100 Jahre Verfassung kein Grund zum Feiern
Autor Hubert Thurnhofer und Ex-Vizekanzler Erhard Busek fordern tiefgreifende Reformen
Wien (pte012/19.03.2020/10:30) Am 1. Oktober 2020 begeht Österreich das 100-jährige Jubiläum seiner Verfassung. Der heutige Blick auf das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) gibt jedoch wenig Anlass zum Feiern. Rechtsphilosophen wie Hubert Thurnhofer oder der ehemalige österreichische Vizekanzler Erhard Busek kritisieren nicht nur den verstaubten und oft unnötig kompliziert formulierten Gesetzestext. Sie verorten auch einen mangelnden politischen Willen zur grundlegenden Reform des B-VG.
"Parlamentarismus droht Einsturz"
Mit seinem Buch "Baustelle Parlament - Warum die österreichische Verfassung für das 21. Jahrhundert nicht geeignet ist" stößt Thurnhofer http://ethos.at eine Reformdebatte los. "Nicht nur das österreichische Parlament ist eine Baustelle, sondern der Parlamentarismus an sich droht aufgrund bröckelnder Verfassungs-Bausteine einzustürzen", so seine nüchterne Bestandsaufnahme.
Thurnhofer kritisiert nicht nur die über 1.000 Verfassungsartikel, die "unauffindbar im Bundesgesetz" stünden. Auch würden die neun Länderverfassungen nicht als Basis einer demokratischen Republik taugen - insbesondere dann nicht, wenn nur wenige Experten imstande seien, diese Bausteine aufzufinden, zu ordnen und richtig (oder zumindest rechtmäßig) zu interpretieren. So sei die Erziehung der Jugend zu Staatsbürgern unmöglich.
"Haben eine Reform versäumt"
"Die Gelegenheit, beim EU-Beitritt eine Verfassungsreform vorzunehmen, haben wir versäumt", konstatiert Busek rückblickend selbstkritisch gegenüber pressetext. Der von 1991 bis 1995 tätige Vizekanzler sieht eine Überarbeitung des B-VG aber für unumgänglich. "Es muss eine handfeste Krise existieren, damit man sich auch zu den entsprechenden Schritten entschließt. Ich persönlich glaube, dass wir in Wirklichkeit in einem sehr schwierigen Prozess der Entwicklung der Demokratie in unserer Zeit sind", meint der ehemalige ÖVP-Politiker.
Ähnlich sieht es Thurnhofer. Das B-VG in seiner aktuellen Form sei in großen Teilen unverständlich und in historischer Sprache geschrieben. Problematisch sei die damit einhergehende "Unmündigkeit der Österreicher, indem ihnen suggeriert wird, sie seien gar nicht imstande, dieses Werk zu verstehen, folglich auch nicht berechtigt, es zu beurteilen". Schließlich dürften alle österreichischen Staatsbüger bereits ab 16 Jahren wählen.
Grundrechte und Grundwerte Nebensache
In diesem Kontext kritisiert wird auch die fast unveränderte Struktur des Verfassungstextes, der fünf Jahre Austrofaschismus und sieben Jahre Nationalsozialismus ausklammert. Thurnhofer zufolge seien Grundrechte und Grundwerte - im Gegensatz zum deutschen Grundgesetz von 1949 - im B-VG nur im "Nebenverfassungsrecht" aufgelistet. Eben dieser Abschnitt stammt von 1867 und sorgte in der k.u.k-Monarchie einst für einen Ausgleich zwischen Ungarn und Österreich. Die "Eleganz" und "Schönheit" der österreichischen Verfassung, wie sie Bundespräsident Alexander van der Bellen anlässlich der Regierungskrise und Amtsenthebung der FPÖ-Minister im Mai 2019 beschrieb, sei damit unzutreffend.
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