Häusliche Betreuung und Pflegehilfe: Nicht alles neu macht der Mai
Erleichterung bei der Anstellung - aber viele Probleme bleiben
Bad Honnef (pts007/28.04.2011/09:10) Am 1. Mai 2011 fällt mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitnehmer aus den "alten" EU-Beitrittsstaaten eine der Hürden, die es Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen in den letzten Jahren erschwert hat, osteuropäische Betreuungskräfte legal in Deutschland zu beschäftigen. Ob damit für die Familien die Anstellung von Pflegekräften tatsächlich viel einfacher und unproblematischer wird, bezweifelt Experte Gero Paul Gericke, Geschäftsführer der Agentur haushaltshilfen.net http://www.haushaltshilfen.net und seit Januar stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbandes der Vermittlungsagenturen für Haushaltshilfen und Seniorenbetreuung in der 24 Stunden Betreuung (BHSB).
Dipl.-Wirtsch.-Ing. Gero Paul Gericke ist seit 5 Jahren Geschäftsführer von haushaltshilfen.net, einer Beratungs-, Vermittlungs- und Serviceagentur für Seniorenbetreuung. Seit 3 Jahren ist die Durchführung des Arbeitsgenehmigungs- und Anstellungsverfahren im Auftrag von Kunden Bestandteil des Serviceangebots, weshalb Gericke die mit der Anstellung verbundenen Vor- und Nachteile aus der Praxis genau kennt.
Frage: Herr Gericke, ist die Anstellung einer Haushaltshilfe und Pflegehilfe seit 1. Mai wirklich einfacher?
Gericke: Die Frage muss ich leider mit "Jein" beantworten. Denn natürlich wird die Anstellung einer Kraft deutlich erleichtert, weil keine Arbeitsgenehmigung mehr beantragt werden muss und mehrwöchige Antragsverfahren wegfallen. Allerdings bleiben zwei Grundprobleme weiterhin bestehen: Erstens sind viele Familien mit dem Arbeitgeberstatus nicht vertraut und daher mit Fragen wie Lohnabrechnung, Sozialversicherung und geldwerter Vorteil häufig überfordert. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Sorge um den Gesundheitszustand der Angehörigen und häufig auch die Ungewissheit der weiteren Entwicklung akut im Vordergrund stehen. Zweitens gibt es zu wenig Stellen, die Familien zu den Vor- und Nachteilen einer Anstellung sowie zur optimalen Vorgehensweise informieren.
Frage: Wo liegen denn die Vorteile und Nachteile einer Anstellung der Pflegekraft?
Gericke: Erlauben Sie vorab folgende Klarstellung: Wir bezeichnen die Kräfte aus Osteuropa als Haushaltshilfen und Betreuungskräfte. Seit Änderung der Arbeitsmarktrichtline dürfen sie auch leichte Pflegehilfstätigkeiten ausführen, aber es ist mir an dieser Stelle wichtig, zu unterstreichen, dass nur Pflegekräfte eines zugelassenen Pflegedienstes erweiterte und medizinische Behandlungspflege leisten dürfen. Wir weisen daher Kunden und Interessenten darauf hin, dass mit Blick auf die Sicherheit ihrer Angehörigen die Grenze zwischen den Aufgabenbereichen verantwortungsbewusst gezogen werden muss. In der Praxis sieht es daher häufig so aus, dass in der häuslichen Betreuung und Pflege eine praktische Kooperation zwischen deutschem Pflegedienst und osteuropäischer Betreuungskraft entsteht.
Nun aber zu Ihrer Frage. Zunächst, was sind die Vorteile der Anstellung?
1. die Rechtssicherheit für die Kraft und die Familie. Wir bezeichnen das Verfahren auch intern als "Greencard-Verfahren", weil es das einzige ist, dass den "offiziellen Behördensegen" hat.
2. Klare Verhältnisse bei Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung für die Kraft.
3. Mögliche steuerliche Absetzbarkeit als "haushaltsnahe Dienste oder als "außergewöhnliche Belastung" - dieser Punkt wird bei Kostenvergleichen oft übersehen.
Aber es gibt auch Nachteile, hier die wichtigsten im Überblick
1. Allgemeine Risiken des Arbeitgeberstatus, z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Es ist zwar bei den von uns betreuten Beschäftigungsverhältnissen noch nicht vorgekommen, aber im schlimmsten Fall hätte man dann Kosten am Hals, aber keine Betreuung.
