pte20191001016 Forschung/Entwicklung, Politik/Recht

Forscher schreibt Stammbaum-Geschichte neu

Untersuchung der Uppsala University: Baummodell wurde 50 Jahre vor Charles Darwin genutzt


Stammbaum im Wandel (Foto: pixabay.com, Clker-Free-Vector-Images)
Stammbaum im Wandel (Foto: pixabay.com, Clker-Free-Vector-Images)

Uppsala (pte016/01.10.2019/10:45) Stammbäume können zur Erstellung wissenschaftlicher Modelle nützlich sein, wie Forscher der Uppsala University http://uu.se/en sagen. In "Acta Universitatis Upsaliensis" präsentiert das Team um Petter Hellström eine neue These zur Wissenschafts- und Ideengeschichte.

Kritisiertes Baummodell

Vor der Französischen Revolution 1789 waren Stammbäume ausschließlich der feudalen Oberschicht vorbehalten. Ihr dienten sie vorwiegend zur Festigung ihres sozialen Status. Nach der Aufhebung des Feudalismus verloren sie ihre alte Rolle. Heute stehen Stammbäume jedem als selbstverständliche Metaphern und Modelle zur Verfügung, der evolutionäre Beziehungen und Entwicklungen visualisieren möchte.

Baumdiagramme und Baummetaphern kommen vor allem in Biologie, Genetik und Linguistik zum Einsatz. Sie werden routinemäßig für Datensimulationen, Computermodelle, wissenschaftliches und nicht-akademisches Schreiben, museale Präsentationen und im Lehrbetrieb herangezogen. Trotz dieser umfassenden Präsenz ist das Baummodell auch heute noch Gegenstand lebhafter Diskussionen innerhalb der Forschungsgemeinschaft.

Kritiker argumentieren, dass das Baummodell ein irreführendes Bild der Evolutionsgeschichte transportiert. Die höhere Komplexität der Evolutionsprozesse auf molekularer Ebene könne durch das Baummodell nicht mehr adäquat dargestellt werden. Folgerichtig habe sich die Kritik mit dem rasenden Fortschritt in der Molekularbiologie weiter intensiviert.

Frankreich im Mittelpunkt

Hellströms These zur Ideengeschichte untersucht die frühe Geschichte der Familienbäume in der modernen Wissenschaft. Der Schwerpunkt der Forschung liegt dabei auf der französischen Gelehrsamkeit rund um das Jahr 1800. Dieser Zeitraum ist besonders interessant, da kurz zuvor die Französische Revolution Monarchie, Aristokratie und ganz allgemein das Feudalsystem abgeschafft hatte.

Diese These baut auf der historischen Forschung zur Genealogie und Stammbäumen im vorrevolutionären Frankreich auf, die zeigt, dass die Aristrokratie sich ihrer zum Schutz des sozialen Status der Familie und für den Zugang zu Ämtern, Titeln und Land bediente. Bis 1790 waren alle diese vererbten Privilegien abgeschafft.

"Die Revolutionäre schafften die Genealogie als Ordnungsprinzip der Gesellschaft ab. Die französischen Wissenschaftler entdeckten die Genealogie als Prinzip der natürliche Ordnung", so Hellström. Es sei nur schwer festzumachen, wie diese beiden Ereignisse zusammenhingen. Der Zusammenhang hinsichtlich Zeit und Ort sei jedoch bemerkenswert.

Geschichte neu geschrieben

In früheren Studien wurden die Geschichten der Evolutionstheorie und des Baummodells häufig miteinander vermischt. Das Baummodell wurde dabei praktisch als eine Konsequenz der Theorie Darwins beschrieben. Hellströms Studie zeigt, dass der Zusammenhang entgegengesetzt war: Stammbäume wurden für die wissenschaftliche Klassifizierung mindestens ein halbes Jahrhundert genutzt, bevor Charles Darwin 1859 dieses Modell für sein bahnbrechende Buch "Über die Entstehung der Arten" ebenfalls einsetzte.

Hellström weist nach, dass es keine Verbindung zwischen der Nutzung des Stammbaumes als wissenschaftlichem Modell und der Auffassung der Ordnung der Natur als evolutionärem Prozess oder als Entwicklung gibt, die im Lauf der Zeit vonstatten geht. Dies galt, so der Forscher, zumindest für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die meisten Personen, die das Baummodell in diesem Zeitraum nutzten, gingen von einer von Gott geschaffenen Ordnung aus.

Der erste Stammbaum der natürlichen Ordnung stammte laut dem Forscher von Augustin Augier. Als Adliger und Priester war er einer der Verlierer der Revolution. "Es ist markant, dass er nur wenige Jahre nach der Französischen Revolution entdeckte, wie sich die Ordnung der Natur in der feudalen Ordnung widerspiegelte, aus der er selbst stammte", weiß Hellström.

Verbindung zur Gegenwart

Dass der frühe Einsatz von Stammbäumen nicht nur auf Naturwissenschaften und Sprachwissenschaften beschränkt war, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis dieses Forschungsprojekts. Stammbäume wurden in verschiedenen Wissensgebieten eingesetzt, wo sie heute nicht mehr genutzt werden. Dazu gehören Musiktheorie, Medizin und Wirtschaftswissenschaften.

"Die Blickrichtung früherer Studien war von der Gegenwart in die Vergangenheit. Daher wurde die Nutzung dieser Bäume nur in jenen Disziplinen sichtbar, in denen sie auch heute eingesetzt werden." Hellström hat sich stattdessen für einen weiteren Ansatz entschieden: "Ich habe in französischen Archiven eine ganze Reihe von bisher übersehenen Darstellungen gefunden. Es war daher erforderlich, die Geschichte neu zu schreiben."

(Ende)
Aussender: pressetext.redaktion
Ansprechpartner: Moritz Bergmann
Tel.: +43-1-81140-300
E-Mail: bergmann@pressetext.com
Website: www.pressetext.com
|