pts20070619040 Medien/Kommunikation, Politik/Recht

Über digitale Plattformen und ihre neuen Nutzer


Köln (pts040/19.06.2007/17:45) "Eine völlige Freigabe des Handels mit Frequenzen, wie die EU-Kommission das will, ist falsch", sagte Rüttgers vor über 700 Zuhörern in der Kölnmesse. Vielmehr müsse die Europäische Union Rücksicht auf gewachsene europäische Strukturen nehmen: "Für uns ist die Frequenznutzung etwa für die Mauterhebung oder Navigationssysteme eben nicht gleichwertig mit Rundfunk."

Während Rüttgers sich im Bereich der Frequenzvergabe gegen eine Deregulierung aussprach, betonte er, generell würden im digitalen Medienzeitalter zwar neue Spielregeln benötigt, nicht aber etwa mehr Spielregeln. Politik dürfe weder Strukturen der Medienbranche vorgeben noch sich in unternehmerische Entscheidungen einmischen oder gar einzelne Leuchtturmprojekte fördern. Für die ordnungspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Zeitungsverlagen, die eine Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in das Internet verhindern wollen, und TV-Programmanbietern, die verhindern wollen, dass Zeitungshäuser auch regionale TV-Inhalte anbieten, regte der Ministerpräsident einen Dialog an, den die Landesregierung moderieren könnte. Bei der Ausweitung des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks schlug Rüttgers eine Orientierung am gesellschaftlichen Mehrwert ("Public-Value-Test") vor. Grundsätzlich dürfe ARD und ZDF der Zugang zu neuen digitalen Plattformen nicht verwehrt werden: "Entscheidend für uns ist nicht die Frage, auf welcher Plattform die Inhalte verbreitet werden, entscheidend ist vielmehr die Frage: Gehört das Gesendete zum Auftrag oder nicht?" Ob die ARD zum Beispiel zusätzlich zu den 65 Radioprogrammen auch bundesweite Hörfunkangebote brauche, sei fraglich.

Für die Medienförderung in Nordrhein-Westfalen kündigte Rüttgers an, Subventionen würden künftig so vergeben, dass sich mehrere Unternehmen in einem Wettbewerb darum bemühen müssten. Innerhalb des neuen Medienclusters NRW erhielten Medienunternehmen - unabhängig von ihrer Größe - erstmalig Zugang zu europäischen Fördermitteln "von insgesamt über vier Milliarden Euro in den nächsten Jahren". Für Filmproduzenten legt die NRW.Bank außerdem ab Juli einen neuen Fonds an, der mit zehn Millionen Euro ausgestattet werden soll. Darüber hinaus werde die Förderbank des Landes einen Beteiligungsfonds mit einem Volumen von fünf Millionen Euro "speziell für die Kreativwirtschaft" initiieren. Die Fördermittel der Filmstiftung NRW, so versprach Rüttgers, sollen bis 2008 in der Höhe von 11,5 Millionen Euro erhalten bleiben. Dennoch aber würde die Förderpraxis zurzeit von Experten auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

Auch Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma betonte in seiner Begrüßungsansprache, in Zeiten des rasanten digitalen Wandels, müssten Konzepte der Medienförderung kontinuierlich auf ihre Wirksamkeit hin kontrolliert werden. LfM-Direktor Prof. Dr. Norbert Schneider skizzierte die aktuelle Medienentwicklung als eine, die nach der Technik und den Inhalten nun endlich den Nutzer in den Mittelpunkt stelle. Dies bedeute neue Herausforderungen für die Regulierung, beispielsweise im Bereich des Datenschutzes: "Nutzen und Ausnutzen sind Worte vom selben Stamm", warnte Schneider. "Der Nutzer auf dem Thron, das ist eine große Chance, aber es ist auch eine zweischneidige Sache, König zu sein. Man isst aus goldenen Tellern, aber man ist auch weithin erkennbar. Man hat kein Privatleben mehr."

