Electronic Decision Support: Grenzen und Möglichkeiten
CON.ECT Informunity mit Erfolgsfaktoren zu EDS aus Finnland
Wien (pts023/07.12.2011/12:40) Auf der E-Health-Tagung im Rahmen der Con.ect Informunity am 29.11.2011 im Wiener Krankenanstaltenverbund diskutierten Experten aus dem Gesundheits-, Medizin- und IT-Bereich über die Möglichkeiten und Herausforderungen elektronischer Entscheidungshilfen im Medizineralltag. Während die Meinungen hinsichtlich der geplanten Einführung der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) weiterhin auseinandergehen, herrschte beim Thema Electronic Decision Support weitgehend Übereinstimmung.
Bereits zum 7. Mal lud CONECT Eventmanagement in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg, Wiener Krankenanstaltenverbund, Elga GmbH, Initiative Elga und dem Future Network Cert zur Veranstaltung der Eventserie "E-Health - KIS - Electronic Decision Support: Grenzen und Möglichkeiten" ein.
Dass ein IT-gestützter Ablauf den ärztlichen Alltag erleichtern und die Qualität medizinischer Diagnosen und Behandlungen verbessern kann, stellte keiner der Vortragenden in Abrede. Dr. Andreas Sönnichsen von der Paracelsus Medizinische Privatuniversität eröffnete die Tagung mit einem Plädoyer für den stärkeren Einsatz von elektronischen Entscheidungshilfen. Diese seien wichtig, um eine Behandlung von Patienten nach "evidenzbasierten Leitlinien" und somit dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu garantieren.
"Bei etwa 70.000 neuen Publikationen monatlich, die allein auf der Forschungsplattform pubmed eingepflegt werden, kann kein Arzt der Welt auf dem neuesten Stand bleiben", so Sönnichsen. Erschwerend für den Praxisalltag in der Allgemeinmedizin sei, dass der Arzt im Schnitt nur etwa fünf bis sechs Minuten Zeit pro Patient habe. "Der Computer sorgt dafür, dass auch bei komplexen Problemen auf keinen für die Diagnose und Behandlung wichtigen Punkt vergessen wird. Das Abwägen von Vor- und Nachteilen einer medizinischen Maßnahme sowie die Entscheidungsfindung gemeinsam mit dem Patienten obliegt aber weiterhin dem Arzt", so Dr. Sönnichsen.
Einen Blick über den österreichischen Tellerrand hinaus gewährte der aus Finnland angereiste E-Health-Experte Dr. Ilkka Kunnamo. Er unterstrich die Wichtigkeit klinischer Decision Support Systeme (CDS) in der modernen Medizin, gab aber zu bedenken, dass diese aus Ärztesicht unkompliziert, schnell und ohne den Arbeitsfluss zu behindern funktionieren müssen. "Geschwindigkeit und ein zuverlässiger Überblick hinsichtlich der Patientendaten sind der Schlüssel zum Erfolg, um die Abläufe effizienter und gleichzeitig sicherer zu gestalten."
Damit derartige Systeme funktionieren, müssten sie naturgemäß an strukturierte elektronische Gesundheitsdaten angebunden sein, was wiederum nur über nationale Standards und Vorschriften erzielt werden könne. Aus Patienten- und Bürgersicht wiederum sei der transparente Umgang mit den gesammelten elektronischen Gesundheitsdaten wichtig. "Wenn ein Patienten-Dossier aufgerufen wird, muss das der Betroffene sehen können. Das beugt Datenmissbrauch vor", so Dr. Kunnamo mit Verweis auf das finnische System.
Das Thema Datensicherheit, Patienten- und Ärzteselbstbestimmung war naturgemäß auch Teil des Vortrags von ELGA-Geschäftsführerin Dr. Susanne Herbek. "Es ist ganz klar, dass wir bei ELGA den höchstmöglichen Sicherheitsstandard gewährleisten müssen. Die Bürger müssen dem System vertrauen können. Über technische Vorkehrungen, wie die Verschlüsselung von Daten, und entsprechende gesetzliche Strafbestimmungen muss gewährleistet sein, dass kein Missbrauch mit Daten betrieben wird", sagte Herbek.
