pts20021016004 Handel/Dienstleistungen, Unternehmen/Wirtschaft

"Grundkonsens unter deutschen Börsen ist aufgekündigt"

Börse Stuttgart: Anlegerschutz durch staatlich überwachte Börsen besser kontrollierbar


Stuttgart (pts004/16.10.2002/08:00) Die Umbruchsituation an den deutschen Börsen hat sich nach Beobachtung der Börse Stuttgart im laufenden Jahr weiter verschärft. Davon zeugen die verstärkten Bemühungen der einzelnen Börsen, sich mit neuen Handelssystemen und Marktmodellen Vorteile bei den Anlegern verschaffen zu wollen. "Der Wettbewerb ist für viele Anbieter von Handelsplattformen zum Überlebenskampf geworden", sagte Andreas Willius, Vorstandsmitglied der boerse-stuttgart AG, anlässlich eines Symposiums für Handelssysteme in Frankfurt, wo sich insgesamt sechs Börsen vor Profis und Privatanlegern präsentierten. Neben Stuttgart, der Nummer zwei unter Deutschlands Börsen, waren die Handelsplätze Frankfurt, Berlin, Düsseldorf und München sowie die Swiss Exchange vertreten.

Willius erklärte, dass der bisher bestehende Konsens, was in Deutschland unter einer Börse zu verstehen sei, mit dem Aufkommen von Internalisierungsmodellen, wie sie die Deutsche Börse AG mit Xetra Best und die Nasdaq Deutschland vorgestellt haben, aufgekündigt worden sei. Diese Systeme bieten Großbanken die Internalisierung von Orderströmen - an der Börse vorbei - an. "Damit stehen sich zwei konträre Auffassungen des Börsenbegriffs gegenüber: die eines staatlich überwachten Handelsplatzes im herkömmlichen Sinn und die einer Plattform, die auf Grund der Eigeninteressen der Internalisierer ihren neutralen Charakter preis gibt", sagte der Stuttgarter Börsenchef. Mit juristischen Kunstgriffen suggerierten die Plattformbetreiber dabei, dass es sich um eine Ausführung mit Börsenqualität handle, damit die internalisierende Bank die Aufträge im eigenen Haus gegen andere Kundenorders oder den Eigenbestand matchen könnten, ohne die explizite Zustimmung der Anleger einholen zu müssen.

Die Initiatoren solcher Systeme würden den Anlegern zwar versprechen, dass ihre Orders nur dann bankintern ausgeführt würden, wenn sie dort einen, wenn auch nur minimal günstigeren Preis als an der offiziellen Börse erzielen könnten. Ein solches Modell aber drohe den eigentlichen Börsenhandel, dessen Preise die Internalisierer ja unterbieten wollen, auszutrocknen. "Mit der Folge, dass die Spreads ausgeweitet werden", sagte Willius. Diese breiteren Spannen dann um wenigstens einen Cent zu unterbieten und den restlichen Spread einzustreichen, dürfte den beteiligten Großbanken nicht allzu schwer fallen. Die Anleger liefen damit Gefahr, warnte Willius, am Ende einen schlechteren Preis bezahlen zu müssen als sie ohne Internalisierung erhalten hätten - ohne dies freilich zu erkennen. Schließlich könnten sie ja zum Vergleich nur die - nun ausgedehnten - Spreads der echten Börse heranziehen. "Anleger wissen ja nicht, welcher - bessere - Marktpreis erzielt worden wäre, wenn die Orders nicht bankintern gematcht, sondern alle Orders einem börslichen Preisfeststellungsprozess zugeführt worden wären", so Willius' Fazit.

