Von Wohlstandsgewinnern und -verlierern
Ipsos und Zukunftsforscher Opaschowski: 2. Nationaler Wohlstandsindex
Nationaler WohlstandsIndex für Deutschland (Copyright: Ipsos) |
Hamburg (pts011/26.11.2012/11:00) Nach dem 2. Nationalen WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D), den das weltweit tätige Marktforschungsinstitut Ipsos in Zusammenarbeit mit dem renommierten Zukunftsforscher Professor Dr. Horst W. Opaschowski entwickelt hat, erreicht die Wohlstandswirklichkeit in Deutschland den Indexwert 42 von 100 möglichen Punkten. "Der Ipsos NAWI-D ist ein Barometer, das die für die Deutschen wichtigen aktuellen Grundvoraussetzungen für den Wohlstand erfasst. Auffällig ist, dass die anhaltende Finanzkrise in Europa das Stimmungsbild in Deutschland nicht weiter beeinträchtigt hat. Der 2. NAWI-D bleibt gegenüber der ersten Messung von vor drei Monaten stabil", so Hans-Peter Drews, Managing Director von Ipsos Observer.
Zukunftssicherung ist nicht mehr sicher: Den meisten Bürgern fehlt das Geld zur privaten Vorsorge
Aus Sicht der Bevölkerung ist die Zukunftssicherung nicht mehr sicher: Fast zwei Drittel der Bevölkerung (63%) sehen sich derzeit nicht in der Lage, ausreichend für die eigene Zukunft "finanziell vorsorgen" zu können. Professor Horst W. Opaschowski: "Und der Politik trauen die Bürger Zukunftsvorsorge noch weniger zu. Der Staat macht Überschüsse wie schon lange nicht mehr - und plant trotzdem Neuverschuldungen ein. Rücklagen zur Zukunftssicherung werden nicht gebildet. So wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung und die Politikverdrossenheit auch, weil die Politiker offensichtlich mehr an den Machterhalt der Parteien als an das Wohlergehen der Bürger denken."
Der Ipsos NAWI-D zeigt vor allem bei der jungen Generation Wohlstandsdefizite auf. Dies ist durch einen niedrigen ökonomischen Wohlstand zu erklären. Die Jüngeren sehen ihr zukünftiges Erwerbseinkommen und auch ihre spätere Rente als nicht gesichert an. Die Mehrheit der Älteren hingegen äußert solche Zweifel nicht mehr so stark. Wenn man kurz vor der Rente oder bereits im Rentenalter ist, erscheinen die Einkünfte bis zum Lebensende für die Mehrheit als relativ sicher.
Ipsos-Experte Drews sieht gegenläufige Entwicklungen zwischen den beiden Dimensionen "individueller" und "ökonomischer Wohlstand": "Während der ökonomische Wohlstand mit dem Lebensalter deutlich wächst, sinkt der individuelle, je älter die Menschen werden. Den Jungen geht es zurzeit persönlich gut: Sie verfügen über viele soziale Kontakte und haben keine Gesundheitsprobleme. Auf der anderen Seite fühlt sich nur noch ein knappes Drittel der über 55-Jährigen gesund."
Die Wohlstandsverlierer: Wohlstand "ganz unten"
Das Wohlstand-für-alle-Versprechen droht zur Enttäuschung für große Teile der Bevölkerung zu werden. Hans-Peter Drews: "Der aktuelle NAWI-D stuft fast jeden vierten Bundesbürger (24%) am untersten Ende des ökonomischen Wohlstands ein" - mit Werten von 1 bis 3 auf einer Wohlstandsskala, die von 1 bis 10 reicht. Betrachtet man alle vier Säulen des Wohlstandes, also neben dem ökonomischen auch den individuellen, den gesellschaftlichen und ökologischen Wohlstand, dann gehört immerhin noch jeder Fünfte (20%) zu den Verlierern.
Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil dieser Wohlstandsverlierer vor allem in Ostdeutschland. Hier rangieren 27% am untersten Ende der Wohlstandsskala. In der Hauptstadt Berlin sind es gar 30%.
Wohlstands-Risse gehen durch Deutschland
Der 2. Nationale WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D) deckt auf, wie konfliktreich das Lager der Wohlstandsverlierer für die gesellschaftliche Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt in Deutschland werden kann. Professor Opaschowski: "Nicht ein Ruck, sondern Wohlstands-Risse gehen durch Deutschland: Neben der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und dem scheinbar unüberbrückbaren Wohlstandsgraben zwischen Ost und West nimmt vor allem die Polarisierung der Lebensverhältnisse zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen zu."