2. Verhältnismäßig hoher bürokratischer Aufwand, z.B. Lohnabrechnung, bei wechselnden Kräften regelmäßige An- und Abmeldungen bei den Krankenkassen. Hier nehmen wir zwar unseren Kunden etwa 80-90% der Arbeit ab, aber das ist dann natürlich auch ein zusätzlicher Kostenfaktor.
Frage: Apropos Kosten, wie hoch sind in etwa die monatlichen Kosten bei der Anstellung der Haushaltshilfe bzw. Betreuungskraft?
Gericke: Der Mindest-Bruttolohn beträgt bei einer Haushaltshilfe in den meisten Bundesländern knapp 1400 Euro. Hinzu kommen ggf. Sachbezüge wie Kost und Logis und in jedem Falle die Arbeitgeberanteile zur Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung sowie Beiträge zur Unfallversicherung. Wir klären Interessenten immer ausführlich über offene Fragen, insbesondere zur Gewährung von Sachleistungen und zu den erforderlichen Abgaben auf, damit die Gesamtkosten transparent werden. Über den Daumen gepeilt kommt man bei einer Nettoauszahlung von rund 1000 Euro an die Kraft auf eine Arbeitgeberbelastung zwischen 1750 und 1850 Euro.
Frage: Und wieviel davon kann man bei der Steuererklärung wieder gutmachen?
Gericke: Als "haushaltsnahe Dienste" können durch Pflegebedürftige jährlich bis zu 20.000 Euro geltendgemacht werden, wobei es zu einer Steuerersparnis von bis zu maximal 4000 Euro kommen kann. Daneben besteht insbesondere für Angehörige, die notwendigerweise zu den Pflege- und Betreuungskosten beitragen, die Möglichkeit, diese als "außergewöhnliche Belastung" geltendzumachen. Da hier der Steuerabzug von der Einkommenshöhe und der sog. "zumutbaren Belastung" abhängt, empfehle ich in jedem Fall eine konkrete Nachfrage beim Steuerberater - am besten vor der Entscheidung, welcher Familienangehöriger Arbeitgeber oder Auftraggeber wird.
Frage: Arbeitgeber oder Auftraggeber - was ist hier der Unterschied?
Gericke: Arbeitgeber bezieht sich auf das beschriebene Verfahren der Anstellung einer Haushaltshilfe und Betreuungskraft. Auftraggeber auf die bisher noch nicht angesprochenen Alternativen, falls die Familie eine Anstellung nicht für machbar oder sinnvoll hält. Aus praktischen Gründen würde ich zum Beispiel nur dann zu einer Anstellung raten, wenn eine voraussichtlich stabile und längerfristige Betreuungssituation zu erwarten ist.
Presse: Welche Alternativen gibt es denn und wann machen sie Sinn?
Gericke: Grundsätzlich gibt es zwei Alternativen.
1. Bei der sogenannten Entsendung wird von einem ausländischen Unternehmen eine bei diesem angestellte Kraft nach Deutschland in die Familie - in diesem Fall Auftraggeber des Unternehmens - entsandt.
* Die Kraft ist bei ordentlicher Arbeitsweise des Unternehmens über den ausländischen Sozialversicherungsträger versichert, was durch die EU-Entsendebescheinigung A1 (früher E101) dokumentiert sein sollte. Allerdings nimmt die Ausstellung dieser Bescheinigung beispielsweise beim polnischen Sozialversicherungsträger ZUS häufig einen Zeitraum von mehreren Wochen in Anspruch, so dass diese Dokumentationslücke durch eine Bescheinigung des Unternehmens über die Anmeldung beim Sozialversicherungsträger geschlossen werden sollte.
* Leider ist es für den deutschen Auftraggeber häufig undurchsichtig, ob das ausländische Unternehmen vorschriftsgemäß arbeitet und in welcher Höhe die Sozialabgaben geleistet werden. Womit wir bei dem gravierendsten Nachteil dieses Verfahrens sind. Außerdem ist durch die Kosten und Marge beim ausländischen Unternehmen die Netto-Auszahlung an die Kraft häufig niedriger als bei direkter Anstellung mit vergleichbaren Gesamtkosten. Über den Daumen gepeilt kommt in etwa die Hälfte dessen, was der Kunde zahlt, als Netto-Auszahlung bei der Kraft an.
