Hans-Georg Maaßen: Originalfassung Eingangsstatement zum Untersuchungsausschuss Politisch motivierte Gewaltkriminalität
Am 24. Oktober 2023 im Landtag des Freistaates Thüringen
Sargans/Erfurt (ptp021/27.10.2023/10:50)
Am Dienstag, den 24. Oktober, wurde im Untersuchungsausschuss "Politisch motivierte Gewaltkriminalität", unter Vorsitz von Raymond Walk (CDU), im Thüringer Landtag der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, geladen. Folgend veröffentlichen wir unter Einverständnis des Verfassers das Eingangsstatement in Originalfassung.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
ich danke für die Ladung als Zeuge zum heutigen Termin in Ihrem Untersuchungsausschuss "Politisch motivierte Gewaltkriminalität". Sie haben mich geladen, um "das Ausmaß politisch motivierter Gewaltkriminalität im Freistaat Thüringen zu beleuchten und einen tieferen Einblick in den Themenkomplex der Entwicklung politisch motivierter Gewaltkriminalität in Deutschland allgemein sowie insbesondere in Thüringen zu gewinnen".
Ich möchte zunächst auf folgendes hinweisen: Ich war vom 1. August 2012 bis zum 15. November 2018 Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ich kann mich deshalb als Zeuge, als der ich geladen bin, nur zu den dienstlich erlangten Erkenntnissen innerhalb dieses recht lange zurückliegenden Zeitraums äußern. Auch möchte ich darauf hinweisen, weil es mir zur Vermeidung von Missverständnissen wichtig ist, dass Sie mich als Zeugen und nicht als Sachverständigen geladen haben. Ein Zeuge soll im Unterschied zum Sachverständigen über das auf Grund eigener Wahrnehmungen erlangte Sonderwissen zur Erkenntnisgewinnung des Untersuchungsausschusses beitragen. Dies gilt auch für den Sachverständigen Zeugen, der auch ein Zeuge ist, aber im Unterschied zu anderen Zeugen über ein höheres Maß an spezieller Sachkunde verfügt. Der Sachverständige dagegen verfügt nicht über ein auf Grund eigener Wahrnehmungen erworbenes Sonderwissen, sondern äußert sich auf Grund des durch seine fachliche Expertise erworbenen Wissens über Sachverhalte, die er persönlich nicht erlebt oder wahrgenommen hat.
Auf Grund dessen ist es wichtig, folgendes anzumerken: Der Bundesverfassungsschutz, den ich rund sechs Jahre leitete, ist ein Inlandsgeheimdienst, der nach § 3 Abs. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz zuständig ist für: die "Sammlung und Auswertung von Informationen ... über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, ... 3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden ... ". Dagegen ist der Bundesverfassungsschutz nicht zuständig für die Bekämpfung politisch motivierter Gewaltkriminalität. Auf Bundesebene fällt dies in den Zuständigkeitsbereich des Bundeskriminalamtes. Deshalb kann ich zu den meisten Aufklärungsaufträgen des Untersuchungsausschusses gemäß Drucksache 7/3841, die sich mit Gewalttaten, den Folgen von Gewalt, der Zahl von Straftaten und Straftätern aus eigener Anschauung nichts zu Ihrer Erkenntnisgewinnung beitragen.
Auch war ich als Präsident einer Bundesbehörde nicht zuständig und verantwortlich für das von Ihnen zu untersuchende Verwaltungshandeln der Landesbehörden und Handeln der politischen Verantwortungsträger im Freistaat Thüringen. Der Bundesverfassungsschutz steht in keinem Überordnungsverhältnis oder Weisungsverhältnis zur Landesbehörde für Verfassungsschutz des Freistaates Thüringen. Auch zur Vermeidung von Missverständnissen möchte ich darauf hinweisen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesverfassungsschutz und den Landesämtern grundsätzlich auf Arbeitsebene, das heißt durch die jeweiligen Fachabteilungen stattfindet. Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes war ich grundsätzlich nicht in die Tagesarbeit der Fachabteilungen und ihre Zusammenarbeit mit den Landesämtern eingebunden, sondern wurde über herausragende oder eine Leitungsentscheidung erfordernde Vorgänge informiert. Über die Zusammenarbeit auf Arbeitsebene zwischen dem Bundesverfassungsschutz und der Behörde für Verfassungsschutz in Thüringen sowie über die Erkenntnislage in den jeweiligen Phänomenbereichen können Ihnen deshalb die zuständigen Abteilungsleiter des Bundesverfassungsschutzes kompetenter Auskunft geben als ich es Ihnen geben kann. Auf Ebene der Behördenleiter findet eine Zusammenarbeit grundsätzlich im Wege der Amtsleitertagungen und -besprechungen statt, wo Angelegenheiten von bundesweitem oder gemeinsamen Interesse beraten werden.