Für die derzeit vorgebrachten Ängste und Bedenken rund um die ELGA-Einführung zeigte Herbek zwar Verständnis, war allerdings über die Schärfe der derzeitigen Diskussion erstaunt. "Die vielerorts geäußerte Befürchtung, dass ELGA den Arzt ersetzen soll, ist völlig unbegründet. Bei ELGA handelt es sich um ein elektronisches Informationssystem, das den Arzt und den Patienten in der medizinischen Entscheidungsfindung unterstützen soll", so Dr. Herbek.
Sowohl im Rahmen des jetzigen Projekts als auch im zukünftigen Betrieb sei keinesfalls geplant, dass ELGA vom Staat oder einer Sozialversicherung eingesetzt werde, um die Leistung von Ärzten zu kontrollieren oder kritisieren, versicherte Dr. Herbek. Die Einführung werde zudem nicht mit einem "großen Knall", sondern schrittweise und transparent für Bürger erfolgen. "Patienten werden selbst Berechtigungen erteilen und entziehen können und somit steuern, wer auf Gesundheitsdaten zugreifen kann. Über einsehbare Protokolle können Patienten zudem genau nachvollziehen, wer auf die Daten wann zugegriffen hat", so die ELGA-Geschäftsführerin.
Dem Thema heterogener Applikations- und Datenlandschaften widmete sich Ing. Johannes Rössler von Tieto Austria, das zu den führenden IKT-Lösungsanbietern im Gesundheits- und Sozialbereich in Skandinavien sowie Teilen Deutschlands und Österreich zählt. Im Rahmen der Veranstaltung stellte Rössler den IHE Integrationsserver vor, der unterschiedlichste Daten zu einer gemeinsamen elektronischen Gesundheitsakte, wie ELGA, zusammenführen kann. "Es ist unwahrscheinlich, dass alle Krankenhäuser, niedergelassen Ärzte und andere Schnittstellen im Gesundheitssystem von heute auf morgen die gleichen Standards umsetzen. Der IHE Integrationsserver kann sämtliche patientenbezogenen medizinischen Daten verfügbar machen, unabhängig von Herkunft der Daten, Struktur oder vom verwendeten Protokoll", so Rössler.
Dass heterogene und großteils auch proprietäre Systeme kein Hindernis für die Vernetzung und Kooperation von Gesundheitsdienstleistern sein müssen, unterstrich auch Dr. Theo Wilhelm von ITH icoserve in seinem Vortrag. Als positiv sei zu vermerken, dass die meisten Institutionen bereits den Nutzen und die Notwendigkeit von Vernetzung erkennen würden - sei es, was die Qualität medizinischer Versorgung, als auch kostensparende Effekte sowie eine bessere Kundenbindung betrifft. Technisch gesehen, sei die Vernetzung ohnehin gelöst. Verbesserungsbedarf ortet Dr. Wilhelm aber noch im Bereich integrierter Anwendungen, die bisher leider immer noch Mangelware seien: "Entwickler konzentrieren sich immer noch zu sehr auf die ohnehin schon gelöste Vernetzungstechnologie, anstelle die Funktionalität in den Vordergrund zu stellen."
Das Thema "Digitale Radiologie" stand im Mittelpunkt des Vortrags von A1-Experten Alexander Gürtler, der auf die Herausforderungen moderner Radiologie hinwies. Denn allein in Österreich werden täglich über 10.000 bildgebende Verfahren durchgeführt. Die dabei entstehenden Daten müssen für zumindest zehn Jahre archiviert und geschützt werden, was Praxen vor große Herausforderungen stellt. Im Rahmen seiner Präsentation stellte Gürtler die digitale Langzeit-Archivlösung von A1 vor, mit der die gesetzlichen und medizinischen Anforderungen erfüllt sowie der Austausch und die Übermittlung von Bilddaten sicher und zuverlässig durchgeführt werden können. Die A1-Lösung habe den Vorteil, dass keine eigene Infrastruktur benötigt werde. Betrieb und Backup erfolge durch A1, verrechnet würden nur tatsächlich archivierte Daten pro Megabyte, so Gürtler.
