pts20030908001 in Leben

Hanne Darboven. Bücher

20. September - 23. November 2003


Museum Moderner Kunst Wien (pts001/08.09.2003/08:00) Die Ausstellung zeigt erstmals die zentrale Rolle des Buches als Werkform im Schaffen von Hanne Darboven, die zu den Gründerfiguren der Konzeptkunst zählt. Damit wird auf eine wesentliche Werkgruppe der deutschen Künstlerin verwiesen, deren zentrale frühe Hauptarbeit - Ein Jahrhundert (Bücherei), 1970/71 - sich seit 1979 in der Sammlung des Museums Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (MUMOK) befindet.

Hanne Darbovens künstlerische Laufbahn beginnt in den späten sechziger Jahren in New York, wo sie zwischen 1966 und 1968 lebt und unter anderem mit Sol Lewitt und Carl Andre in Kontakt steht. Dort entstehen geometrische Konstruktionen auf Millimeterpapier, deren Gestaltungsprinzipien sie in der Folge durch Übertragung in Zahlen und Zahlenfolgen systematisiert. Damit legt sie den Grundstein für ihre lebenslange Arbeit mit der Zahl, welche sie als einzige wirkliche Erfindung des Menschen begreift.
Zahlen werden ebenso wie geometrische Figuren zu essentiellen Bestandteilen ihrer Werke, in denen sie in Überwindung der Abstraktheit und Referenzlosigkeit der Minimal Art wieder auf konkrete Inhalte und Gegebenheiten Bezug nimmt. Sie entwickelt eine Methode der Realitätsaneignung durch seriell systematisierte Formen schriftlicher Notation, in deren Zentrum die Visualisierung von Zeitabläufen - als unser Dasein wesentlich bestimmende Strukturen - steht. Neben Einzelblättern, die zu umfangreichen Serien zusammengefasst werden, wählt sie dafür immer wieder das Medium des Buches, dessen Rezeption - das Lesen bzw. Durchblättern der Seiten - auch per se wiederum ein zeitlicher Vorgang ist.

Ausgangspunkt der von Darboven entwickelten Formen der Zeit-Visualisierung bildet ein der Zeitmessung und -notation dienendes numerisches System. Tag für Tag füllt sie mit großer Disziplin und Akribie Seite um Seite mit Kalenderdaten, die sie systematisiert, indem sie aus den Ziffern von Tagen, Monaten, Jahren und Jahrhunderten die Quersummen zieht und diese wiederum in geometrische Formen übersetzt sowie in Indizes zusammenfasst. Zeitliche Erstreckung als übergeordnete Struktur wird damit sowohl als lineare Folge als auch in Form von tabellarischen Figuren sinnlich erfahrbar.

Ab Mitte der 70er Jahre werden in Darbovens Visualisierungen von Zeitabläufen konkrete Inhalte der kulturellen wie politischen Menschheits-Geschichte in Form von Textzitaten, Zeichnungen, Drucken oder Fotografien eingebracht. Diese werden zwar kommentarlos dargelegt, ihre Interpretation dem Rezipienten überlassen, doch ist zwischen den Zeilen sehr wohl ein mahnendes Engagement seitens der Künstlerin - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts - ablesbar. Die von Darboven integrierten Materialien, wie Informationen zur Bismarckzeit, Reden Willy Brandts oder Artikel des Magazins Der Spiegel, Texte Heines, Baudelaires, Rilkes, Sartres sowie fotografische und zeichnerische Darstellungen kultureller wie wissenschaftlicher Errungenschaften können zu Ausgangspunkten einer kritischen Reflexion von Vergangenheit im Hinblick auf die Gegenwart werden.

Seit 1980 übersetzt Darboven Zahlenfolgen auch in Musik, ähnlich wie das Buch, ein in der Zeit erfahrbares Medium. Ihre auf individuellen mathematischen Prinzipien basierenden Kompositionen, ebenso persönliche wie konsequente Formen minimalistisch serieller Musik, sind einem breiteren Publikum bislang zu unrecht kaum bekannt. Im Rahmen der Ausstellung kommen Darbovens Streichquartett Opus 26 von 1989/90 sowie das Bläserquintett Opus 42 von 1993 zur Aufführung.

Die vom Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte zusammengestellte und dort im Frühjahr 2002 gezeigte Ausstellung umfasst 2600 gerahmte Blätter sowie 1440 Bücher und Aktenordner.

Im Rahmen einer Gesprächsreihe in der Ausstellung referieren an vier Abenden namhafte Experten über Hanne Darbovens Schaffen.

Als Katalog liegt das von Elke Bippus und Ortrud Westheider anlässlich der Ausstellung in Münster herausgegebene Werkverzeichnis der Bücher auf. (Verlag der Buchhaltung Walther König, Köln, dt., 210 Seiten mit Abbildungen, ISBN 3-88375-565-6, EUR 29,80,-)

(Ende)
Aussender: Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wi...
Ansprechpartner: Barbara Hammerschmied
Tel.: (+43-1) 52500-1400
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