6. Wiener Unternehmensrechtstag mit Treuepflichten im Fokus
Rund 140 Rechts- und Wirtschaftsexperten diskutierten in der WU Wien über Recht und Praxis
Wien (pts020/16.10.2017/11:40) Bereits zum sechsten Mal fand der Wiener Unternehmensrechtstag am 10. Oktober 2017 statt. Im Fokus stand das Thema Treuepflichten. Rund 140 Experten aus Recht und Wirtschaft analysierten unter der fachlichen Leitung von Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss (Wirtschaftsuniversität Wien) und Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler (Universität Wien) die aktuellen Entwicklungen und deren Auswirkungen auf heimische Unternehmen. Die Tagung geht auf eine Initiative der B&C Privatstiftung zurück und fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu aktuellen Fragen des Gesellschafts- und Unternehmensrechts.
Das Thema Treuepflichten beschäftigt Rechtsexperten und Unternehmer gleichermaßen. Treuepflichten sind einerseits "Generalklauseln", die nicht immer explizit gesetzlich geregelt sind, andererseits gibt es konkrete Einzelbestimmungen, die sich auf Teilaspekte beziehen. Dies fordert die Rechtsprechung, die konkrete Handlungsvorgaben entwickeln muss. Die Treuepflichten umfassen grundsätzlich die Wahrung der Interessen des Auftrag- oder Arbeitgebers, einer Gesellschaft oder anderen juristischen Personen und gegebenenfalls die der Mitgesellschafter. Beim sechsten Wiener Unternehmensrechtstag diskutierten und analysierten rund 140 Experten aus den Bereichen Recht und Wirtschaft Treuepflichten als wesentlichen Bestandteil der Unternehmensführung im gesellschaftsrechtlichen, kapitalmarktrechtlichen und arbeitsrechtlichen Kontext.
"Der Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis zu aktuellen rechtlichen Themen ist für den Wirtschaftsstandort Österreich sehr wichtig. Treuepflichten sind in der Praxis für Unternehmen und Organisationen stets in vielerlei Hinsicht relevant, da sie sich massiv auf die Gestaltungsmöglichkeiten sowie unternehmerischen Entscheidungen und somit auf den wirtschaftlichen Erfolg auswirken können", so Dr. Mariella Schurz, Generalsekretärin der B&C Privatstiftung, zu Beginn der Unternehmensrechtstagung.
Treuepflicht im Zivilrecht: fehlende gesetzliche Definition - aber Sammelbegriff für viele Pflichten
Univ.-Prof. Dr. Ulrich Torggler vom Institut für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht der Universität Wien ging in seinem Vortrag auf die zivilrechtlichen Grundlagen der Treuepflicht ein. Hier stehen die Juristen grundsätzlich vor der Herausforderung, dass die Treuepflichten weder definiert noch in allen Einzelheiten geregelt sind, zudem ergeben sich viele Ausprägungen aus den Sonderprivatrechten. Prof. Torggler über den Hintergrund: "Zuletzt hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der GesbR-Reform bewusst den Begriff ,Treuepflicht' vermieden, weil er zu viele unterschiedliche Pflichten zusammenfasst. Man kann allerdings aus dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) und Spezialregelungen ableiten, dass es grundsätzlich um Interessenwahrnehmung geht." Eine Konkretisierung sei dringend erforderlich, auch, um der verbreiteten unsubstantiierten Berufung auf angebliche Treuwidrigkeiten entgegenzuwirken. Den Ausgangspunkt müsse nach Möglichkeit die Ableitung konkreter Gebote aus den vorhandenen Einzelregelungen bilden.
Zukünftige Entwicklung von mitgliedschaftlichen Treuepflichten
Besonders relevant im Unternehmensbereich sind Treuepflichten zwischen den Gesellschaftsmitgliedern und der Gesellschaft sowie zwischen den Gesellschaftern untereinander. Hier zeigte Prof. Dr. Holger Fleischer, Direktor vom Max-Planck-Institut für Privatrecht Hamburg, die Parallelen vom deutschen zum österreichischen Recht auf: Mitgliedschaftliche Treuepflichten sind sowohl in Deutschland als auch in Österreich Teil der unbeschriebenen Legalordnung neben konkreten Einzelbestimmungen. Treuepflichten von Mitgliedschaften dienen dazu, Willenskonflikte zu lösen und sie aktualisieren sich meist im konkreten Einzelfall, da sie interaktionsbedingt und situationsbezogen sind. Für die Zukunft sind laut Prof. Fleischer folgende Forschungsfragen relevant: die Positivierung - also gesetzliche Festschreibung - der mitgliedschaftlichen Treuepflichten und Übertragbarkeit auf andere Gesellschaftsformen, die Ausdifferenzierung von Kontrollmaßstäben für verschiedene Fallgruppen der Treuepflicht als Grundlage für die Beweislast, die personelle Ausweitung der Treuepflicht auf Nichtmitglieder - z. B. Gesellschafter von Tochterunternehmen - und die Einführung von Billigkeitsrechtsbehelfen.
Stiftungen: weitreichende Anerkennung der Treuepflichten von Stiftern
Der Unterschied von Stiftungen zu Gesellschaften liege, so Univ.-Prof. Dr. Susanne Kalss vom Institut für Zivil- und Unternehmensrecht an der WU Wien, an der gesetzlichen Grundlage und am fehlenden Gemeinschaftsgedanken - hier gelten daher keine verbandsrechtlichen bzw. gesellschaftsrechtlichen Treuepflichten. Vielmehr beruhen sie auf stiftungsrechtlichen Grundlagen. Aufgrund der Dauerrechtsbeziehung zwischen Stiftern und Begünstigten ist im Grundsatz anerkannt, dass deren konkrete Gestaltung und Reichweite von den Kontroll- und Gestaltungsbefugnissen der jeweils Berechtigten abhängig sind. Eine weitere Besonderheit der Rechtsbeziehung liegt in deren Unentgeltlichkeit. Prof. Kalss zieht eine maßgebliche Parallele zu Gesellschaften: "Je komplexer und unvorhersehbarer die Rechtsbeziehungen sind, desto eher ist der Bedarf einer Generalnorm, die bei konkreten Fragestellungen herangezogen werden muss und zur Lösung anleitet, gegeben."