Den spannenden und diskussionsreichen Konferenztag rundete Ing. Eduard Schebesta von HCS Health Communication Service GmbH ab, der über ein ELGA-konformes Krankenhaus-Einweisungsprojekt der Vinzenzgruppe berichtete. Dabei übermitteln zehn niedergelassene Ärzte mit unterschiedlichen Arztsystemen strukturierte CDA-Dokumente zur Einweisung von Patienten und erhalten nach deren Entlassung auf selbem Wege strukturierte Entlassungsdokumente.
In zwei weiteren Vorträgen wurde der Bogen schließlich zurück zum Electronic Decision Support aus Sicht wissenschaftlich renommierter Institutionen, aber auch aus dem Praxisalltag gespannt. Sowohl Dr. Michael Binder von der Medizinischen Universität Wien als auch Sportmediziner Dr. Christian Husek unterstrichen die potenziellen Vorteile einer computerbasierten Entscheidungsunterstützung, wiesen aber auch auf die Herausforderungen für System und behandelnden Arzt hin.
Während Dr. Binder den zweifelsohne großen Nutzen derartiger Systeme ortet, sieht er weiterhin technische, rechtliche, aber auch gesellschaftliche Hürden, welche den verstärkten Einsatz von Electronic Decision Support teilweise noch behindern. Herr Dr. Husek wiederum sieht die schier unüberblickbare Menge an Daten, die im jeweiligen kurzen Behandlungskontext gezielt gefiltert werden muss, als größte Herausforderung. Bei der Konzeption moderner Arztsoftware sollte neben der systematischen Priorisierung auch die nutzergerechte Gestaltung von Bedienoberflächen und Benutzungsabläufen nicht zu kurz kommen, so Husek.
Mehrheit der ÖsterreicherInnen hat eine positive Einstellung zu ELGA - "Generation Facebook" ist kritisch
Die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung sieht der bevorstehenden Einführung des elektronischen Gesundheitsaktes (ELGA) sehr positiv (20,4 %) bzw. positiv (35,2 %) entgegen. 29,9 % haben dazu eine neutrale Einstellung und nur 9 % sehen ELGA als negativ bzw. 5,5 % als sehr negativ. Allerdings äußern 68,4 % zumindest Bedenken, dass ihre Gesundheitsdaten im Zuge einer elektronischen Speicherung leichter missbraucht werden könnten. Auf die Frage, "Werden Sie aus jetziger Sicht von Ihrem Recht Gebrauch machen, bei einer tatsächlichen Einführung der ELGA der elektronischen Speicherung Ihrer Gesundheitsdaten in ELGA zu widersprechen?", antworten 69,4 % mit Nein, aber 30,6 % mit Ja.
Auffallend kritisch wird ELGA vor allem von der jüngeren Generation (20 bis 29 Jahren) gesehen. In dieser Altersklasse antworten 44 %, dass sie aus heutiger Sicht der elektronischen Speicherung Ihrer Gesundheitsdaten in ELGA widersprechen werden. "Ob ELGA in Österreich ein Erfolg wird, hängt sehr stark davon ab, ob vor allem die junge Generation, deren Einfluss auf die Elterngeneration beträchtlich ist, von ELGA überzeugt wird", erklärt Dr. Georg Lankmayr, Studienautor und Geschäftsführer von INSET Research & Advisory Unternehmensberatung GmbH, beim Event.
Die diesjährige E-Health Tagung wurde mit freundlicher Unterstützung von Tieto, A1 Telekom, Siemens, CompuGroup Medical und ITH icoserve durchgeführt. Das CON.ECT Team bedankt sich herzlich für diese Unterstützung.
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