"Under Pressure - das Herz im gesellschaftlichen Wandel"
Neue Herausforderungen durch Stress, ungesunden Lebensstil und zu wenige Kontrolluntersuchungen
Wien (pts015/06.06.2018/11:55) "Auch dieses Jahr können wir eine Leistungsschau der modernen Herz-Medizin bieten, die maßgeblich dazu beiträgt, dass wir immer älter werden", sagt Prim. Univ.-Prof. Dr. Andrea Podczeck-Schweighofer, Präsidentin der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft (SMZ Süd - Kaiser Franz-Josef-Spital) bei der Vorab-Pressekonferenz der Jahrestagung der ÖKG (6. bis 9. Juni im Salzburg Congress), die unter dem Motto "Under Pressure - das Herz im gesellschaftlichen Wandel" steht.
Heute beträgt die Lebenserwartung bei Männern 79,1 Jahre, bei Frauen 84 Jahre, vor vier Jahrzehnten waren es noch 66,8 und 73,5 Jahre. Damals verstarben in Österreich rund 47.000 Personen pro Jahr an einer Herz-Kreislauferkrankung, heute etwa ein Viertel weniger, obwohl die Bevölkerung massiv gewachsen und deutlich älter geworden ist. "Altersstandardisiert beträgt der Rückgang der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit seit 1970 über 60 Prozent", so die ÖKG-Präsidentin. "Allerdings, und das ist die Schattenseite der kardiologischen Erfolgs-Story, sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen noch immer die häufigste Todesursache."
Der aktuelle "Deutsche Herzbericht", verzeichnet bei der Häufigkeit der verbreitetsten Herzkrankheiten teils deutliche Anstiege gegenüber 2015. Auch die Sterbeziffer ist 2015 bei diesen Krankheiten im Vergleich zu 2014 etwas gestiegen.(1) "Die Herausforderungen an die moderne Herz-Medizin bestehen also weiterhin, möglicher Weise stehen wir sogar vor einer Trendwende", so Prof. Podczeck-Schweighofer. Ein Grund dafür ist, dass Fehlernährung, Übergewicht, Bewegungsarmut und Rauchen viele Fortschritte der Herz-Medizin wieder neutralisieren. Ein zweiter ist, dass Risikofaktoren wie erhöhter Blutdruck, ungünstige Cholesterinwerte und hohe Blutzuckerspiegel unerkannt bleiben, weil viele Menschen nicht zu Untersuchungen gehen.
"Under pressure": Wie Stress den Herzen schadet
"Eine weitere Ursache ist zweifellos der Stress, deshalb unser Kongress-Motto 'Under pressure'. Die psychische Belastung vieler Menschen ist unübersehbar", sagt die ÖKG-Präsidentin. Eine aktuelle Umfrage einer deutschen Krankenkasse zeigt, dass sich jeder zweite Befragte von Burn-out bedroht fühlt, jeder Siebte sehr stark. Als Hauptgründe für das Gefühl völliger Erschöpfung wurden ständiger Termindruck, emotionaler Stress durch Kunden oder Patienten, Überstunden und schlechtes Arbeitsklima genannt.
Stress ist eigenständiger Risikofaktor für Herzerkrankungen - Das Broken Heart Syndrom
"Stress ist ein eigenständiger Risikofaktor für Herzerkrankungen", erklärt Prof. Podczeck-Schweighofer. "Bei Stress-Tests zeigte sich, dass Stressgefährdete auch körperlich anders auf Belastung reagierten als andere Menschen: Bei ihnen stieg der Blutdruck und die Zahl blutverklumpender Leukozyten deutlich höher an."(2)
Schlimmsten Falls kann die Stress-Belastung tödlich enden, zum Beispiel durch plötzlichen Herztod. "In nur etwas mehr als zehn Prozent der Fälle sind davon Risikopatienten betroffen, die nach einem Herzinfarkt bereits an einer Herzmuskelschwäche litten oder eine andere Herzerkrankung hatten. Dem plötzlichen Herztod geht meistens eine längere Phase mit chronisch depressiver Stimmungslage voraus", sagt Prof. Podczeck-Schweighofer. "Solche Menschen sind dann in einer akuten Stresssituation besonders gefährdet. Wer mit Stress besser umgehen kann, hat ein niedrigeres Risiko für plötzlichen Herztod."