Dass der Medienwandel sich langsamer vollzieht als vielfach vorausgesagt, wurde im Anschluss an die Grundsatz- und Eröffnungsreden bei der ersten großen Panel-Diskussion des 19. medienforum.nrw deutlich. Sowohl WDR-Intendantin Monika Piel als auch RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt und Premiere-Chef Dr. Georg Kofler prognostizierten, dass sich der Fernsehkonsum auch in den kommenden zehn Jahren nicht wesentlich ändern werde. Die neuen Plattformen und Netze würden für das lineare Fernsehen nur weitere Distributionswege anbieten, nicht aber selbst zu neuen Nutzungsformen führen. "Fernsehen ist ein Massenmedium, und die Masse lehnt sich halt gerne zurück", urteilte Kofler. "Nicht jeder wird sein eigener Programmdirektor sein wollen", ergänzte Schäferkordt. Für die ARD biete die Digitalisierung vor allem breitere Möglichkeiten, bereits im Hörfunk oder Fernsehen ausgestrahlte Sendungen für die Gebührenzahler orts- und zeitunabhängig zur Verfügung zu stellen, sagte WDR-Intendantin Piel.

Dr. Herbert Kloiber, Geschäftsführer der Tele München Gruppe, wies darauf hin, die neuen digitalen Verbreitungswege brächten eine Fülle urheberrechtlicher Probleme mit sich. Die Rechte-Verwertung werde immer komplizierter. Deshalb gehe dauerhaft auch bei der Satellitenverbreitung kein Weg an einer Grundverschlüsselung vorbei, wiederholte RTL-Geschäftsführerin Schäferkordt eine Forderung, die sie bereits beim 18. medienforum.nrw im vergangenen Jahr erhoben hatte. WDR-Intendantin Piel widersprach und erklärte, ARD und ZDF wollten nicht in einen verschlüsselten Markt, sorgten sich aber, dass unverschlüsselte Programme dauerhaft von modernen Set-Top-Boxen ausgesperrt würden. "Unsere Decoder werden auch künftig immer unverschlüsselte Inhalte empfangen können, entgegnete SES-Astra-Präsident Ferdinand Kayser. Zugleich versprach er, sein Unternehmen werde nicht in die Vermarktung von Programmen einsteigen.

Während Europas größter Satelliten-Betreiber sich ganz auf den technischen Support konzentrieren will, sehen das die Anbieter von Telekommunikations- und TV-Kabelnetzen ganz anders. Der Telekom-Vorstandsvorsitzende René Obermann erklärte, das VDSL-Angebot T-Home werde im zweiten Halbjahr überarbeitet und eine neue Offensive starten. Auch Unitymedia-Geschäftsführer Parm Sandhu sprach sich für mehr Wettbewerb aus und kritisierte Must-carry-Regelungen. Obermann pflichtete ihm bei. In den USA würden wegen einer liberaleren Medienpolitik pro Kopf "50 bis 60 Dollar pro Kopf" mehr in die Digitalisierung investiert als in Deutschland.

Während die Regulierung der Distributionswege in Deutschland weiter für Diskussionsstoff sorgt, herrschte bei den Experten auf dem Podium über ein anderes Thema weitgehend Einigkeit: Beim so genannten User Generated Content, also von Nutzern erstellten Online-Inhalten, scheint längst nicht alles Gold, was glänzt. Von solchen Angeboten würden Sender und Verlage in Zukunft nur sehr eingeschränkt profitieren können, sagte Monika Piel voraus. "Da gibt es im Moment zu viel Schund. Das passt nicht in unser öffentlich-rechtliches Profil."

Die Gefahr, dass im Web 2.0 die Qualität gefährdet ist, hält auch Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, für sehr groß. Daraus resultiere jedoch eine Chance für journalistisch verantwortungsvolle Anbieter. Hombach plädierte für eine Qualitätsoffensive. Der Journalist müsse dem Nutzer helfen, Inhalte nach Relevanz auswählen zu können. Zudem werde die Glaubwürdigkeit immer wichtiger. Die WAZ-Mediengruppe wolle den Einsatz des Internet mit ihrem neuen Online-Auftritt "West Eins" als soziale Plattform forcieren, kündigte Hombach an.

Angesicht steigender Nutzerzahlen dürfe die Förderung der Medienkompetenz nicht aus dem Blick geraten, forderte Monika Piel. Der WDR sei mit entsprechenden Angeboten führend. "Die gesamte Bevölkerung muss in die digitale Welt mitgenommen werden", appellierte Piel. Regulieren lasse sich das Internet allerdings nicht, stellte Georg Kofler fest. Dieses Medium sei für jeden offen. "Dort können Sie keine Qualitätskriterien festlegen." Qualität könne ohnehin nur das Fernsehen langfristig garantieren. Das Internet biete noch keine Möglichkeit zur Refinanzierung und verfüge deshalb noch nicht über genügend Geld für aufwändige und qualitativ wertvolle Inhalte.

(Ende)
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