Ich hatte die Leitung des Bundesverfassungsschutzes kurze Zeit nach Bekanntwerden der rechtsextremistischen Terrorgruppe "NSU" übernommen. Die Straftaten des NSU, die Suche nach den Tätern und auch die Aufdeckung des NSU ereigneten sich vor meiner Zeit als Präsident des Bundesverfassungsschutzes. Nach meiner Erinnerung war die Landesbehörde für Verfassungsschutz des Freistaates Thüringen danach zentral mit der Aufarbeitung des NSU und mit der damit in Zusammenhang stehenden Neuausrichtung beschäftigt. Der Rechtsextremismus, auch der gewaltbereite, waren damals ein zentraler Schwerpunkt der Arbeit des Thüringer Verfassungsschutzes. Nach der PMK-Statistik des Bundeskriminalamtes aus meinem letzten Amtsjahr lag Thüringen mit 61 rechtsextremen Gewalttaten in absoluten Zahlen gesehen im oberen Mittelfeld (zum Vergleich NRW mit 216 und Sachsen mit 138), in Bezug auf die Bevölkerungsgröße aber sehr weit vorne.
Im Bereich des Linksextremismus ist mir nicht erinnerlich, dass während meiner Amtszeit der gewaltbereite Linksextremismus in Thüringen eine solche Relevanz hatte, dass ich als Präsident des Bundesverfassungsschutzes hiermit befasst war. Die so genannten Hotspots im Bereich Linksextremismus lagen in Hamburg, Berlin und Leipzig. Nach der PMK-Statistik des Bundeskriminalamtes lag Thüringen mit 28 linksextremistischen Gewalttaten im Jahr 2018 im bundesweiten Ranking auf Platz 8, während das bevölkerungsstarke Nordrhein-Westfalen mit 446 Gewalttaten, Sachsen mit 115 und Berlin mit 96 auf den vorderen Plätzen lagen. Dagegen bereitete dem Bundesverfassungsschutz der legalistische Linksextremismus große Sorge, da mit Bodo Ramelow und seiner Partei Linksextremisten in diesem Land regierten, die meines Wissens bis zur Verantwortungsübernahme durch Bundesinnenministerin Faeser vom Bundesverfassungsschutz beobachtet wurde, in anderen Teilen deren Beobachtung lediglich aus Gründen der Prioritätensetzung, nicht aber weil die Partei verfassungstreu geworden ist, zurückgestellt wurde.
Hinsichtlich des Phänomenbereichs islamistischer Extremismus spielte während meiner Amtszeit der Freistaat Thüringen keine bemerkenswerte Rolle. In meinem letzten Amtsjahr 2018 ereigneten sich – anders als in Nordrhein-Westfalen, Berlin und den meisten anderen Bundesländern – nach der PMK-Statistik des Bundeskriminalamtes keine Gewalttaten mit islamistischem Hintergrund in Thüringen.
Hinsichtlich der in der Drucksache 7/3841 des Thüringer Landtages bezeichneten Untersuchungsaufträge 1.10. (personelle und technische Ausstattung der Landesbehörde für Verfassungsschutz Thüringen) und 1.11. (Verzicht auf den Einsatz von V-Personen) möchte ich aus meiner Erinnerung als externer Beobachter, der ich als damaliger Präsident des Bundesverfassungsschutzes war, folgendes anmerken: Die Landesbehörde für Verfassungsschutz war infolge der Auswirkungen der Aufarbeitung des NSU-Debakels im Bundesvergleich unterdurchschnittlich aufgestellt. Dies betraf die personelle Ausstattung, die Arbeitsbelastung, die Offenlegung von geheimen Informationen über den Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der politischen Aufarbeitung des NSU, als auch die Befugnisse des Verfassungsschutzes, die insbesondere hinsichtlich der Führung von geheimen menschlichen Quellen (V-Personen) erheblich eingeschränkt wurden. Erfahrungsgemäß führt ein Abschalten menschlicher Quellen zu einem Erkenntnisverlust, der offensichtlich politisch auch gewollt war. Verschärft wurde das ganze aus meiner Perspektive auch dadurch, dass die Leitung der Landesbehörde für Verfassungsschutz Herrn Stephan Kramer übertragen wurde, einer Persönlichkeit, die nicht über die notwendigen fachllichen Voraussetzungen für die Leitung einer Landesbehörde für Verfassungsschutz verfügt.
Und das beendet meine Ausführungen.
Dr. Hans-Georg Maaßen
24.10.2023, Erfurt, Landtag Freistaat Thüringen
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