Physiologisch gesehen sind die direkten Auslöser des plötzlichen Herztodes meistens Herzrhythmusstörungen oder das Broken Heart Syndrom (Stress-Kardiomyopathie), bei dem es zu einer krampfartigen Verengung der Herzkranzgefäße kommt. Bei Männern ist körperlicher Stress der häufigste Auslöser für das Broken Heart-Syndrom, bei Frauen emotionaler Stress. Neu ist die Erkenntnis, dass der Auslöser körperlicher Stress die Prognose sowohl bei Frauen und Männern erheblich verschlechtert. Patienten mit einem Broken Heart Syndrom erleiden außerdem innerhalb von fünf Jahren deutlich häufiger einen Schlaganfall als Infarkt-Patienten.(3)
Wie Stress und Diabetes können zusammen hängen können
Das Protein FKBP51 ist an der Regulierung des Stress-Systems beteiligt. Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat jetzt nachgewiesen, dass dieses Stressprotein als molekulares Bindeglied zwischen dem Stress-Regulationssystem und Stoffwechsel-Vorgängen im Körper agiert. FKBP51 beeinflusst im Muskelgewebe eine Signalkaskade, die bei zu großer Kalorienzufuhr zur Entstehung von Glukoseintoleranz führt, dem Kernsymptom von Typ-II-Diabetes. Fettreiche, ungesunde Ernährung bedeute Stress für den Körper. FKBP51 werde daraufhin vermehrt im Muskel gebildet und führe dazu, dass Glukose vermindert aufgenommen wird - so können Diabetes und Fettleibigkeit entstehen.(4)
Lärm am Arbeitsplatz erhöht das Herz-Kreislauf-Risiko
"Wir wissen heute, dass Lärm im Beruf das KHK-Risiko erhöhen, besonders hoch ist die Gefahr bei Menschen unter hohem psychischem Druck", so Prof. Podczeck-Schweighofer. Wissenschaftler haben die Daten von 5.753 Männern ausgewertet. Probanden, die in ihrem Berufsleben Geräuschpegeln mittlerer Stärke (75-85 Dezibel) ausgesetzt waren, hatten im Vergleich zu jenen mit einer Lärmbelastung unter 75 Dezibel ein um 15 Prozent höheres KHK-Risiko. Bei hohem Lärmpegel (> 85 Dezibel) war das Risiko um 27 Prozent höher.(5)
Straßenlärm schadet dem Herz - Mobilität kann krank machen
"Auch Straßenlärm schadet dem Herz. Lärm durch Straßen-, Schienen- und Flugverkehr begünstigt die Entstehung von Bluthochdruck, Herzinfarkten und Schlaganfällen", so die ÖKG-Präsidentin.Eine Gesundheitsgefährdung stellt laut WHO ein Schalldruckpegel oberhalb von 65 Dezibel dar. (Eine normale Unterhaltung verursacht einen Lärmpegel von etwa 60 Dezibel) In einer Metaanalyse ging jede durch Straßen- oder Flugverkehr verursachte Schalldruckpegel-Änderung von 10 Dezibel (ab 50 Dezibel) mit einem 6 Prozent signifikant erhöhtem KHK-Risiko einher.
Ein unter Lärmbelastungen beobachteter Anstieg des Blutdrucks, der Blutzuckerwerte und der Herzfrequenz kann ebenfalls das Herz-Kreislauf-Risiko erhöhen. Studien gehen davon aus, dass Lärm eine Stressreaktion hervorruft, mit Aktivierung des sympathischen Nervensystems, einer verstärkten Ausschüttung von Katecholaminen, Kortison und Angiotensin-II, die letztlich zu einer Störung der Gefäßfunktion führt.(6)
Auch Mobilität kann krank machen. Nach einer Umfrage einer deutschen Versicherung sind Verkehrsstaus für 63 Prozent derer, die sich als Pendler belastet fühlen, der Hauptgrund für Stress. 29 Prozent stresst der Zeitaufwand für den Arbeitsweg, jeweils zehn Prozent ärgern sich über Verspätung oder Ausfall von Bussen und Bahnen oder deren Überfüllung. Die Belastung der Pendler korreliert mit der Dauer des Arbeitswegs.(7)
Mehr Aufmerksamkeit für die psychosoziale Situation
"Aus all dem sollte die Konsequenz gezogen werden, der psychosozialen Situation von Patientinnen und Patienten mehr Aufmerksamkeit zu widmen: Schon das gezielte Ansprechen der Lebenssituation und des psychischen Befindens kann einen therapeutischen Wert haben. Bei Verdacht auf psychische Probleme sollten Kardiologen die Betroffenen an Spezialisten überweisen", sagt Prof. Podczeck-Schweighofer. "Zumindest sollten bei Patientinnen und Patienten, die über chronischen Stress klagen, andere kardiovaskuläre Risikofaktoren besonders sorgfältig abgeklärt und wenn nötig angemessene Behandlungen eingeleitet werden. In den meisten Fällen sind mehr körperliche Bewegung, ein gezieltes Stressmanagement oder Entspannungstechniken ausreichend und können das Herz-Kreislauf-Risiko senken."
(1) Deutscher Herzbericht 2017
(2) https://dgk.org/pressemitteilungen/2017-jahrestagung/2017-jt-aktuelle-pm/2017-jt-aktuelle-pm-tag2/stress-ist-eigenstaendiger-risikofaktor-fuer-ploetzlichen-herztod
(3) El-Bettrawy et al. Short- and long-term incidence of stroke in Takotsubo syndrome. Clin Res Cardiol 107, Suppl 1, April 2018
(4) Ärzte Zeitung online, 12.12.2017; Balsevich et al.: Stress-responsive FKBP51 regulates AKT2-AS160 signaling and metabolic function; Nature communications, DOI: 10.1038/s41467-017-01783-y
(5) Erikson et al.: Longitudinal study of occupational noise exposure and joint effects with job strain and risk for coronary heart disease and stroke in Swedish men; BMJ Open 2018;8:e019160
(6) Am Coll Cardiol 2018; 71: 688-97; Ärzte Zeitung online, 29.03.2018
(7) Ärzte Zeitung online, 11.01.2018; Ärzte Zeitung online 21.04.2018
(Ende)
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