pte20210520017 Politik/Recht, Kultur/Lifestyle

Seyran Ateş fordert "absolute Gleichberechtigung"

Keine Toleranz für jene, die Demokratie und Menschenrechte ablehnen


Fresach (pte017/20.05.2021/11:45) Die Gründerin der ersten liberalen Moschee und Frauenrechtlerin Seyran Ateş hat zur Eröffnung der Europäischen Toleranzgespräche in Kärnten "absolute Gleichberechtigung" gefordert. "Gleichberechtigung ohne Rollentausch und auf Augenhöhe für alle Menschen: Dieses Ziel sollte uns alle antreiben, um endlich eine faire Gesellschaft zu erreichen", sagte die bekannte Rechtsanwältin und Feministin aus Berlin am Donnerstag in Fresach http://fresach.org . Ungleichbehandlung führe immer zu Diskriminierung und Unterdrückung.

Kein anderes Thema bestärke und verfestige Parallelgesellschaften so wie die Abwehr und Ablehnung der Gleichberechtigung, sagte Ateş. Die Gleichberechtigung sei auch der Hauptgrund, warum sich Islamisten, islamistische Regierungschefs und Königshäuser gegen die sogenannte "Verwestlichung" zur Wehr setzen und die Einführung der Demokratie bis heute bekämpfen. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist aber alles andere als eine "westliche Erfindung". Überall auf der Welt, in allen Kulturen und Religionen, kämpfen Frauen für dieselbe Sache - frei zu sein und dem Mann in allen Rechten und Pflichten als Bürgerin ebenbürtig zu sein.

Moral- und Sittenwächter als Gegner

Ateş, die sich gegen jegliche Form der Vereinnahmung von rechts verwehrte, stellte gleich zu Beginn klar, wer für die Ungleichbehandlung in der Welt verantwortlich ist: Moral- und Sittenwächter - egal, in welcher Kultur - würden von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang jede Handlung oder Dienstleistung in Erlaubtes (helal) und Unerlaubtes (haram) einteilen. Wenn wir über Europa und seine Kulturen sprechen, sollten wir gerade darüber reden, wie weit die Toleranz gehen darf, wenn sie auf radikal diametral entgegengesetzte überholte Moralvorstellungen trifft.

"Wie weit darf unsere Toleranz ausgereizt werden, wenn Andersdenkende und Andersgläubige an den Grundpfeilern europäischer Werte nicht nur Zweifel anbringen, sondern sie gänzlich ablehnen? Und zwar mit dem Hinweis auf die eigene andere Kultur", betonte die ausgebildete Imamin. "Dabei sprechen wir über universelle Werte, die in unserer modernen Zeit und in einer Demokratie im 21. Jahrhundert Standard auf der ganzen Welt sein sollten."

"Wenn also das Anderssein eher eine Gegenbewegung zur Moderne und Demokratie wird und der Schutz des Andersseins und die eingeforderte Toleranz nur dazu dient, Freiheiten zu reduzieren oder gar abzuschaffen, dann hätten diese Menschen den Anspruch auf Toleranz aus dem Satz von Rosa Luxemburg - 'Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden' - verwirkt", stellte Ateş wörtlich fest. Aus diesem Grund könne man es auch nicht hinnehmen, dass Menschen - sich auf ihre Kultur berufend - die Gleichberechtigung ablehnen.

Patriarchat ist universell

Wer Gleichberechtigung ablehnt, tut dies nur im Interesse des Patriarchats und deshalb, weil er die wahrhafte und wehrhafte Demokratie ablehnt, sagte die Frauenrechtlerin. Daher muss das Friedensprojekt Europa mit seiner unendlichen Toleranz gegen jene Kräfte verteidigt werden, die dabei sind, Europa aus dem tiefsten Inneren heraus zu verändern, ja Europa sogar zerstören wollen. "Dazu braucht es Aufklärung und Bildung. Dazu braucht es die eigene Liebe zu Europa, um andere von dessen Schönheit zu überzeugen."

Ateş rief dazu auf, den ehrlichen Dialog zu suchen, wo wir nur können und andere aufzufordern, ehrlich und offen zu sein. Wer Toleranz fordert, muss selbst toleranzfähig sein. Wer Freiheiten einklagt, darf anderen dieselben Freiheiten nicht vorenthalten. Unzählige Beispiele würden belegen, dass nur über das Verständnis für den anderen, nur darüber, dass man sein Gegenüber als Mensch erlebt, Verständnis und Empathie entsteht. Die Gefahr für die offene Zivilgesellschaft in Europa komme von außen und von innen, von Links- und Rechtsextremisten und religiösen Fanatikern.

Keine Toleranz gegenüber Intoleranz

Die Frauenrechtlerin stellte klar, dass es keine Toleranz gegenüber intoleranten Gruppen geben dürfe, egal auf welcher Seite sie stehen. Bedauerlicherweise werde eine striktere Politik, die nicht ansatzweise rassistisch ist, aber gleich als "fremdenfeindlich" bezeichnet. Demokratie und die offene Zivilgesellschaft könnten sich jedenfalls nur weiter zum Guten entwickeln, wenn sie fair sind und Gleichberechtigung nicht nur versprechen, sondern auch gewährleisten. Dazu ist es wichtig zu reden, sagte Ateş. Im Türkischen lautet ein passender Spruch: "Halte Dir Deine Freunde nahe, Deine Feinde aber noch näher."

Weitere Fotos von der Eröffnung der Europäischen Toleranzgespräche in Fresach sind auf http://fotodienst.pressetext.com/album/3760 abrufbar.



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