* Der wichtigste Vorteil des Entsendungsverfahrens liegt für den Kunden in der Beauftragung. Klappt etwas nicht oder wird eine Kraft krank, muss der Dienstleister kurzfristig für Ersatz sorgen. Und ist die gesundheitliche Entwicklung der zu betreuenden Person instabil, bieten die meisten Entsender kulante Möglichkeiten, den Vertrag z.B. bei längeren Krankenhausaufenthalten ruhen zu lassen, so dass nach einer Übergangszeit keine oder nur geringe laufende Kosten entstehen.
2. Bei der zweiten Alternative, der Zusammenarbeit mit selbstständigen Kräften, erbringt eine Kraft mit einem angemeldeten deutschen Gewerbe oder EU-ausländischen Gewerbe eine Dienstleistung im Haushalt des Auftraggebers.
* Gäbe es nicht das Damoklesschwert der "Scheinselbstständigkeit", wäre diese Form der Zusammenarbeit sowohl für die Familie vorteilhaft, weil sie Auftraggeber bliebe, als auch für die Kraft, weil sie im Verhältnis zu einer Anstellung im Heimatland ein höheres Einkommen erzielen kann. Da die vorherrschende Behördenmeinung aber zur Vermutung einer Scheinselbstständigkeit tendiert, kann ich dieses Verfahren nur eingeschränkt empfehlen.
* Insbesondere muss die Kraft bei einer Kontrolle nachweisen können, dass sie ihre Firma eigenverantwortlich führt und werbend auf dem Markt auftritt, dass sie mehrere Auftraggeber hat und sinnvollerweise einen von ihrem Auftraggeber unabhängigen Firmensitz. Werden diese Rahmenbedingungen nicht eingehalten, kann es sein, dass die Familie "nachträglich" zum Arbeitgeber wird und Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss.
Frage: Das hört sich nicht gut an, denn Familien, die schon nach einer legalen Lösung suchen, wollen doch dann sicherlich zumindest eine Sicherheit, dass ihnen so etwas nicht passiert.
Gericke: Das ist richtig und deswegen haben wir seitens unseres Verbandes schon mehrfach Ministerien und staatliche Institutionen aufgefordert, ein Arbeitsmarktkonzept speziell für den Betreuungssektor zu entwickeln. Ein Schwarzmarktanteil von geschätzten 80 bis 90% sollte hier Ansporn genug sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Probleme in Pflege und Betreuung noch verstärken und der Arbeitskräftebedarf weiter drastisch steigen wird. Bisher scheint es mir aber so, dass immer wieder Interessenkonflikte zwischen Ministerien, Parteien, Verbänden und Gewerkschaften dafür sorgen, dass nichts passiert. Die Leidtragenden sind nicht nur die Familien und Kräfte, sondern auch unser gesamtes Sozialsystem. In Österreich hat man durch ein 2007 eingeführtes praxisorientiertes und bürokratiearmes Beschäftigungsmodell innerhalb eines Jahres die Schwarzarbeit um etwa die Hälfte reduziert. Ich zitiere den österreicherischen Sozialforscher Dr. Tom Schmid. Er schreibt in seiner Studie "HaushaltsnomadInnen in Österreich und der Versuch ihrer Legalisierung" folgendes: "Wenn ein Missstand erkannt worden ist, kann man die Realität an die vorhandene Rechtslage anpassen oder die Rechtslage an die vorhandene Realität anpassen. [...] Österreich hat sich für die zweite Variante entschieden." Hieß konkret: Rahmenbedingungen ändern und die neuen Modelle auch finanziell fördern. Ich wünsche mir, dass auch in Deutschland konkrete Schritte in eine solche Richtung unternommen werden. Das sich immerwährend wiederholende Bejammern der Zustände in Talkshows und Gremien hilft hier nicht weiter.
Frage: Herr Gericke, wir danken Ihnen für das Gespräch und die umfassenden Informationen.
Gericke: Gerne, ich bedanke mich für Ihr Interesse und auch den Raum für einige Details, die mir am Herzen liegen und die sonst nicht oder nur am Rande thematisiert werden.
Kontakt: http://www.haushaltshilfen.net
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