pts20080718008 Unternehmen/Wirtschaft, Politik/Recht

Securenta-Finanzskandal: Das Milliardenspiel um die Altersvorsorge


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Göttingen (pts008/18.07.2008/10:50) Einer der größten bundesdeutschen Finanzskandale zieht weiter Kreise. Bis zu 120.000 Anleger wurden um ihr Geld gebracht. Rund eine Milliarde Euro sind "verpulvert" worden, so der Insolvenzverwalter. Aber nur etwa 20.000 Betroffene haben bisher ihre Ansprüche angemeldet. Der Göttinger Rechtsanwalt Jörn Diercks empfiehlt allen Geschädigten, sich umgehend juristisch beraten zu lassen, um ihre Forderungen geltend zu machen und etwaigen finanziellen Ansprüchen des Insolvenzverwalters begegnen zu können.

Die Göttinger Gruppe hatte im großen Stil so genannte atypische stille Beteiligungen, die "Securente", als Steuersparmodell und Altersvorsorge angeboten. Das Unternehmen soll damit über 100.000 Sparer um mehr als eine Milliarde Euro gebracht haben. Seit Jahren häuften sich Klagen von Anlegern, die sich falsch beraten fühlten und ihr Geld zurück forderten. Wie der Insolvenzverwalter bei einer Gläubigerversammlung mitteilte, sollen lediglich noch etwa eine Million Euro übrig sein. Dazu kämen noch etwa zwei Millionen Euro aus dem nun beschlossenen Verkauf von Immobilien. Von den rund einer Milliarde eingenommen Euro sollen mehr als die Hälfte für Vertriebskosten - Beraterprovisionen und Hochglanzbroschüren - drauf gegangen sein.

Im Interview, das im aktuellen Investmentmagazin "BeteiligungsAnleger" erschienen ist, gibt Rechtsanwalt Jörn Diercks Tipps und Einschätzungen zum Securenta-Finanzskandal.

Hier der Wortlaut:

Milliardenspiel um die Altersvorsorge - Ansprüche sofort anmelden:

Die Göttinger Gruppe hatte im großen Stil so genannte atypische stille Beteiligungen, die "Securente", als Steuersparmodell und Altersvorsorge angeboten. Bis zu 120.000 Anleger wurden um ihr Geld gebracht, ein Insolvenzverwalter wurde abgelöst, Verbraucherschutzverbände raten den Geschädigten, nichts zu unternehmen, nur 20.000 von ihnen haben bisher ihre Ansprüche angemeldet - es geht um viel Geld, um eine Milliarde Euro.

Einer der größten bundesdeutschen Finanzskandale geht in eine neue Runde: Im Juni 2007 wurde gegen die Securenta AG, Hauptgesellschafter des Finanzkonzern Göttinger Gruppe, das Insolvenzverfahren eröffnet. Tausende geprellter Anleger hofften, einen Teil ihrer Altersvorsorge zurück zu erhalten. Jetzt wurde bekannt, dass lediglich ein Bruchteil des eingezahlten Geldes in der Insolvenzmasse verfügbar ist. Wie der Insolvenzverwalter bei einer Gläubigerversammlung Ende März im Amtsgericht Göttingen mitteilte, sollen lediglich noch etwa eine Million Euro übrig sein. Dazu kämen noch etwa zwei Millionen Euro aus dem beschlossenen Verkauf von Immobilien. Von den rund einer Milliarde eingenommen Euro sollen mehr als die Hälfte für Vertriebskosten - Beraterprovisionen und Hochglanzbroschüren - verbraucht worden sein. Die Anleger müssen sogar fürchten, ihrerseits mit finanziellen Forderungen konfrontiert zu werden.

Ein Gespräch mit dem Göttinger Rechtsanwalt Jörn Diercks, der rund 1.000 betroffene Anleger vertritt.

Was kann der Anleger derzeit überhaupt tun?

Er muss seine Forderungen ordnungsgemäß anmelden - das ist das Wichtigste. Die Materie ist natürlich hoch kompliziert, weil es eben Insolvenzrecht ist, noch dazu mit der Besonderheit und Problematik stiller Gesellschaften, atypischer stiller Gesellschaften. Aber das Entscheidende ist, um die Verjährung auf jeden Fall zu hemmen, seine Ansprüche geltend zu machen. Die Forderungen müssen als Schadenersatzforderung im Range eines normalen Insolvenzgläubigers angemeldet werden. Sie müssen begründet und mit entsprechenden Unterlagen belegt werden, und zwar in Höhe der Schadensposition.

