Wie Klimaschutz ins Klassenzimmer kommen kann
Pädagogische Hochschule Niederösterreich: "Tag der Lehrenden" zum Jahresfokus Anthropozän
Baden (pts007/30.09.2019/08:00) Die Pädagogische Hochschule hat sich das Anthropozän als Schwerpunktthema für das kommende Studienjahr gesetzt. Am Samstag gaben der Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert und der Sozialwissenschaftler Khaled Hakami den Lehrenden wesentliche Impulse für das Studien- und Forschungsjahr mit.
Nur noch 23 Prozent der Erdoberfläche sind vom Menschen unbeeinflusst. Das Gewicht aller Menschen auf der Erde zusammen hält sich mit dem Gewicht des jährlich weltweit produzierten Kunststoffs die Waage. 60 Milliarden Hühnchen konsumieren die Menschen in aller Welt pro Jahr. Wenn Kai Niebert Zahlen nennt oder Größenvergleiche anstellt, wird drastisch deutlich, was der Begriff Anthropozän meint: Die Menschen unserer Generation sind gerade dabei, einen ordentlichen Fußabdruck auf der Erde zu hinterlassen. Einen, der nur schwer wieder weggeht.
Wann das Zeitalter des Anthropozän genau begonnen hat, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Niebert macht den "Golden Spike", also den Startpunkt des Anthropozäns am ersten Atomtest auf freiem Gelände im Jahr 1945 fest. Kennzeichnend für das Anthropozän sind laut dem deutschen Nachhaltigkeitsforscher auf jeden Fall bestimmte Bereiche exponentiellen wirtschaftlichen Wachstums wie etwa Energieverbrauch, der Verbrauch von Düngemitteln oder die Zunahme des Tourismus. Damit einher gehen natürlich auch die Folgen für die Umwelt wie die Überdüngung des Bodens, Überfischung der Meere oder der Anstieg von Kohlendioxid in der Atmosphäre.
Fußabdruck verantwortungsvoll gestalten
"Es geht nicht darum, Wirtschaftswachstum zu verdammen", stellt Niebert klar, aber es gehe darum, unseren Fußabdruck verantwortungsvoll zu gestalten. Für den Bildungsbereich sieht er diesbezüglich einen klaren Auftrag: "Wir müssen spezifischer und genauer werden beim Beschreiben, was die jungen Menschen zukünftig machen sollen." Und hier räumt der Naturwissenschafts-Didaktiker mit mehreren Mythen auf. Seine Untersuchungen zeigen, dass mit herkömmlichen Schulprogrammen, in denen Schülerinnen und Schüler zu einem nachhaltigen Leben auf der persönlichen Ebene angeregt werden sollen, leider keine klare Bewusstseinsänderung bei den jungen Menschen geschaffen werden kann.
Politischer Wille bringt mehr als individuelle Nachhaltigkeit
Außerdem ließen sich nachhaltige Verbesserungen für die Umwelt nur bis zu maximal einem Drittel durch konsequenten Lebensstil der einzelnen Individuen erreichen. Viel mehr bedürfe es politischer Lösungen, so Niebert. Als Beispiel nennt er dafür ein weltweites Umweltproblem aus den 1990er Jahren, das mittlerweile gelöst ist: "Das Ozonloch haben wir nicht in den Griff bekommen aufgrund individueller Handlungen, sondern klarer politischer Vorgaben." Sein Ratschlag an die Pädagoginnen und Pädagogen lautet daher: "Versuchen Sie nicht, die Menschen zu grünem Verhalten zu bringen, sondern machen Sie sie politisch partizipationsfähig!"
Ein nicht einfacher Auftrag, den Niebert hier den Pädagoginnen und Pädagogen mitgibt, aber gleichzeitig auch ein Stückchen Zuversicht: "Wir können globale Herausforderungen in den Griff bekommen, aber wir brauchen dazu globales politisches Engagement." Auch hier macht er anhand plastischer Beispiele mögliche Ansatzpunkte für tatsächliche Veränderungen klar und stellt dabei etwa Preise für Fernreisen mit dem Zug jenen mit dem Flugzeug gegenüber. "Das sind die Folgen umweltschädlicher Subventionen. Ein Zug von Berlin nach Zürich zahlt mehr an Trassennutzungsgebühren als ein Flugzeug an Start- und Landegebühren." Dazu sei Kerosin steuerbefreit, während die Bahn eine Energieabgabe für den benötigten Strom zu leisten hat.
