pte20110730005 Tourismus/Reisen, Umwelt/Energie

Kasbek in Georgien im politischen "Klimawandel"

Kaukasus-Gipfel hat Nachholbedarf bei touristischer Infrastruktur


Tbilisi (pte005/30.07.2011/11:50) So schlimm es klingt: Etwas besseres konnte dem georgischen Bergdörfchen Stepanzminda am Fuße des Kasbek (5047 m) nicht passieren. Seit den separatistischen Überfällen auf Touristen im russischen Elbrus-Gebiet (Karbadino-Balkarien) müssen Bergsteiger und Trekkingurlauber auf den Fünftausender im südlichen Kaukasus ausweichen. Während der Elbrus (5642 m) für Besucher seit dem Frühjahr komplett gesperrt ist, boomt der Kasbek mit dreistelligen Zuwachsraten. Über 20.000 Besucher werden 2011 erwartet, die bescheidene Infrastruktur ist hart an der Grenze der Belastbarkeit.

Gia Ksnelashvili, Chef des Kaukasusprogramms beim St. Petersburger Reiseveranstalter "Geographic Bureau", kann sich über die Situation nicht wirklich freuen. "Die Kapazitäten am Kasbek sind im Vergleich zum Elbrus sehr eingeschränkt", klagt der georgische Bergführer im Gespräch mit pressetext. Im Kasbek-Gebiet fehlt es an allem, insbesondere Bettenkapazitäten, Komfort und Service lassen zu wünschen übrig, und es gibt nur ein Restaurant im Ort. "Daher kommen auch nur Camper und Selbstversorger auf ihre Rechnung."

Viel ist zu tun, um die touristischen Ressourcen rund um den imposanten Eisgipfel auszuschöpfen. Vor kurzem wechselte die ehemalige russische Meteostation (Bethlemi Hut) auf 3.653 m Höhe, die einzige Berghütte weit und breit, den Besitzer. Der neue, ein Bruder des Tifliser Bürgermeisters, will kräftig investieren. Doch wie rasch das geht, da scheiden sich die Geister. Ein Konflikt zwischen eingesessenen Hüttenbetreibern und dem investitionswilligen neuen Eigentümer ist vorprogrammiert, vermuten Eingeweihte.

Ein anderes Problem sind die schlechten Zufahrtsstraßen. Die legendäre georgische Heerstraße, gebaut Mitte des 19. Jahrhunderts von den Russen, ist zwischen dem bekannten Skiort Gudauri und Kasbegi streckenweise eine löchrige Schotterpiste, in schneereichen Wintern oft gänzlich unpassierbar. Ob der seit einigen Jahren geplante Straßentunnel zwischen Mieta und Kobi kommt, ist auch ungewiss: Derzeit geht im Straßenbau nichts voran - wegen Geldmangel.

Ein wunder Punkt ist auch der schwelende Konflikt mit Russland. Die 15 Kilometer entfernte Grenze nach Nordossetien ist nur schwer passierbar. Und das wird sich auf längere Sicht nicht ändern. Im Verhältnis zu Russland herrscht seit dem militärischen Abenteuer von Georgiens Staatspräsident Micheil Saakaschwili zur "Befreiung" Südossetiens und Abchasiens im August 2008 Eiszeit. Der wichtigste Markt Georgiens - wirtschaftlich wie touristisch - liegt damit vollständig brach.

Gletscherschmelze kein Thema

Weniger Sorgen macht den Touristikern vor Ort der schleichende Klimawandel. In den vergangenen hundert Jahren haben die Eismassen im Kaukasus - ähnlich wie in den Alpen - mehr als ein Drittel ihrer Flächen und fast die Hälfte ihres Volumens eingebüßt, berichtete kürzlich das "North-Caucasian Hydrometeorological Service". 500 der ehemals 2000 Gletscher sind bereits verschwunden, die Gletscherflächen auf 1.800 Quadratkilometer zusammen geschmolzen. Die konstant hohen Sommertemperaturen rund um den Kasbek (der Gefrierpunkt liegt hier im Sommer bei 4700 m) führen untertags zu ständigem Steinschlag und hoher Lawinengefahr.

Laut Ksnelashvili ist die Gletscherschmelze an Kasbek in den vergangenen zwanzig Jahren aber weit weniger dramatisch verlaufen wie in anderen Regionen. Etwa 20 bis 30 Meter sei der Gergeti-Gletscher, der bekannteste der acht Gletscher rund um den Eisgipfel, zurückgegangen, auch die Dicke des Eises hat ein paar Meter abgenommen. Zum Skifahren im Spätfrühjahr reicht es allemal: Die Gletscher am Kasbek machen derzeit eine Fläche von 135 km2 aus, der größte davon, Maliev, misst 58 Kilometer Länge. Die ausgedehnten Schneefelder werden von Alpinisten als die schönsten im Kaukasus bewertet.