Nur wer in Deutschland über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von mindestens 2.500 Euro netto verfügt, fühlt sich derzeit auf der sicheren Seite des Lebens. Ganz im Unterschied zu den Geringverdienern, deren Haushalte mit weniger als 1.250 Euro auskommen müssen und von denen lediglich jeder Vierte als Sicherheit über Eigentum (Haus/Wohnung/Auto) verfügt. Die Folge: Fast drei Viertel (72%) der Geringverdiener haben Angst vor der Zukunft. Drews: "Sie fühlen sich als Bürger mit geringer Zukunftsperspektive."
Seit dem 11. September 2001 und der anhaltenden Finanzkrise hat das Wirtschaftswachstum seine Aura als grenzenloser Fortschrittsmotor verloren. "Immer mehr" bedeutet nicht mehr "Immer besser". Und ein höherer Lebensstandard geht nicht zwangsläufig mit einem Wachstum an Lebensqualität einher. Professor Opaschowski: "Das neue alte Zukunftsthema lautet: Heute gut und morgen besser leben! Die Bürger (und nicht die Politiker) sagen, wie sie leben wollen. Sie geben die Richtung und die Inhalte vor, auf die Politiker und Parteien in ihrer Programmatik ebenso positiv wie offensiv zugehen müssen, wenn sie nicht den Anschluss verlieren wollen."
Professor Opaschowski: "Die Pioniere und Antriebskräfte dieses gesellschaftlichen Wandels sind durch drei soziodemografische Merkmale charakterisiert: Jung, urban und gebildet - auch eine Erklärung dafür, warum Bevölkerungsgruppen aus dem urbanen Umfeld zunehmend wahlentscheidend werden."
Der aktuelle WohlstandsIndex NAWI-D des IPSOS-Instituts weist nach:
*Im Vergleich zu allen anderen Bevölkerungsgruppen ist die junge Generation derzeit am meisten darüber enttäuscht, nicht frei genug in ihren Entscheidungen zu sein. Aus ihrer Perspektive gesehen kann sie nicht immer das machen, was sie will. Auch sorgt sie sich darüber, nicht hinreichend in Frieden mit den Mitmenschen leben zu können.
*Die urbane Bevölkerung klagt vor allem darüber, nicht dort leben zu können, wo sie eigentlich leben möchte, vermisst die Nähe zur Natur und wünscht sich mehr soziale Kontakte und ein intensiveres Zusammensein mit Freunden. Steigende Mieten und Immobilienpreise mögen ein Indiz für die zunehmende Attraktivität der Städte sein, der höchste subjektive Wohlstand - und das über alle Dimensionen - ist allerdings auf dem Lande zu verzeichnen.
*Die gebildete Schicht mit Abitur und Hochschulabschluss bekommt am meisten den Stress im Alltag zu spüren. Sie ist durchaus glücklich und zufrieden im Leben, vermisst es aber, mehr Zeit für sich zu haben. Ständig gefordert und gehetzt hat sie den Eindruck, in ihrem Leben nicht das machen zu können, was sie wirklich will.
Opaschowski: "Die Jungen, Urbanen und Gebildeten sind mit Geld allein nicht zufriedenzustellen. Sie vermissen persönliche und soziale Lebensqualität, die sie nicht einfach kaufen können." Lebensqualität ist die Antwort auf die Frage, wofür es sich zu arbeiten und zu leben lohnt. Das ist der Maßstab für nachhaltigen Wohlstand, der nicht mit Prämien, Preisnachlässen und Steuersenkungen auf Zeit erreichbar ist.
Frauen und Männer leben in unterschiedlichen Wohlstandswelten
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wohlstandsmaßstab ist von Männern erdacht und entwickelt worden und blendet weibliche Wohlstandsqualitäten weitgehend aus. Nach dem von Ipsos ermittelten Nationalen WohlstandsIndex hat Wohlstand für Frauen im Vergleich zu Männern mehr mit Wohlergehen als mit Wohlleben zu tun. Frauen heben als persönliche Wohlstandswirklichkeit hervor,
* in Frieden mit ihren Mitmenschen leben zu können,
* gute Kontakte zu ihrer Familie und ihren Verwandten zu haben und
* für andere da zu sein.
Wohlstand fängt für Frauen mit dem sozialen Wohlbefinden an. Frauen pflegen die Nähe zum sozialen Nahmilieu. Zudem geben prozentual mehr Frauen als Männer an, umweltbewusst zu leben.
Männer favorisieren und leben ganz andere Wohlstandswerte. Sie fühlen sich erst richtig wohl, wenn sie
* ein sicheres Einkommen haben,
* Eigentum (Haus, Wohnung, Auto) besitzen und
* sich materielle Wünsche erfüllen können.
