pts20250415008 in Leben

Wahnsinn "Folge falscher Lebensführung"

Klagenfurter Dompfarrer Allmaier analysiert Thema der Toleranzgespräche 2025


Klagenfurt (pts008/15.04.2025/08:15)

Der Klagenfurter Dompfarrer Peter Allmaier hat anlässlich der diesjährigen Europäischen Toleranzgespräche darauf hingewiesen, dass der gegenwärtige Wahnsinn in Politik und Gesellschaft auch als "Folge falscher Lebensführung" betrachtet werden kann. Gerade die Bibel liefere zahlreiche Beispiele dafür, wie Menschen verrückt wurden, weil sie falsch gelebt haben, sagte Allmaier bei einem Pressegespräch des Denk.Raum.Fresach in Klagenfurt. Das ganze Statement von Allmaier ist jetzt auf YouTube abrufbar: https://youtu.be/Dy8aajCLgUw

In der heutigen Psychologie wird Allmaier zufolge nicht mehr von Wahnsinn gesprochen, sondern von Identitätsstörung, Bipolarität oder Schizophrenie. Da wird genau differenziert und benannt, was konkret ist. Der Begriff Wahnsinn sei hingegen relativ unscharf, aber das richtige Wort für den Zustand der Welt. "Wir können es gar nicht richtig benennen, was da so genau daneben geht. Und deshalb können wir auch nicht genau sagen, mit welchem Rezept man den Wahnsinn heilt."

In der Bibel begegnet uns der Wahnsinn oft – und im Grunde in zwei Gestalten: Entweder im Verlust der Rationalitätskonformität, das heißt, was Menschen denken und äußern, ergibt keinen Sinn, ist nicht rational. Oder im Verlust der korrekten sinnlichen Wahrnehmung, also was unsere Sinne wahrnehmen, stimmt nicht. Wir sind dann sehr schnell dabei, in die heutige Welt zu schauen, und zu merken, überall Wahnsinnige, im Osten wie im Westen – aber eines ist klar: Wahnsinnig sind immer die anderen.

Überall Wahnsinnige

Die Bibel geht laut Allmeier von diesem Konzept ein wenig weg und sagt, "schau nach, ob Du nicht selber ein anderer bist – und damit wahnsinnsanfällig". Die Heilige Schrift kennt verschiedene Formen von Wahnsinn, zum Beispiel den "Wahnsinn als Folge falscher Lebensführung". Der babylonische König Nebukadnezar etwa wurde wahnsinnig und zum Tier, also vollkommen verrückt, weil er falsch gelebt hat. Und das gelte natürlich auch für die Gesellschaft heute, wenn die Lebensführung falsch ist.

Allmaier gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass das Prinzip, vielmehr der "Zwang zur Selbstverwirklichung", eine Ursache des Wahnsinns sein könnte. "Da gibt es ja seit der Aufklärung dieses Fortschrittsideal. Wir wissen heute, morgen wird es besser sein. Doch dieses Fortschrittsideal, dieser Fortschrittsoptimismus sei ins Wanken geraten, und jetzt wird das, was vorher eine Aufgabe der Gesellschaft oder der Allgemeinheit war, plötzlich dem Individum aufgebürdet. Das nennt man dann Selbstverwirklichung."

Allmaier verweist demgemäß auf die logischen Folgen: "Ich muss – auf Teufel komm raus – ein Fortschrittsnarrativ für mich selbst schaffen. Das ist der Zwang der Freiheit, der Optimierungszwang, ich muss kreativ, leistungsstark und authentisch sein – und das wirklich unter allen Gegebenheiten, koste es was es wolle. Das kann dann eine falsche Lebensweise sein, die zum Wahnsinn führt, weil die Gesellschaft nicht mehr zusammenhält und nicht mehr gemeinsam mithilft."

Optimismus vs. Hoffnung

Eine zweite Form dieses falschen Lebens laut Allmaier wäre, wie wir Zukunft sehen. "Da gibt es zwei Möglichkeiten. Das eine wäre Optimismus, das andere Hoffnung. Ich unterscheide das insofern: Optimismus lebt innerhalb der Zeit, rechnet mit den gegebenen Möglichkeiten, und versucht, diese zu verändern. Und das ist oft eine Überforderung des Einzelnen. Da merken wir, wir schaffen das nicht. Wir erfahren das jeden Tag bei den Abendnachrichten, wir erhalten Informationen, die uns Machtlosigkeit vermitteln. Und das schafft eine Überforderung."