Treuepflichten im Arbeitsverhältnis: Grenzziehung in der Praxis nicht leicht
Die Existenz der Treuepflicht des Arbeitnehmers und im Gegenzug der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ist im Arbeitsrecht unumstritten. Wie im Gesellschaftsrecht ist auch im Arbeitsrecht keine konkrete gesetzliche Definition der Treuepflicht zu finden. Ansatzpunkte ergeben sich jedoch aus einzelnen Gesetzesbestimmungen, Konkretisierungen erfolgen oftmals auf einzelvertraglicher Ebene. Treuepflichten betreffen u. a. den Schutz von geschäftlichen und betrieblichen Interessen des Arbeitgebers und resultieren etwa in Verschwiegenheitspflichten oder Konkurrenzverboten. Laut Dr. Elisabeth Brameshuber vom Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der WU Wien macht vor allem die Grenzziehung der Treuepflicht in der Praxis oftmals Probleme, da es an gesetzlichen Vorgaben weitgehend fehlt. Im Einzelfall sei eine Interessensabwägung vorzunehmen. Insbesondere aus der Judikatur ließen sich konkrete Parameter hierfür ableiten: Verantwortung des Arbeitnehmers, "empfindliche" Schäden des Arbeitgebers, Betriebsklima, Schäden der Allgemeinheit, Dritter oder von Kollegen, aber auch sonstige Interessen der Allgemeinheit.
Organschaftliche Treuepflichten zur Bewältigung von Interessenskonflikten
Univ.-Prof. Dr. Martin Winner, Vorstand der Abteilung Informations- und Immaterialgüterrecht der WU Wien, stellte die zentralen Faktoren der organschaftlichen Treuepflicht oder Loyalitätspflicht dar. Im engeren Sinn geht es dabei um die Bewältigung von Interessenskonflikten, die besonders relevant bei mehrfacher Organstellung sind, wenn z. B. ein Vorstandsmitglied gleichzeitig Aufsichtsrat bei einer anderen Gesellschaft ist. Prof. Winner verweist dabei auf den Österreichischen Corporate Governance Kodex und die sogenannte Business Judgement Rule (§ 84 Abs 1a AktG), der zufolge der Vorstand seine Beschlüsse frei von Eigeninteressen zu fassen hat. Die österreichische Rechtsordnung sieht dabei folgende Strategien bei Treuepflichtverletzungen vor: Die Wichtigste ist die Haftung des Managers, die eine Gewinnherausgabe nach sich ziehen kann. Des Weiteren kennt das Rechtssystem Kompetenzverlagerungen vom Vorstand zum Aufsichtsrat oder zu den Gesellschaftern, Verbote mit Zustimmungsvorbehalt zum Schutz der Gesellschaft bei Geschäftsabschlüssen und die Offenlegung von persönlichen Interessen bzw. Interessenskonflikten, die ebenso im Österreichischen Corporate Governance Kodex festgelegt ist.
Erfolgreiches Forum für Rechts- und Wirtschaftsexperten
Der sechste Wiener Unternehmensrechtstag überzeugte mit seinem Vortragsangebot und spannenden Diskussionen die anwesenden Experten aus Recht und Wirtschaft. Gesehen wurden u. a.: Hon.-Prof. Dr. Sonja Bydlinski (BMJ), Dr. Christian Dorda (Dorda Rechtsanwälte), Mag. Marielouise Gregory, MBA (Telekom Austria), Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer (Harrer & Harrer Rechtsanwälte), Dr. Rudolf Jettmar (OePR), Univ.-Prof. Dr. Hans-Georg Koppensteiner (Universität Salzburg), MMag. Dr. Gudrun Mauerhofer (OeNB), Univ.-Prof. Dr. Johannes Reich-Rohrwig (CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte), Prof. DI Mag. Friedrich Rödler (Erste Group), Hon.-Prof. DDr. Hellwig Torggler, LL.M (Torggler Rechtsanwälte)
Der 7. Wiener Unternehmensrechtstag findet am 1. Oktober 2018 am Juridicum der Universität Wien statt.
Bildmaterial zum diesjährigen Unternehmensrechtstag
Fotohinweis: B&C/APA-Fotoservice/Rastegar
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Über die B&C-Gruppe
Seit ihrer Gründung im Dezember 2000 verfolgt die B&C Privatstiftung https://www.bcprivatstiftung.at das Ziel der Förderung des österreichischen Unternehmertums und des Wirtschaftsstandortes Österreich. Über ihre Holdinggesellschaften https://www.bcholding.at nimmt die B&C die Aufgaben eines stabilen Kernaktionärs in österreichischen Industrieunternehmen wahr. Sie übt ihre Aktionärsrechte im Interesse des jeweiligen Unternehmens aus und gibt den Unternehmen damit langfristige Planungssicherheit und eine stabile Eigentümerstruktur. Die B&C leistet so einen wesentlichen Beitrag zum unternehmerischen Erfolg ihrer Kernbeteiligungen. Die B&C-Gruppe hält derzeit Mehrheitsbeteiligungen an der Lenzing AG, der Semperit AG sowie der AMAG Austria Metall AG.
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