Dieses Szenario zeigt nach Auffassung der Börse Stuttgart auch den Unterschied der Philosophien zwischen einem von den Interessen weniger Internalisierer geprägten Marktmodell und dem einer staatlich überwachten Börse. Letztere gewährleistet laut Willius durch die öffentlich-rechtliche Form und die Unabhängigkeit der Handelsüberwachung den Anlegerschutz am wirkungsvollsten. "Daher sehen wir auch keinen Anlass, unser Marktmodell in Frage zu stellen", machte der Stuttgarter Börsenchef klar. Es gehe vielmehr darum, das eigene Marktmodell weiter zu verfeinern. Aus diesem Grund habe Stuttgart als erste Börse in Deutschland das so genannte Best-Price-Prinzip, das den Anleger mindestens so gut stellt wie am Hauptmarkt, in ihrem Regelwerk festgeschrieben. Damit sind seit 1. Juli die in Stuttgart tätigen Skontroführer durch die Börse erstmals sanktionierbar, sollten sie gegen das Best-Price-Prinzip verstoßen. "Für die Anleger bedeutet dies ein noch höheres Maß an Sicherheit", sagte Willius.

Als weitere Verbesserung kündigte Willius an, dass Stuttgart von 25. Oktober an im Internet sekundengenau die zu dem jeweiligen Zeitpunkt verbindlichen An- und Verkaufskurse unter Berücksichtigung der Referenzmärkte veröffentlichen wird. Damit wird Privatanlegern ein Instrument an die Hand gegeben, mit dem sie im Nachhinein nachprüfen können, ob der in Stuttgart erzielte Kurs auch tatsächlich mindestens so gut war wie auf dem jeweiligen Referenzmarkt (in der Regel Xetra oder Heimatbörse). "Unser Best-Price-Anspruch wird damit vom Privatanleger kontrollierbar", so Willius' Resümee.

Die Börse Stuttgart ist nach Orderzahlen und Orderbuchumsatz die Nummer Zwei unter Deutschlands Börsen. Mehr als 70 Prozent aller Wertpapieraufträge in Deutschland, die an eine Börse außerhalb Frankfurts geroutet werden, landen inzwischen in Stuttgart. Zu dieser Entwicklung hat entscheidend der Aufbau des1999 gegründeten Derivatesegements Euwax beigetragen, über das mittlerweile mehr als 80 Prozent des börslichen Handels mit Optionsscheinen in Deutschland abgewickelt werden. Damit ist die Euwax das einzige Segment, mit dem es gelungen ist, eine Marktführerschaft außerhalb Frankfurts zu erobern. Im Geschäft mit Zertifikaten, die ebenfalls an der Euwax gehandelt werden, hat sich der Marktanteil seit Jahresbeginn auf mehr als 40 Prozent verdoppelt.

Nach Überzeugung von Vorstandsmitglied Willius hat diese Entwicklung vor allem zwei Ursachen. Zum einen habe die Börse stets darauf vertraut, dass die Maklerschaft eine bessere Dienstleistung erbringen kann als elektronische Handelssysteme. Und zum anderen habe sich der Handelsplatz immer konsequent an den Bedürfnissen der Privatanleger orientiert, so Willius.

"Investoren, die ihre Order nach Stuttgart legen, können gewiss sein, dass sich unsere Makler umgehend um die Ausführung des Auftrags kümmern", vespricht der Börsenchef. Um für den Privatanleger den günstigsten Preis zu finden, beziehen die Stuttgarter bei der Kursfeststellung so genannte Referenzmärkte wie Xetra oder die Heimatbörsen der Eurostoxx-50-Werte mit ein. "Dieses "Best-Price"-Prinzip garantiert dem Privatanleger nicht nur einen marktgerechten, fairen Kurs, sondern eröffnet ihm auch die Chance auf einen besseren Preis als er ihn auf dem Xetra-Handelssystem bekommen würde", erläutert Willius.

Die Börse Stuttgart AG wird geführt von den Vorstandsmitgliedern Frau Elisabeth Roegele (35) und Herr Andreas Willius (48). Frau Roegele ist zuständig für Rechtsfragen, Börsenhandel und -aufsicht, funktionale Weiterentwicklung der IT-Systeme sowie Personal. Herr Willius verantwortet die Ressorts Finanzen, Rechnungswesen, Marketing, Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit.

Gesamtumsatz 2001: 65,3 Mrd Euro
Orders pro Monat 2002: ca. 500.000
Marktanteil nach Orders im Parketthandel 2002: 21,6 Prozent
Marktanteil nach Orders außerhalb Frankfurts 2002: 72,4 Prozent

Pressekontakt: Thomas Spengler, boerse-stuttgart AG
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