Chance: Schulterschluss zwischen Jugendbewegungen und Wissenschaft
Eine große Chance, dass bald tatsächlich nachhaltige Veränderungen stattfinden könnten, sieht Niebert nicht zuletzt in den neuen Jugendbewegungen wie "Fridays for future" - und vor allem in ihrem Schulterschluss mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern: "Das ist eine neue Qualität: Ich frage mich, wie lange kann die Politik dem Druck aus Wissenschaft, Gesellschaft und mittlerweile auch aus der Wirtschaft, die konkrete Regeln fordert, standhalten?"
"WEIRD People" im Anthropozän
Khaled Hakami von der Universität Wien beleuchtet im zweiten Teil des Vormittags das Anthropozän aus sozialwissenschaftlicher Sicht. Der ehemalige Basketballprofi hat als Ethnologe lange Zeit mit Jägern und Sammlern im Regenwald gelebt und daraus Schlüsse gezogen, wie sich diese urtümlichen Gesellschaften von den "WEIRD People" des Anthropozäns unterscheiden. Die Abkürzung "WEIRD" steht dabei für die kennzeichnenden Eigenschaften einer Gesellschaft der letzten 150 Jahre in den Industrienationen: western, educated, industrialised, rich, democratic.
Kapitalismus als Folge von Komplexität
Eine seiner Thesen: Während Jäger- und Sammlergemeinschaften aufgrund ihrer begrenzten Größe von etwa 150 Mitgliedern ein völlig egalitäres Gesellschaftssystem aufrechterhalten können, steigt mit der Größe von zusammengehörigen Gesellschaften auch ihre Komplexität. Zivilisationsprozesse wie Sesshaftwerdung oder Arbeitsteilung seien kein Zeichen des Fortschritts, sondern durch die zunehmende Komplexität und äußere Faktoren bestimmt, so Hakami. "Letztlich hat sich auch den Kapitalismus niemand ausgesucht. Er ist nur die Folge von Komplexität", so der Sozialwissenschafter. Mit zunehmender Komplexität steige auch die Abhängigkeit des Einzelnen: "Die Ironie der sozialen Evolution ist: Wir, die am meisten abhängig sind, sind stolz auf unsere individuelle Freiheit. Die Jäger und Sammler haben nicht einmal ein Wort dafür."
Aus der Erkenntnis heraus, dass sich Gesellschaften aufgrund von Komplexität und äußerer Faktoren entwickeln, ist seine Analyse für den Bildungsauftrag im Anthropozän entsprechend pessimistisch: "Bildung verändert nicht Gesellschaft, sondern die Gesellschaft prägt die Bildung. Unser Organismus ist in unserer Gesellschaft von Kindertagen an auf Kapitalismus ausgerichtet, deshalb denken wir auch so."
Ziele für die Hochschule
Rektor Erwin Rauscher gibt in seinen Worten zum "Tag der Lehrenden" schließlich drei Ziele vor, die sich die Hochschule für das kommende Schwerpunktjahr zum Thema Anthropozän gegeben hat: Fakten, nicht Fakes; Kulturoptimismus, nicht Kulturpessimismus; und schließlich Anthropozän, nicht Klimakatastrophe: "Das Anthropozän in die Schule und an die Schulen zu bringen bedeutet also: Vergleichen wir die Daten des Neuen mit der Weisheit der Alten. Macht euch die Erde untertan - nicht katastrophengeil, sondern wissbegierig." Die Aufgabe der Hochschule wie auch ihrer Absolventen sei es, nicht zu propagieren: "Klimaschutz statt Klassenzimmer", sondern zu vermitteln: "Klimaschutz ins Klassenzimmer" und zu reflektieren und beforschen: "Klimaschutz im Klassenzimmer".
Projektseite zum Forschungsschwerpunkt Anthropozän: https://www.ph-noe.ac.at/de/forschung/forschung/anthropozaen.html
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