Der Gipfel, im Jahr 1868 erstmals von Briten und Schweizern erzwungen, liegt auf dem Breitengrad der italienischen Hauptstadt Rom. Seine Gletscherzungen reichen bis auf 3200 m herunter und werden von blühenden Almwiesen eingesäumt, die bis zur bekannten Dreifaltigkeitskirche (Gergeti-Kloster) oberhalb der Ortschaft Kasbegi auf 2.170 m reichen. Mächtige Gletscherbäche entwässern die Bergregion, die selbst im gut besiedelten Hochtal auf 1750 m Seehöhe reich an agrarischen Produkten ist.

Trotzdem darf der Schichtvulkan am Schnittpunkt von Europa und Asien, zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer, nicht unterschätzt werden. Seine letzte Eruption fand in der griechischen Antike 750 v.Chr. statt, die Region gilt als hoch erdbebengefährdet und bietet ein ganzes System von warmen Quellen. Auf der finalen Gipfeletappe steigt man bis zu 45 Grad bergan. Und dort herrschen selbst im Hochsommer arktische Verhältnisse, wenn Sturm und Wind Spitzengeschwindigkeiten von weit über 100 Km/h erreichen.

Europäer, Türken und Iraner am Gipfel

Wie seine bekannteren vulkanischen Nachbarn Elbrus (Russland), Ararat (Türkei) und Damavand (Iran) ist auch der Kasbek von Mythen umrankt. In der griechischen Sage wurde der Menschenfreund Prometheus an seine Felsen gekettet, weil er den Göttern das Feuer gestohlen hatte. Zur verschärften Strafe riss ihm ein Adler täglich die immer nachwachsende Leber aus dem Leib.

In Bergsteigerkreisen stand der Kasbek bisher im Schatten des bekannteren Kaukasusgipfels Elbrus, als "höchster Europäer" auch einer der Seven Summits. Mit der Elbrus-Sperre in diesem Jahr hat sich das jedoch schlagartig geändert. Die außergewöhnliche Schönheit seiner Gletscher und Hochalmen sowie die relativ einfache Erreichbarkeit dürften den Kasbek zum neuen Hot-spot im Kaukasus pushen.

In den letzten Julitagen 2011 stürmten jedenfalls Bergsteiger aus allen europäischen Ländern gruppenweise den Berg, insbesondere aus dem Baltikum, der Ukraine, aus Polen und Deutschland. Auch die "Heimmärkte" Georgiens, die Türkei, Iran und Israel waren mannschaftlich stark vertreten - und dies ganz friedlich, mit Kulinarik und Musik im Gepäck.

Die orthodoxe Bergkirche von Zminda Sameba, eine weltberühmte Postkartenidylle und einst Hüterin der georgischen Kronschätze, gibt auf dem Weg zum Gipfel des Kasbek spirituellen Beistand. Sie wird seit einigen Jahren wieder von Mönchen bewirtschaftet. Hier treffen sich Christen wie Juden und Moslems und bitten um den Segen beim Berggang.

Eine Auswahl von Fotos zu diesem Beitrag steht auf http://www.fotodienst.at/browse.mc?album_id=3497 zum Download bereit.

Kasbek-Touren werden aktuell angeboten von:

Geographic Bureau (St. Petersburg)
http://www.geographicbureau.com/

Achitours (Freiburg, Georgien-Spezialist)
http://www.achitours.de

Diamir Erlebnisreisen (Dresden)
http://diamir.de/index.php?location=reise&id=407

Ararat Tours (Dresden)
http://ararat-tours.com/index.php/geo-tour-5.html

Jörg Stingl (Chemnitz)
http://www.joergstingl.com/Trekking-Tour-Kasbek.80.0.html

Ruefa (Wien)
http://www.bergnews.com/verkehrsbuero/kazbek/kazbek.php

Bergspechte (Linz)
http://www.bergspechte.at

Die Stop Global Warming Tour von pressetext

Dieser Beitrag entstand im Rahmen der "Stop Global Warming" Tour der Nachrichtenagentur pressetext. 2007 hatte eine pressetext-Expedition die Folgen des Klimawandels auf dem höchsten Berg Afrikas, dem Kilimandscharo, untersucht. http://pressetext.com/news/070806006/ Im Jahr darauf stand die globale Erwärmung am höchsten Berg Europas, dem Elbrus im Kaukasus, im Mittelpunkt der Berichterstattung. http://pressetext.com/news/080728010/ und http://pressetext.com/news/080728009/ 2009 berichtete pressetext über die Verschiebung der Regenzeiten auf dem Ararat in der Türkei http://pressetext.com/news/090707012/ und das Paradies der Schildkröten am Van-See. http://pressetext.com/news/090709031/ Zuletzt, 2010, informierte pressetext über das Land des Schweigens (Iran) http://www.pressetext.com/news/20100814009 und über den Damavand im Schatten des Klimawandels http://www.pressetext.com/news/20100814002 .

(Ende)
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