Hoffnung dagegen, so Allmaier, und da sind wir im religiösen Bereich, rechnet mit dem noch nie Dagewesenen. Da werde nicht nur das Material der Geschichte weiter bearbeitet, sondern man rechnet mit etwas, das nicht berechenbar ist, das es noch niemals gegeben hat. Das nennen wir in der Religion eben Gott, und rechnen damit, dass er etwas (gegen die Widrigkeiten des Lebens) tut. Und das befreit das Handeln des Menschen, und lässt uns wieder freier werden (und nicht wahnsinnig).

Leben in einer Nostalgie-Ökonomie

Eine andere Form von Wahnsinn zeigt die Bibel in der Heilung des Besessenen von Gerasa, dessen Dämonen Jesus in eine Schweineherde austrieb (Markus 1, 5-10). Dieser Verrückte lebte in Ruinen – ein interessanter Hinweis auf die Gegenwart? Es gibt eine Renaissance der "Lost Places". Warum eigentlich? Museen sind eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Just dort, wo wir an keinen Fortschritt mehr glauben, entwickelt sich eine Nostalgie-Ökonomie – wo gutes Geschäft damit gemacht wird, was früher einmal war. Auch Trump träumt ja davon, Amerika wieder groß zu machen.

Diese Form des Wahnsinns zeigt sich in der Solastalgie*, der Nostalgie für eine Heimat, die es nicht mehr gibt – obwohl Menschen vielleicht sogar noch in dieser Heimat leben. Aber diese Heimat hat sich so verändert, dass sie nicht mehr erkennbar ist als Heimat. Villach habe sich in den letzten Wochen (nach dem Attentat) so verändert, dass es eine ganz andere Stadt geworden ist, und ganz Kärnten habe sich verändert, plötzlich ist das Land fremd geworden, ein Land der Angst – und wir möchten wieder das alte Kärnten zurück, wo man frei auf die Straße gehen konnte – ohne Angst.

* Solastalgie bezeichnet laut Wikipedia ein belastendes Gefühl des Verlustes, das entsteht, wenn jemand die Veränderung oder Zerstörung der eigenen Heimat bzw. des eigenen Lebensraums direkt miterlebt. Geprägt wurde der Begriff 2005 durch den australischen Naturphilosophen Glenn Albrecht.

Prophetischer Wahnsinn

Eine dritte Form von Wahnsinn zeigt sich in der Bibel als prophetischer Wahnsinn, das heißt die Zuschreibung der anderen, man sei wahnsinnig, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Der Prophet ist laut Allmaier eben jene Person, die gerade jetzt sieht, was passiert, der ein besonderes Sensorium hat und ein Netzwerk herstellt, Verbindungen sieht, die andere nicht sehen, zum Beispiel die Verbindung mit dem ganzen Kosmos, mit Gott.

Und da sind wir genau in der Informationsgesellschaft, wo man sich fragt, ob die Informationen, die wir erhalten, noch wirklich Sinn ergeben, uns mit dem Ganzen in der Welt verbinden, damit wir besser verstehen können, und bessere Entscheidungen treffen können. Oder ob es nur Schlagzeilen sind, die uns geistig zumüllen.

Eine Information ist laut Allmaier "nur dann eine richtige Information, wenn sie formiert". Ein Musikstück etwa ist nicht dann gut, wenn es wahr oder falsch ist, sondern dann, wenn sie Menschen formiert, zum Beispiel zum gemeinsamen Tanz. Da bringt sie eine ganz neue Bewegung hinein. "Und daher brauchen wir wieder solche Informationen, die eine Gesellschaft in Bewegung bringen, und nicht nur einfach zumüllen."

Über die Europäischen Toleranzgespräche
Die 11. Europäischen Toleranzgespräche 2025 finden vom 1. bis 7. Juni in Villach und Fresach statt und sind in diesem Jahr dem Thema "WahnSinn - Welt in UnOrdnung?" gewidmet. Programm und Tickets sind auf http://www.fresach.org erhältlich.



(Ende)
Aussender: Denk.Raum.Fresach
Ansprechpartner: Dr. Wilfried Seywald
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