Aber die Verbraucherschutzverbände haben doch gerade geraten, nichts zu unternehmen.

Das Falscheste, was man machen kann, ist, nichts zu tun. Im Normalfall betreibt der Insolvenzverwalter Kommunikation. Er schreibt die Anleger an, er prüft die Angelegenheit, er kommt zu dieser oder jener Summe. Diese Forderung bekommt der Gläubiger gutgeschrieben. Das ist Kommunikation. Bisher gab es im vorliegenden Insolvenzverfahren praktisch keinerlei Kommunikation. Wir kannten ein Jahr nicht den Sachstand. Bei seinem Nachfolger Rattunde müssen wir jetzt sehen, wie er die Angelegenheit handhabt.

Wie kommen dann solche Ratschläge zustande, die eigentlich den geprellten Anlegern schaden?

Das ist jetzt meine 20. Insolvenz, die ich betreue, aber so was habe ich noch nie erlebt. Der nun abgesetzte Insolvenzverwalter hat rund 20.000 angemeldete Forderungen bekommen. Diese 20.000 Anmeldungen sind aber nur als nachrangige Insolvenzforderung registriert worden - in Form eines Auseinandersetzungsguthabens. Die Anleger wollen Schadensersatz - Schadensersatz für Betrug beim Vertragsabschluss. Das wäre eine ganz normale Insolvenzforderung nach Paragraph 38 und nicht nachrangig. Das versucht unsere Kanzlei nun durchzusetzen.

Dieses Insiderwissen haben die Anleger und Gläubiger nicht. Sie vertrauen oft auf die Empfehlungen der Verbraucherschutzverbände.

Diese begründen ihren Rat damit, dass sie hehre Vorstellungen von unserem Rechtssystem und der Objektivität einzelner Institutionen haben. Bei diesem Verfahren ist es aber ganz anders. Bei einer normal gestalteten Insolvenz gebe ich allen Verbraucherschutzzentralen recht. Da braucht man keinen Anwalt. Wir haben hier aber merkwürdige gerichtliche Geschichten gehabt. Bei einer solchen Konstellation ist nicht zu raten, tu mal nichts. Im Fall der Securenta muss man sagen: Melde deine Ansprüche an und lass dich von einem fachkundigen Anwalt vertreten.

Mit dem jetzigen Insolvenzverwalter läuft es besser?

Rechtsanwalt Rattunde hat zwar schon signalisiert, er werde wohl die Anleger als normale Insolvenzgläubiger akzeptieren. Da hätten wir einen großen Schritt gemacht. Aber bei allem Weiteren hält er sich bedeckt. Es ist auch noch nicht sicher, dass es so kommt. Auch wenn jüngste Pressemeldungen davon sprechen, er werde keine Lastschriften mehr von den Anlegern einziehen. Alles in diesem Verfahren, in dem es ja um so viel Geld geht - immerhin stehen eine Milliarde Euro im Raum, ist offen. Gleichwohl haben wir eine Insolvenzmasse von nur ein paar Millionen. Das ist verschwindend gering. Und weiter steht zu befürchten, dass der Insolvenzverwalter von den Anlegern Geld fordert, zum Beispiel Ausgleichszahlungen oder Nachschüsse.

Welche Schritte stehen nun an? Welche Chancen haben die Anleger?

Als nächstes brauchen wir eine Gläubigerversammlung, in der Weisungen an den Insolvenzverwalter getroffen werden müssen, damit er gewisse Maßnahmen ergreift. Wir müssen den aktuellen Sachstand wissen, auch was etwaige Forderungen seitens der Finanzbehörden, die 100 Millionen Euro angemeldet haben, betrifft. Wir müssen einen Gläubigerausschuss wählen, indem alle Vertreter der Anleger ausgewogen präsent sein müssen - zum Schutz aller Anleger. Wir müssen genau wissen, welche finanzielle Masse noch verfügbar ist. Wir brauchen Beschlüsse, dass keine Belastungen auf unsere Mandanten zukommen, also keine Rückforderungen. Es muss alles unter den Schadensersatzgesichtspunkten abgewickelt werden. Darüber hinaus prüfen wir, Schadensersatz vom früheren Insolvenzverwalter zu fordern. Er hat, aus unserer Sicht, zu Lasten der Masse gehandelt. Ich bin überzeugt, dass die Anleger in einem ausgewogen besetzten Gläubigerausschuss die einzige Chance haben, noch größeren Schaden für sich abwenden zu können. Aber dazu müssen möglichst viele Anleger ihre Forderungen anmelden und aktiv werden.

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