnung von Triptanen, der spezifischen Mittel zur Akuttherapie der Migräne, wurde soeben an der MedUni Wien untersucht.
Prof. Wöber: "Triptane wurden nicht mehr als 6 Prozent der Erwachsenen mit Migräne verordnet, obwohl diese Mittel gut bekannt sein sollten. Der geringe Prozentsatz lässt darauf schließen, dass viele Migränebetroffene keine ausreichend wirksame Therapie für akute Attacken zur Verfügung haben."
Die Studie hat aber auch gezeigt, dass 6 Prozent der Patienten, die Triptane verwenden, diese zu häufig einsetzen und damit das Risiko eines zusätzlichen medikamentenbedingten Kopfschmerzes besteht. Dieser kann sich entwickeln, wenn Triptane oder jegliche schmerzstillende Mittel an zehn Tagen pro Monat oder öfter verwendet werden.
Es gehe also darum, so Prof. Wöber, mit Aktionen wie dem "Europäischen Kopfschmerz- und Migränetag" über den Stellenwert von Kopfschmerz und Migräne und die Notwendigkeit einer kompetenten Behandlung aufzuklären: "Immer dann, wenn wiederkehrende Kopfschmerzen mit eigenen Maßnahmen nicht ausreichend beherrschbar sind und die Kopfschmerzen Alltagsaktivitäten beeinträchtigen oder unmöglich machen, sollten Betroffene ärztliche Hilfe suchen. Spezialisten für die Behandlung von Kopfschmerzen sind die Fachärzte für Neurologie."
Mit einem auf individuelle Bedürfnisse abgestimmten Behandlungskonzept lassen sich die Auswirkungen wiederkehrender Kopfschmerzen deutlich verringern und die Lebensqualität der Betroffenen merkbar verbessern, so Prof. Wöber. Voraussetzung sei eine Kooperation von Allgemeinmedizinern, Fachärzten für Neurologie und spezialisierten Kopfschmerzzentren.
Neuartiger Antikörper zur medikamentösen Migränevorbeugung erforscht
Derzeit steht auf dem Gebiet der medikamentösen Migränevorbeugung die Einführung völlig neuartiger Medikamente bevor. Erforscht werden speziell für Migräne entwickelte Wirkstoffe, die sich als Antikörper gegen den Botenstoff CGRP (calcitonin gene-related peptide) richten, der bei der Entstehung von Migräneattacken eine wichtige Rolle spielt. Die Verabreichung erfolgt einmal pro Monat als Injektion. Die ersten dieser Präparate werden voraussichtlich Ende 2018 verfügbar sein.
Empfehlungen zur Migräne-Behandlung
Im Falle einer akuten Migräneattacke reichen im Kindesalter oft ein paar Stunden Schlaf aus, um die Attacke zu beenden. Bei längeren Attacken und bei Erwachsenen ist aber meistens der gezielte Einsatz von Medikamenten erforderlich. Wobei eine ausreichend hohe Dosis und die Einnahme zu Beginn der Migräneattacke zu beachten sind. "Klingt eine Migräneattacke mit Schmerzmitteln wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Paracetamol nicht innerhalb von zwei Stunden ab, stehen bei Erwachsenen die Triptane zur Verfügung. Eines dieser Präparate ist auch für die Behandlung von Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr zugelassen", so Prof. Wöber.
In der vorbeugenden Migräne-Behandlung spannt sich der Bogen - je nach Häufigkeit und Schwere der Schmerzen - von einem Lebensstil mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr, regelmäßigen Mahlzeiten, genügend Schlaf und Ausdauersport, über die Beachtung von Auslösern, den Einsatz von Entspannungstechniken wie Biofeedback und progressiver Muskelrelaxation und der Akupunktur zur Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (Riboflavin, Conezym Q10, Magnesium), pflanzlichen Arzneimitteln (Mutterkraut) und Medikamenten im engeren Sinn. Prof. Wöber: "Bei schwer Betroffenen ist es besonders wichtig, biopsychosoziale Aspekte umfassend zu beachten und Verhaltenstherapie einzubeziehen, um mit den Patienten geeignete Strategien im Umgang mit chronisch wiederkehrenden Kopfschmerzen zu erarbeiten."
Quellen: Steiner TJ, Stovner LJ, Vos T. GBD 2015: migraine is the third cause of disability in under 50s. J Headache Pain. 2016 Dec;17(1):104; Wöber C, Wöber-Bingöl Ç, [...], Steiner TJ. Immature headache: broadening the approach to headache in children and adolescents, with supporting evidence from a nationwide school-based cross-sectional survey in Turkey. (zur Publikation eingereicht); Zebenholzer K, Andree C, Lechner A, Broessner G, Lampl C, Luthringshausen G, Wuschitz A, Obmann SM, Berek K, Wöber C. Prevalence, management and burden of episodic and chronic headaches - a cross-sectional multicentre study in eight Austrian headache centres. J Headache Pain. 2015;16:531; Zebenholzer K, Gall W, Wöber C. Triptan use and overuse in Austria - a survey based on nationwide sickness healthcare claims data. 18th Congress of the International Headache Society, Vancouver, 7.-10. 9. 2017
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