Männer denken mehr an die Sicherung ihres Lebensstandards, Frauen eher an die Erhaltung ihrer Lebensqualität. Lebenswichtig ist offensichtlich beides - mit einem wesentlichen Unterschied: Lebensqualität trägt mehr zur Lebenszufriedenheit bei. Auch ein Grund dafür, warum jede zweite Frau (51%) von sich sagen kann: "Ich bin glücklich" (Männer: 47%).
"Wer die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in Deutschland beklagt, muss Wohlstandspolitik zur Wohlfahrtspolitik machen und dafür Sorge tragen, dass alle auf ihre Weise gut leben und das Beste aus ihrem Leben machen können", so Professor Opaschowski. "Dabei geht es um das persönliche Gelingen des Lebens, bei dem Geld nicht die erste Geige spielt." Lebensinhalt und Lebenssinn fangen erst jenseits von Geld und Gütern an. Das trifft auch für den Job zu: Zum Wohlstand heute gehört für mehr als die Hälfte der Bundesbürger im Alter bis zu bis 55 Jahren (53%), einen Beruf zu haben, "der Sinn macht".
Fazit
Das Ipsos-Forschungsteam kommt zu dem Ergebnis: Der Nationale WohlstandsIndex zeigt frühzeitig Alarmgrenzen für die Gesellschaft auf. Als Frühwarnsystem kann der NAWI-D verhindern, dass sich Unwohlstand und Unzufriedenheit in Deutschland ausbreiten und in Politikverdrossenheit der Wählerschaft enden.
Berechnung des NAWI-D
Stufe I
Repräsentativbefragungen von 2.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland auf Basis einer Werteskala, die von 1 (= "trifft überhaupt nicht zu") bis 10 (= "trifft voll und ganz zu") reicht und sich auf vier Wohlstandssäulen bezieht (Ökonomisch / Ökologisch / Gesellschaftlich / Individuell). Feldzeit: 3.-16.9. 2012
Stufe II
Ermittlung der drei wichtigsten Aussagen ("TOP-3 Box": 8, 9 und 10 in der Werteskala) zu jedem der vier Wohlstandssäulen anhand der Zustimmung zu den Fragen nach dem Wohlstandsverständnis ("Im Wohlstand leben bedeutet für mich ...") und der Wohlstandswirklichkeit ("Trifft auf mich zu ...").
Stufe III
Ermittlung der Prozentanteile der zwölf "TOP-3"-Aussagen (je 3 pro Wohlstandssäule) zur Wohlstandswirklichkeit und anschließende Mittelwertbildung der vier Wohlstandssäulen.
Stufe IV
Ermittlung des Gesamt-Index NAWI-D durch Gewichtung der Wirklichkeitswerte: Aussagen, die in der Frage zum Wohlstandsverständnis der Bevölkerung eine höhere Zustimmung erfahren, werden bei der Ermittlung des Gesamt-Index stärker berücksichtigt und entsprechend gewichtet. Auf einer theoretisch möglichen Skala von 0 bis 100 (= optimale Wohlstandserreichung) wurde ein NAWI-D-Wert von 42 ermittelt.
Über Ipsos und Ipsos Observer
Ipsos ist ein unabhängiges und innovatives Dienstleistungsunternehmen, das weltweit Services rund um die Markt- und Meinungsforschung anbietet. Es ist in sechs Forschungsbereichen spezialisiert. So bestimmen die Forscher Marktpotenziale, zeigen Markttrends, testen Produkte, Werbung und Dienstleistungen, erforschen die Wirkung von Medien und geben der öffentlichen Meinung eine Stimme. Seit Oktober 2011 gehört Synovate zu Ipsos. Damit ist das Institut in 84 Ländern auf allen Kontinenten vertreten und in Deutschland und weltweit nach Umsätzen das drittgrößte Marktforschungsinstitut. Ipsos Observer befragt bevölkerungsrepräsentativ oder Nischen-Zielgruppen. Es arbeitet online und offline, national und international.
Über Professor Dr. Horst W. Opaschowsk
Opaschowski ist Zukunftswissenschaftler und Berater für Politik und Wirtschaft. Nach dem Stu-dium an den Universitäten Köln und Bonn promovierte er 1968 über die sozialen Folgen der Tourismusentwicklung und entwickelte 1973 im Auftrag der Bundesregierung eine freizeitpoliti-sche Konzeption. Von 1975 bis 2006 war er Professor für Erziehungswissenschaft an der Uni-versität Hamburg und bis Ende 2010 Gründer und Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen (ehemals Freizeit-Forschungsinstitut). Opaschowskis Themenschwerpunkte liegen im Bereich der empirischen Zukunfts- und Gesellschaftsforschung. Seine aktuellen bevölkerungsrepräsentativen Umfragen und Forschungsstudien führt er in Zusammenarbeit mit dem Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos durch.
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Tel.: | 040 80096 - 4179 |
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